Adipositas und Bewegungsdefizite in Brandenburg: Die dicke Mark
Brandenburg liegt im nationalen Übergewichts-Ranking auf Platz vier. Vor allem in Kitas und Schulen soll früh reagiert werden. Mit dem diesjährigen Gesundheitspreis Brandenburg wurden Initiativen im Kampf gegen die überflüssigen Pfunde prämiert.
Potsdam - Das Wortspiel kommt etwas locker daher: „Lösungen für ein (ge)wichtiges Problem gesucht.“ Unter diesem Titel ist in diesem Jahr der Gesundheitspreis Brandenburg ausgelobt, der gemeinsam von der AOK Nordost und der Landesärztekammer vergeben wird. Alle zwei Jahre wird der Preis in Mecklenburg-Vorpommern und in Brandenburg verliehen – beide Regionen werden als „Schlüsselländer“ gesehen, in denen sich der demografische Wandel deutlich bemerkbar mache. Innovative und nachhaltige Projekte sollen Antwort sein bei der Versorgung einer Gesellschaft, die immer älter wird – und auch dicker. Daher wurden für den diesjährigen mit 30.000 Euro dotierten Preis Projekte gesucht, die vor Übergewicht schützen oder Betroffenen helfen sollen, langfristig ihr Gewicht zu reduzieren und ihre Lebensqualität zu steigern.
Einen der Preise bekam am Dienstagabend in Potsdam die SportService Brandenburg gGmbH verliehen, eine gemeinnützige Tochter des Landessportbundes (LSB). Diese ist unter anderem Trägerin von zehn Kita- und Horteinrichtungen in Brandenburg – sechs davon in Potsdam. Mit dem prämierten Projekt „We like to move it ... Gesundheit ins Gleichgewicht bringen als Lebenskonzept“ wird in den Einrichtungen Kindern bereits im Kita- und Vorschulalter vermittelt, wie wichtig gesunde Ernährung und Bewegung sind. „Je eher wir damit beginnen, desto erfolgreicher und nachhaltiger sind wir“, sagt Aileen Kotzsch, Bewegungskoordinatorin der LSB-SportService. Es soll verhindert werden, dass es bei Kindern überhaupt zu Gewichtsproblemen und Bewegungsmangel kommt. Entwickelt wurde dafür unter anderem ein Ernährungsführerschein, mit dessen Hilfe die Kinder lernen, was Kohlenhydrate, Fette und Eiweiß sind. Es gibt Bewegungsprogramme sowie eine Einbeziehung der Eltern etwa in Form gemeinsamer Kochevents. Ziel ist es laut Aileen Kotzsch, gemeinsam mit dem brandenburgischen Bildungsministerium und der AOK Nordost ein Netzwerk zu schaffen, um „We like to move it“ auch in andere Kitas zu bringen.
Rund die Hälfte der Deutschen gilt als übergewichtig
Die Laudatio für den Sieger hielt Michael Klotzbier, der ein Mitglied der Jury war. Der 38-Jährige ist durch sein öffentliches Abnehmprojekt von 160 auf 100 Kilo bekannt geworden und weiß wie kaum ein anderer zu bewerten, wie wichtig Aufklärung als Prävention und Betreuung und Begleitung in der Therapie sind. Klotzbier zählt zu jener Hälfte der Weltbevölkerung, die übergewichtig ist. 2017 war das erste Jahr, in dem es trotz Hungernöten, Krieg und Armut weltweit mehr Menschen mit Übergewicht als Normalgewichtige gab. Von einer Adipositas wird gesprochen, wenn Menschen einen sogenannten Körpermassenindex oder Body-Mass-Index (BMI) über 30 kg/m² haben, von Übergewicht bei einem BMI ab 25 kg/m². Seit langem warnen Wissenschaftler und Ärzte vor immensen Ausgaben durch das Gesundheitssystem und indirekten Kosten durch Produktionsausfall und Frühverrentung. Laut dem „statista“-Portal liegt schon heute in den westlichen Industriestaaten der Anteil der durch Fettleibigkeit verursachten Kosten an den gesamten Gesundheitskosten zwischen fünf und 15 Prozent. In Deutschland steigt die Zahl der übergewichtigen und fettleibigen Menschen seit Jahren stetig. 2005 galten 41,5 Prozent der deutschen Frauen als übergewichtig, 2017 waren es 43,1 Prozent. Bei den Männern stieg die Quote im gleichen Zeitraum sogar noch höher um mehr als vier Prozent auf 62,1 Prozent. Im globalen Übergewichts-Ranking liegt Deutschland auf Platz neun, die meisten übergewichtigen Einwohner leben in den USA.
Sport und Bewegung kann ein Mittel gegen das nationale Gewichtsproblem sein. Ursachen von Übergewicht und Adipositas sind unter anderem Bewegungsmangel, begleitet von motorischen Defiziten. Und das beginnt schon bei den Kindern. Dem märkischen Gesundheitsministerium zufolge gelten bei Einschulkindern in Brandenburg 3,6 Prozent als adipös – es liegen also ernstzunehmende gesundheitliche Risiken vor.
15 Prozent der Brandenburger Kinder haben Bewegungsdefizite
Der Landessportbund Brandenburg nimmt sich des Handlungsbedarfes an und hat in diesem Jahr ein „Förderprogramm zur Initiierung von Bewegungsangeboten des organisierten Sports für Kinder mit motorischen Defiziten“ ins Leben gerufen. „Henriettas bewegte Schule“ heißt das Programm, mit dem Gesundheitssportangebote für Kinder im Grundschulalter bezuschusst werden. Diese Angebote sollen die Motivation für Bewegung bei Kindern steigern sowie ihnen den Zugang zu wettkampffreien Angeboten erleichtern. Außerdem sollen Vereine ermutigt werden, solche Angebote aufzubauen. Zudem bildet der Landessportbund gemeinsam mit seiner Brandenburgischen Sportjugend bis zum Ende des Jahres mehr als 200 Übungsleiter auf diesem Gebiet fort. In zweitägigen Kursen werden sie darauf vorbereitet, gemeinsam mit den Kindern die motorischen Defizite anzugehen – spielerisch, in lockerer Atmosphäre und frei von jeglichem Wettkampfgedanken.
Wie notwendig es ist, frühzeitig gegen die Bewegungsarmut und in der Folge Gewichtsprobleme zu steuern, zeigen neueste Forschungsstudien, nach denen 15 Prozent der Kinder in Brandenburg Bewegungsdefizite haben. Immerhin sei es laut LSB gemeinsam mit den Sportvereinen gelungen, den Trend in der märkischen Region – im Gegensatz zu anderen Bundesländern – aufzuhalten. Tatsächlich ist der Anteil übergewichtiger Einschulkinder in Brandenburg seit zwölf Jahren nicht gestiegen. Doch um den Trend ganz umzukehren, müssen die Angebote des Sportlandes noch stärker in den Alltag der Kitas und Schulen des Landes und der Bewegungsaspekt in die entsprechende Erzieherausbildung eingebunden werden, fordert Aileen Kotzsch. Auch der für diesen Bereich verantwortliche LSB-Vorstand Robert Busch mahnt: „Trotz unserer Anstrengungen im Bereich der frühkindlichen Bildung wird es uns nicht gelingen, die motorischen Defizite unserer Kinder zu verbessern, wenn wir es nicht schaffen, Bewegung verbindlich in den Tagesablauf jeder Kita und jeder Grundschule im Land Brandenburg zu integrieren. Hierzu aber bedarf es auch eines politischen Umdenkens.“ Seitens der Politik werde dem gewichtigen Problem keinesfalls ausreichend Rechnung getragen, befindet Busch.
"Zu wenig anwendbare und passende Konzepte für Erwachsene"
Brandenburg ist neben Berlin das einzige Bundesland, in dem die Gewichtsanzeige runtergeht. Zwischen 2013 und 2017 sank laut „statista“ der Anteil der übergewichtigen Märker um 0,7 Prozent, während er in der restlichen Republik stieg. Doch liegt Brandenburg im nationalen Vergleich auf dem vierten Platz: 56,8 Prozent der Brandenburger haben einen BMI von über 25 – gelten demnach als übergewichtig.
Zwar betont der LSB, dass im Erwachsenenbereich Vereine seit langem eine große Anzahl an Gesundheitssportangeboten im Programm haben, die zunehmend Resonanz finden würden. Doch deren Nachhaltig- und Wirksamkeit sieht Michael Klotzbier kritisch. „Für Erwachsene gibt es zu wenig anwendbare und passende Konzepte“, befindet er. Das sei mit ein Grund, weshalb er wieder zugenommen habe.
+++ Gesundheitspreis Brandenburg: Kitas und Arztpraxis prämiert +++
Mit dem Gesundheitspreis Brandenburg zeichnen die AOK Nordost und die Landesärztekammer Brandenburg in diesem Jahr Projekte aus, die sich der Prävention von Übergewicht verschrieben haben oder Betroffenen helfen, langfristig ihr Gewicht zu reduzieren und ihre Lebensqualität zu steigern. Schirmherrin des Preises ist Brandenburgs Gesundheitsministerin Susanna Karawanskij.
Zu den Preisträgern gehören die SportService Brandenburg gGmbH des Landessportbundes Brandenburg, die Integrationskita „Pusteblume“ in Kooperation mit dem Familienzentrum aus Eisenhüttenstadt, die Mahlower Arztpraxis Augustin und die Kneipp Kita „Spatzennest“ aus Baruth. Insgesamt ist der Gesundheitspreis Brandenburg mit 30.000 Euro dotiert. Die Preisverleihung fand am gestrigen Dienstagabend in Potsdam statt.
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