Corona-Tote in Potsdam: Die Menschen hinter den Zahlen
In Potsdam ist die Zahl der Todesfälle im Zusammenhang mit dem Coronavirus stark gestiegen. Das verstärkt bei vielen Senioren den Druck, sich schnell impfen lassen zu wollen.
Potsdam - Der Abschied vom Vater fand nicht im Krankenzimmer statt, sondern vor dem Bergmann-Klinikum. Mit gemeinsam gesprochenen Psalmgebeten waren die Kinder von Günter Schalinski ihm nah. Der emeritierte Pfarrer starb am 10. Januar, wenige Tage nach seinem 80. Geburtstag, am Coronavirus. Der gebürtige Potsdamer war 27 Jahre lang Pfarrer an der Pfingstkirche, einer Gemeinde, die zu DDR-Zeiten durch das angrenzende KGB-Städtchen eingeengt wurde und dennoch viel Freiheit besaß, den Glauben zu leben.
Nach dem Mauerfall 1989 war auch hier ein befreiendes Aufatmen zu spüren. Auch an der Heilandskirche Sacrow war Schalinski Pfarrer, an einem Ort, der in besonderem Maße von der Teilung Deutschlands betroffen war. Das Gotteshaus stand von 1961 bis 1989 im Grenzgebiet und wurde von Vandalismus und Zerstörung heimgesucht. Nach 1989 konnte sie sich wieder im neuen alten Glanz präsentieren.
Pfarrer Schalinski war ein begabter Seelsorger, der wunderbar zuhören konnte und keinen schnellen, oberflächlichen Rat gab. Zudem war er Freund und Förderer der Kirchenmusik, der gern in Chören sang.
Auch Reinhard Silbermann ist einer jener Potsdamer, die dem Coronavirus erlegen sind. Wer zu DDR-Zeiten in Potsdam und Klavier oder einen Flügel sein Eigen nannte, der holte sich Silbermann ins Haus. Schließlich sorgte er für den reinen Klang der Instrumente. Für die Konzert- und Gastspieldirektion galt er als zuverlässiger Klavierstimmer. Pianisten wie Emil Gilels oder Dieter Zechlin vertrauten bei ihren Konzerten in Potsdam dem Gehör Silbermanns.
Schon als Kind begeisterte ihn die Musik, die ihn zu den Thomanern führte. Doch musste auch er in den Zweiten Weltkrieg, zog sich dort eine schwere Verletzung zu, die ihn ein Leben lang behinderte. Doch die Musik gab ihm Trost und Halt. Dem Oratorienchor Potsdam war er seit dessen Gründung eng verbunden, auch der Kantorei der Friedenskirche Am 20. Dezember ist Reinhard Silbermann im Alter von 95 Jahren verstorben, auch er hatte sich mit dem Coronavirus infiziert.
Genau wie Hans-Jörg Lippert, der als Kantor ab 1957 fast 40 Jahre das kirchenmusikalische Leben geprägt. Der Babelsberger starb am 3. Januar im Alter von 90 Jahren.
Sie sind die Menschen hinter den Zahlen. Günter Schalinski, Reinhard Silbermann, Hans-Jörg Lippert, sie sind drei von jenen 132 Potsdamerinnen und Potsdamern, die seit Beginn der Pandemie mit einer Covid-19-Infektion gestorben sind. 48 waren es allein in den vergangenen zwei Wochen. Sie hinterlassen trauernde Familien und Freunde.
Unverständnis und Wut
Die vielen Opfer der Pandemie lassen die Dringlichkeit der Impfung bei vielen Senioren und ihren Angehörigen noch stärker ins Bewusstsein treten. Bei dem Chaos beim Start der Impfhotline, so schreibt Christian Rüss, Chef der Potsdamer Druckerei Rüss und PNN-Leser, in eindringlichen Worten, handele es sich „um ein weitgehendes Verwaltungsversagen mit tödlichen Folgen“.
Seit Tagen versucht er vergeblich, für seine 93-jährige Mutter einen Impftermin zu organisieren. „Wenn sie an Covid erkrankt, wäre das ihr Ende“, beschreibt er die Lage mit einer Mischung aus Unverständnis und Wut. „Warum wurde das nicht besser geplant? Warum hat man sich nicht auf die Klientel eingestellt, obwohl man Monate Zeit hatte?“, fragt Rüss. „Wenn wir so arbeiten würden, wären wir längst pleite.“
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Bei anderen Zuschriften klingt die pure Verzweiflung durch. „Wir als über 80-Jährige fühlen uns hintergangen, da man diesem Verfahren regelrecht ausgeliefert ist“, schreibt ein Leser. Er sieht darin „die Unfähigkeit der Behörden in Brandenburg“. Eine weitere Leserin schrieb, sie fühle sich ohnmächtig. Sie versuche vergeblich für ihren 88-jährigen Vater einen Termin auszumachen. Jetzt müsse sie ihrem „unglaublichen Ärger darüber Luft machen“, dass die Umsetzung der Impfung bislang scheitere. Auch sie spricht von „völligem Versagen“ bei der Organisation.
Andere Leser hatten mit Trick 17 Erfolg, der über soziale Netzwerke geteilt wird und über den auch die PNN berichteten: Ein Anruf per Handy bei der Hotline, und bei der Frage nach der Postleitzahl die Angabe einer Zahl aus dem Berliner Stadtgebiet nennen.
Impftermine für rund 16.000 Brandenburger
Die aktuellen Zahlen der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg (KVBB), die die Terminhotline organisiert, zeigen, dass die Geschwindigkeit der Vergabe seit dem Impfstart deutlich gesteigert werden konnte. In der vergangenen Woche wurden nach Angaben von KVBB-Sprecher Christian Wehry über das Callcenter 16.146 Bürger mit je zwei Impfterminen versorgt. Allein am Wochenende seien Termine an rund 4000 Brandenburger vergeben worden. Nun allerdings könnten nur noch wenige neue Termine vergeben werden, da nur wenige Impfstoffdosen zur Verfügung stünden.
Man habe Verständnis für die Enttäuschung jener, die nicht zu den ersten Geimpften zählen, sagte der Sprecher des Gesundheitsministeriums, Gabriel Hesse, auf Anfrage. „Aber wir können nicht alle Erwartungen auf einmal erfüllen, sondern müssen auch gerecht verteilen.“ Der Impfstoff sei rar, man impfe dreigleisig in Krankenhäusern, Impfzentren und mit mobilen Teams in Pflegeeinrichtungen. Der vorhandene Impfstoff sei bereits fast vollständig verplant. Die nächste Impfstofflieferung wird am 18. Januar erwartet.
Wir wollen mit Ihrer Hilfe, liebe Leserinnen und Leser, an weitere Potsdamerinnen und Potsdamer erinnern, die in der Corona-Pandemie gestorben sind. Wir wollen ihnen ein Gesicht geben, von ihrem Leben erzählen. Wer sind die Menschen hinter den Zahlen? Was hat sie ausgemacht? Was lag ihnen besonders am Herzen? Wenn Sie an einem Menschen erinnern wollen, schreiben Sie uns gern eine Mail an potsdamheute@pnn.de!
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