Debatte nach Kompromissvorschlag geht weiter: Wenig Versöhnliches zur Garnisonkirche
Die Debatte um den Kompromiss zur Garnisonkirche spitzt sich zu: Offene Fragen zu alten Verträgen und Kritik von links. Fördergesellschaft vor Zerreißprobe.
Potsdam - Eigentlich hofft Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) bereits für Ende Januar auf einen Grundsatzbeschluss der Stadtverordneten für seinen ausgehandelten Kompromiss zum Umfeld des Turms der Garnisonkirche. Doch ob diese Entscheidung tatsächlich schon so getroffen wird, kann angesichts zahlreicher ungeklärter Fragen als offen gelten. Sollte das Plenum nicht im Januar entscheiden, würde es erst wieder am 2. März tagen. Richtungsweisend könnte eine heutige Sondersitzung des Hauptausschusses der Stadtverordneten sein, in der es ab 17 Uhr im Hauptquartier der Industrie- und Handelskammer gegenüber der Turmbaustelle ausschließlich um das Thema geht.
Rathauschef Schubert hatte den Kompromiss Anfang Dezember vorgestellt
Am Dienstag warb die Stiftung Garnisonkirche noch einmal für die Einigung – die bekanntlich auch schon Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier als Schirmherr des Wiederaufbauprojekts gelobt hatte. So sagte der theologische Vorstand der Stiftung, Martin Vogel, in einem Interview mit dem Evangelischen Pressedienst (epd): „In Potsdam könnte ein hochattraktives Forum für Demokratie und Geschichte entstehen. Hier schlummert großes Potential für eine starke Visitenkarte, mit der die Landeshauptstadt zukünftig punkten könnte.“ Seit Anfang Dezember wird über den Kompromissvorschlag zur Gestaltung des Areals am historischen Standort der Garnisonkirche debattiert, den Rathauschef Schubert, die Stiftung und das Rechenzentrum gemeinsam vorgelegt hatten.
Die Idee sieht unter anderem ein neues „Haus der Demokratie“ mit Plenarsaal für die Stadtverordneten statt eines Kirchenschiffs neben dem Turm und den weitgehenden Erhalt des Kreativhauses Rechenzentrums vor, das bislang abgerissen werden sollte. Hier komme es nun in besonderer Weise darauf an, „ob sich die Stadtverordnetenversammlung diese Perspektive eines Forums an der Plantage zu eigen macht“, sagte Stiftungsmann Vogel.
Allerdings gibt es noch Fallstricke. So hatte die „Märkische Allgemeine Zeitung“ jüngst berichtet, die neuen Pläne könnten möglicherweise am bisherigen Stiftungszweck und alten Vertragsklauseln zur einstigen Übertragung des Grundstücks von der Stadt an die Stiftung scheitern, die den Aufbau der gesamten Kirche vorsehen. Dazu sagte Vogel dem epd, sollten die Grundsatzbeschlüsse fallen, „müssten danach in der Tat diverse Aufgabenstellungen und Fragen beraten und geklärt werden“, sagte Vogel: „Da läge viel Arbeit vor allen Beteiligten.“
Kritik von linken Kritikern des Projekts
Strittig ist etwa die Frage, wie der Erbpachtvertrag mit der Stiftung ausgestaltet sein soll, damit die Stadt auf dem Kirchenschiffgrundstück ein Haus der Demokratie errichten kann. Doch so drohe eine Querfinanzierung der Stiftung mit städtischen Mitteln in Millionenhöhe, die bisherigen Beschlüssen der Stadtverordneten widerspreche, keine Gelder zur Verfügung zu stellen, sagte Carsten Linke, Vorstand des „Antimilitaristischen Fördervereins Potsdam“, am Dienstag vor Journalisten. Durch den erklärten Verzicht der Stiftung auf ein Kirchenschiff müsste aus seiner Sicht die Stadt diese Grundstücksteile zurückfordern, sagte er.
Dies sei im Fall eines Verzichts der Garnisonkirchenstiftung auf den Aufbau des Kirchenschiffs auch vertraglich so vorgesehen – wenngleich erst Ende 2030. Dies tritt demnach in Kraft, wenn „wesentliche Teile“ der einstigen Militärkirche bis dahin nicht errichtet sind – die Frage ist, ob dafür allein der Turm reicht. Linke wiederum sagte, durch den Verzicht auf das Kirchenschiff bestehe für die Stiftung auch keine rechtliche Handhabe mehr, den Abriss des Rechenzentrums zu verlangen.
In derselben Pressekonferenz forderte Sara Krieg von der Bürgerinitiative „Potsdam ohne Garnisonkirche“ erneut einen Baustopp für den Turm. Dieser „Rumpfturm“ könne auch genutzt werden – ohne fertiggebaut zu sein. Linke gab zu bedenken, dass für die Außengestaltung des Turms noch viele Fragen offen seien, etwa ob dort einstiger Militärschmuck zu sehen sei. Für den Kompromiss wiederum sei es für ihn nicht nachvollziehbar, warum das Stadtparlament nicht mehr im Rathaus angesiedelt sein solle – schließlich gebe es bereits Pläne für einen Plenarsaal in dessen Innenhof.
Für ihn sei die Vorstellung fürchterlich, dass in Potsdam nicht nur der Landtag hinter der barocken Kulisse des Stadtschlosses tage, sondern später auch das Kommunalparlament „im Schatten dieses Turms“. Linke gehört zu den langjährigen Kritikern des unter anderem wegen der NS-Geschichte der Kirche umstrittenen Bauprojektes und ist auch Mitglied in der Wählergruppe „Die Andere“, deren Fraktion im Stadtparlament ebenso auf die Einhaltung der Beschlüsse gegen finanzielle Hilfen der Stadt Potsdam für die Stiftung Garnisonkirche pocht.
Linke-Fraktionschef: Erbpacht nicht für die Stiftung
Dass die Erbpacht nicht der Baufinanzierung dienen dürfe, betonte am Dienstag auch Linke-Fraktionschef Stefan Wollenberg aus der rot-grün-roten Rathauskooperation, deren Stimmen Schubert für seine Idee zwingend benötigt. Wollenberg erklärte nach Beratungen seiner Fraktion mit Schubert, dieser sei auch zur Offenlegung der Verträge zwischen Stadt und Stiftung bereit. Er betonte mit Blick auf die grundsätzliche Kompromissidee, dass nun viele Akteure gemeinsam an einem Projekt zu arbeiten bereit sind, sei „eine Chance, die wir nicht ungenutzt lassen sollten“.
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Außen vor sind dabei allerdings die Anhänger eines originalgetreuen Wiederaufbaus. Diese gehen nun gegen einen der Verhandler vor – gegen Matthias Dombert, Chef der Fördergesellschaft für den Wiederaufbau und als Mitglied des Stiftungskuratoriums an den Verhandlungen beteiligt. 55 Mitglieder des Fördervereins forderten am Dienstag in einer Mitteilung Domberts Abberufung wegen „satzungswidrigen Verhaltens“, darunter der Ehrenvorsitzende Hans Rheinheimer, Domberts Vorgänger Burkhart Franck sowie mehrere Mitglieder der CDU und der Initiative „Mitteschön“. Mit dem Verzicht auf das Kirchenschiff habe Dombert „maßgeblich an einer Vereinbarung zum Schaden der Fördergesellschaft mitgewirkt“, so die Unterzeichner.
Dombert will bei einer Mitgliederversammlung am 15. Januar für den Kompromiss werben. Hier sei allerdings gegen Ladungsfristen verstoßen worden, ferner dürfe es keine zahlenmäßige Zugangsbeschränkung geben – auch nicht in Corona-Zeiten, so Rheinheimer. Daher forderte er einen neuen Termin, sonst könnten auch rechtliche Schritte unternommen werden. Laut Dombert hat der Förderverein rund 820 Mitglieder.
Eine Erklärung von Dombert: "Den Blick auf das Gemeinsame lenken"
Der renommierte Jurist und seit 2015 auch Vorsitzende der Fördergesellschaft ließ den PNN bereits vor Silvester eine Erklärung zur aktuellen Lage zukommen. Diese lesen Sie hier - unter der Überschrift: "Den Blick auf das Gemeinsame lenken" meint er, die Einigung sei eben kein kommunalpolitischer Handstreich, sondern solle den Beginn eines Dialoges darstellen.
"Erstaunliche sprachliche Aufrüstung"
Dombert: "Die Reaktion ist heftig. Erwartbar zwar, aber heftig. Für die einen kommt der Vorschlag von Oberbürgermeister, Stiftung Garnisonkirche und den Nutzern des Rechenzentrums zur Gestaltung der Plantage überfallartig, für andere ist er ein Verrat an eigenen Überzeugungen, dritte sehen in ihm 'nur' eine Regelung zur Behebung von Nachbarschaftskonflikten. Bemerkenswert ist der Stil der Kritik. Von 'Lüge' ist die Rede, verbale Entgleisungen im Internet sind unübersehbar, martialisch wird gefordert, 'bürgerliche Reihen' sollen sich gegenüber dem Vorschlag 'schließen'. Eine erstaunliche sprachliche Aufrüstung findet statt."
"Eine Gestaltungsidee"
Dombert weiter: "Und dabei geht es mit den Gesprächsergebnissen, die Öffentlichkeit und Gremien vorgestellt werden, zunächst nur um einen Vorschlag, keinen kommunalpolitischen Handstreich, kein städtebauliches fait accompli. Stattdessen um eine Gestaltungsidee, bei der Gesprächspartner mit ganz unterschiedlichen Interessen den Versuch unternommen haben, ein gemeinsames Ziel zu definieren, nicht das Trennende zur Leitlinie zu machen, sondern gemeinsame Sichtweisen zu formulieren."
"Die Wiederholung altbekannter Standpunkte verkennt den eigentlichen Kern des Vorschlages"
Dombert fährt in der Erklärung fort: "Offenbar fällt es in der öffentlichen Debatte schwer, dies zu würdigen. Die Betonung des eigenen Standpunktes überwiegt, argumentative Offenheit zeigt sich im persönlichen Gespräch, nicht in den sozialen Medien. Die Wiederholung altbekannter Standpunkte aber verkennt den eigentlichen Kern des Vorschlages. Denn das eigentliche Neue an diesem Vorschlag ist, dass er den Beginn eines Dialoges darstellen will, dessen Grundlagen zunächst zwischen den unmittelbaren Beteiligten erarbeitet worden sind, der nun öffentlich und breit diskutiert werden soll, und – was im Haus der Demokratie seinen sichtbaren Ausdruck findet – im umfassenden Sinne Unterschiedliches verbinden will."
"Den Blick nicht auf das Trennende lenken"
Dombert: "Wenn man nach der zutreffenden Analyse des Philosophen Gadamer davon ausgeht, dass ein Dialog die Erkenntnis voraussetzt, dass auch der andere Recht haben könnte, wäre ein solcher Dialog auch für die aktuelle Debatte zu wünschen. Für unsere Gesellschaft wäre dies nicht das Schlechteste. In einer Zeit, in der vieles auseinanderdriftet, der öffentliche Diskurs von Gereiztheit, ja Aggression bestimmt wird, ist es von nicht zu unterschätzender Bedeutung, wenn der Blick auf das Gemeinsame, nicht das Trennende gelenkt wird."
"Versöhnung funktioniert nur im Dialog und im Ausgleich."
Dombert endet wie folgt: "Dem Vorschlag liegt das Bestreben zugrunde, für die Plantage Inhalte und Nutzungsformen zu verwirklichen, die geeignet sind, Gräben zu überwinden und nach einer von vielen als ermüdend empfundenen Diskussion Differenzen der letzten Jahrzehnte zu bewältigen. Eine solche Debatte kann nicht nach den Kriterien von Siegern und Besiegten geführt werden, sie kann nicht danach bemessen werden, wer sich wo in welchem Umfang mit seinen Forderungen durchgesetzt hat. Die eigenen Interessen nimmt man nur dann sinnvoll wahr, wenn auch die Interessen des anderen im Blick behalten werden. Für die Befürworter der Garnisonkirche sollte dies erst recht gelten.
Das Schlagwort der Garnisonkirche beschreibt ein Versöhnungsprojekt. Versöhnung funktioniert nur im Dialog und im Ausgleich. Auch dies will der Vorschlag zwischen Landeshauptstadt, Stiftung und Nutzer des Rechenzentrums sichtbar machen. Die ausgestreckte Hand, die in ihm sichtbar wird, will auch den Dialog mit jenen bewirken, die sich mit dem Versöhnungsprojekt schwertun. Dass nicht jeder Kritiker dieser Hand ergreift, ist hinzunehmen, Einladungen von Hardcore-Kritikern zu Pressegesprächen im neuen Jahr, die ersichtlich von dem Ziel getragen sind, Altbekanntes zu wiederholen – und Gräben wieder aufzureißen? –, deuten darauf hin. Sie werden in der Minderheit bleiben.
Mitbürgerinnen und Mitbürger werden den Wert des Vorschlages richtig einschätzen und bereit sein, neue Wege einzuschlagen. Darum muss es gehen. Jeder Gestaltungsvorschlag ist daran zu messen, ob es gelingt, die unterschiedlichen Belange in einen praktischen Ausgleich zu bringen. Dies macht es erforderlich, statt der ständigen Wiederholung altbekannter Positionen aufzuzeigen, was denn aus der eigenen Sicht möglich wäre, um sich auf den anderen zuzubewegen. Dies erfordert viel, ist aber im Interesse unseres Gemeinwesens unabdingbar.
Pfarrer Martin Vogel hat dies in der Weihnachtspredigt im Turm der Garnisonkirche in die Frage gekleidet: 'Ob wir es schaffen werden, die Bürgerinnen und Bürger Potsdams, die Fliehkräfte in der Stadt zu bändigen, fair zu streiten, mit Respekt zuzuhören, den Frieden zu bewahren und Toleranz tatsächlich aktiv zu leben?' Die Antwort auf diese Frage reicht über den lokalen Anlass weit hinaus. Wenn schon wir als um das Wohl ihrer Stadt bemühte Bürger zu diesem Ausgleich nicht (mehr) in der Lage sind, wie sollen wir dann jenen gegenübertreten, denen es nicht um Ausgleich, sondern allein darum geht, aus Konflikten politischen Nutzen zu ziehen?", so Dombert abschließend.