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Der Garnisonkirchturm soll im Herbst 2023 eröffnet werden.
© Ottmar Winter

Gastbeitrag | Debatte um Garnisonkirche: Per Perspektivwechsel aus dem Dilemma

Der Kompromiss für die Plantage ist beachtlich. Für die weiteren Gespräche braucht es Offenheit auf allen Seiten. Ein Gastbeitrag von Kunsthistorikerin und Grünen-Politikerin Saskia Hüneke. 

Die am Standort Plantage aktive Stadtgesellschaft jeglicher Couleur steht vor einer scheinbar unlösbaren Aufgabe. Gegenseitiges Misstrauen und Missverstehen erschweren das Zuhören und Hinsehen in den komplexen Fragestellungen zur Aufarbeitung von Geschichte sowie zu unseren heutigen Haltungen und Zielen. Vor diesem Hintergrund haben die Beteiligten von Stadt, Kirche und Rechenzentrum - auf Initiative des Oberbürgermeisters und nach Stadtverordnetenbeschluss - einen beachtlichen Weg zurückgelegt. Jede der Seiten hat „Selbstrücknahme“, so die Worte von Mike Schubert, praktiziert und damit den Weg zu einem gemeinsamen Lösungsansatz freigemacht, angesichts der an diesem Ort besonders ausschwingenden Emotionen eine beachtliche Leistung!

Man muss respektieren, dass dies zunächst nur in kleinem Kreis möglich war. Doch es wäre tragisch, wenn die hinter den Beteiligten des Verhandlungsteams stehenden Gruppierungen nun in ihren Beratungen nichts weiter zustande brächten, als die alten Beschlüsse und Vorstellungen zu zitieren. Das wäre zwar verständlich, identifizieren sich doch hochengagierte Menschen mit der Vision eines im Stadtraum freiwirkenden Kirchenbauwerkes und andere ebenso Engagierte mit einer unverändert fortgesetzten Nutzung im Rechenzentrum. Doch ist dies nicht nur unvereinbar, es gibt auch für beides so keine reale Chance.

Saskia Hüneke, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Stadtparlament.
Saskia Hüneke, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Stadtparlament.
© Andreas Klaer

"Wir alle sind Teil der Geschichte, die hier verarbeitet werden muss"

Wir kommen dagegen weiter, wenn wir die Vielfalt der widerstreitenden Positionen nicht als Last, sondern als Reichtum begreifen. Hier zeigt sich so viel: Jede der sich äußernden Personen bringt Herkommen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten mit. Wir alle sind Teil der Geschichte, die hier verarbeitet werden muss. Der Versuch, sich gegenseitig zu verstehen und Lösungen zu finden, ist die Grundlage für die dann idealerweise nach breiter öffentlicher Beteiligung zustande kommenden Mehrheitsbeschlüsse. Das ist Demokratie und sie ist gerade hier gefragt.

Zur Überwindung des Dilemmas, in dem der Turm für die einen und das Rechenzentrum für die anderen gleichermaßen unerträglich wirkt, können Perspektivwechsel hilfreich sein. Mir erscheint dafür berufsbedingt die Bilderwelt der Kunstwerke am Bau besonders geeignet: Man kann sich den fertigen Turm mit den Rekonstruktionen der Bildwerke aus der Zeit um 1735 und die Mosaike des Rechenzentrums nebeneinander vorstellen. Wenn man den persönlichen Kunstgeschmack an die Seite legt und den Blick öffnet, wird man es sehen: Beide Kunstensembles sind agitatorisch und führen die ambivalenten Ideale vergangener Gesellschaften vor Augen. 

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Sie treffen sich über ihre große Verschiedenheit hinweg und werfen hochaktuelle Fragen auf, etwa wenn es um das Miteinander in der Gesellschaft, um Rechtsstaatlichkeit und Militär, das Verhältnis von Macht und Ethik oder Staat und Individuum geht. Diese Kunstwerke werden zukünftig die Betrachtung der Geschichte des Ortes und das Nachdenken über unsere Gesellschaft auf einzigartige Weise anregen. Zusammen mit der kritischen Aufarbeitung der Ereignisse im 19. und 20. Jahrhundert führen sie in den Diskurs unserer Gegenwart – womit wir wieder beim Ort der Demokratie angekommen wären.

Daran anknüpfend kann auch der städtebaulich-architektonische Konflikt an dieser Stelle produktiv weitergeführt werden. Selten hat ein so pragmatischer Vorschlag wie der, auf dem Grundstück des ehemaligen Kirchenschiffes den ohnehin geplanten und damit finanzierten Plenarsaal der Stadtverordnetenversammlung zu errichten, ein solch ideelles Potenzial aufzuweisen!

"Eine geöffnete Entwicklung des Gesamtstandortes kann allen Seiten helfen"

Angeregt durch diese Idee entsteht die Vision für ein modernes multifunktionales Tagungszentrum mit einem großen Saal und kleineren Tagungs- und Ausstellungsräumen, das auch für die vielfältigen Formen der Bürgerbeteiligung nutzbar ist. Sozio-kreative Arbeit sowie beispielsweise die Abteilung des Potsdam-Museums mit der DDR-Kunstsammlung sowie dem Ausstellungsteil zur Geschichte des 20. Jahrhunderts wären am Ort des Rechenzentrums schlüssig angesiedelt. Nicht zuletzt umfasst das bestehende Nutzungskonzept des Turmes christliches Leben in Verantwortung gegenüber der Geschichte. Die Fülle der sich andeutenden Bezüge zeigt es: Eine geöffnete Entwicklung des Gesamtstandortes kann allen Seiten helfen und zugleich zu einer neuen, lebendigen Symbiose führen.

Es lohnt sich also, die Trias aus Nutzungsbedarf, Städtebau und Architektur in konkurrierenden Varianten unvoreingenommen auszuloten und die Ergebnisse öffentlich zu diskutieren. Dann wird es auch gelingen, die Fragen zu Rechtskonstrukten, Finanzierungsoptionen und Zeitabläufen zu beantworten.

Für die kommenden Gespräche braucht es Offenheit, dafür werbe ich - in alle Richtungen.

Saskia Hüneke, Jahrgang 1953, ist Kunsthistorikerin und stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Stadtparlament. Zudem sitzt sie im Aufsichtsrat der kommunalen Sanierungsträger Potsdam GmbH.

Saskia Hüneke

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