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Die ersten vier Wochen. Am 19. September wurde Susanna Karawanskij zur Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie ernannt. 
© Martin Müller

Susanna Karawasnkij vier Wochen im Amt: Ministerin für den Übergang

Susanna Karawanskij führt nach dem Rücktritt von Linke-Kollegin Diana Golze das Sozialministerium. Vier Wochen ist die Leipzigerin nun im Amt. Wer ist die Frau, die  den Pharmaskandal um Krebsmedikamente aufklären soll?

Potsdam - Die Ministerin drückt den falschen Knopf. Hinter dem Rednerpult berührt Susanna Karawanskij versehentlich eine Taste, auf der Leinwand kommt die darauf projizierte Rednerliste durcheinander, ein Männername erscheint. Die 38-Jährige lässt sich nicht durcheinanderbringen. Jetzt redet sie. Und zwar so, dass es – wie sie es ausdrücken würde – ihre Redenschreiber vom Hocker hauen dürfte. Aber die sind ja nicht da und können nicht zuhören. Karawanskij schiebt das Manuskript, das man ihr aus ihrem Haus mitgegeben hat, erst mal beiseite. Und erzählt frei Schnauze vor rund 50 Zuhörern im Potsdam Museum von Spielplatzerfahrungen mit ihrer dreijährigen Tochter.

Sie hält sich nicht sklavisch ans Manuskript

Susanna Karawanskij, nach dem Rücktritt von Linke-Parteikollegin Diana Golze im Lunapharm-Skandal seit exakt vier Wochen Brandenburgs neue Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie, soll am Donnerstag ein Grußwort bei der Fachtagung des Netzwerkes Gesunde Kita halten. Auf ihrem Sprechzettel steht dieser Redeanfang nicht, zumal in der Wortwahl nicht. Es sei erstaunlich, wie Kinder die Welt entdecken, sagt sie spontan. Wenn sie mit ihrer Tochter auf dem Spielplatz sei, denke sie sich das öfter. Die Kinder kletterten auf einen Baum. „Dann hat man erst mal Schiss“, sagt Karawanskij, aber dann seien sie auch schon oben. „Da haut’s mich immer vom Hocker, wie Kinder lernen“, sagt die Mutter, die dann doch schnell auf Ministerinnenmodus umschaltet, als manche Zuhörer etwas irritiert schauen. Sie redet also über Kinderarmut, liest brav die Fördersumme für das Netzwerk vor, die ihre Mitarbeiter notiert haben. Um dann doch immer wieder vom Manuskript abzuweichen. „Ein ganz schöner Batzen“ sei der Betrag, den das Land für das beitragsfreie Kitajahr aufwende. „Ich komme ja aus Sachsen, das ist kein Geheimnis“, flicht sie spontan in ihre Rede ein. „Ich hoffe man hört es nicht so sehr?“ Doch man hört es, am leicht Näselnden. Aber nicht so sehr. Und wenn sie eines ihrer Lieblingswörter bringt, merkt man es gar nicht: „sozusagen“. Das benutzt sie unbewusst öfter in ihrer Rede.

Karawasnkij leitet eines der größten Ministerien

Sozusagen ist sie nun also Ministerin. Zuständig für eines der größten Häuser der Landesregierung mit vier Abteilungen, drei nachgeordneten Behörden und insgesamt 1000 Mitarbeitern. Verantwortlich dafür, den Skandal um gestohlene, möglicherweise unwirksame Krebsmedikamente, der ihre Vorgängerin das Amt kostete, weiter aufzuklären. Was schon deshalb nicht einfach ist, weil es darum geht, Strukturen neu zu ordnen, aufzuräumen, Mitarbeiter umzusetzen, womöglich sogar zu entlassen und gleichzeitig neue zu finden, weil die Arzneimittelaufsicht im Land nach dem dokumentierten Versagen im Lunapharm-Skandal personell aufgestockt werden soll.

Erleichterung über neue Hausleitung

Sie habe im Haus eine große Offenheit vorgefunden und auch Erleichterung darüber, dass es nun eine neue Hausleitung gibt, sagte sie. Dass etwas passiert, nach vorne gewandt. Sie versuche, alle Abteilungen so schnell wie möglich kennen zu lernen, die Leute einzuschätzen. „Aber den Kümmel im Käse zu suchen ist nicht zielführend“, sagt Karawanskij ohne dass jemand ihre Sätze korrigieren würde. Mit Golze ging auch deren Pressesprecherin. Die neue Ministerin spricht noch weitgehend für sich alleine, versteckt sich nicht hinter geschliffenen Pressemitteilungen. Sie wirkt insgesamt zugänglicher als ihre Vorgängerin. Aber auch unbedarfter. Denn zu ihrem Job kam Karawanskij, deren Name vorher in Brandenburg kaum einer kannte, ganz spontan.

Mit 28 tritt sie in die Linke ein

Die gebürtige Leipzigerin studiert Kultur- und Politikwissenschaften. Erst 2008, da ist sie schon 28, tritt sie in die Linke ein. Das ausnahmsweise mal nicht spontan. „Sympathisantin war ich schon viel länger“, sagt sie. In ihrem Bekanntenkreis sei sie viel mit der Linken in Kontakt gekommen. Ihr Mann ist ebenfalls Linkspolitiker in Sachsen. Die Spätberufene legt dann eine kommunalpolitische Blitzkarriere hin. 2009 wird sie Geschäftsführerin der Kreistagsfraktion Nordsachsen, 2012 Chefin des Kreisverbands Nordwestsachsen. 2013 zieht sie in den Bundestag ein. Die „Bild“-Zeitung nominiert die junge Frau mit ukrainischen Wurzeln für den Titel „Miss Bundestagswahl“. Überregionale Blätter porträtieren sie, kommen meist nicht ohne die Beschreibung „neues, schönes Gesicht des Sozialismus“ aus. Aus dem Bundestag fliegt sie so überraschend wie sie ins Parlament gekommen ist. 2017 gewinnt sie kein Mandat. „Eine Vollbremsung war das“, sagt sie, aber trotzdem sei sie danach gut beschäftigt gewesen, mit ehrenamtlicher Parteiarbeit hauptsächlich. „Für mich besteht das Leben aus verschiedenen Kapiteln“, sagt sie. Und die können auch mal spontan umgeschrieben werden, wenn die Linke aus Brandenburg anklopft.

Namen kann sie sich nicht merken

Nun klopfen viele Akteure bei ihr an, wollen die Neue kennenlernen. Bei der Fachtagung zur Kindergesundheit defilieren immer wieder Leute an Karawanskij vorbei, schütteln der Ministerin die Hand, stellen sich vor oder wollen sich ins Gedächtnis rufen. „Bei Gesichtern bin ich gut“, sagt sie und blickt ihren Gegenübern fest in die Augen, lächelnd. Wenn sie jemanden schon einmal gesehen habe, erkenne sie ihn meist auch wieder. „Aber Namen kann ich mir nicht merken“, räumt sie ein. Und einen Brandenburg-Geografie-Test, bekennt sie, würde sie nach einem Monat im Märkischen auch nicht bestehen. Nach dem Termin in Potsdam muss sie noch nach Finsterwalde. Das nächste Grußwort halten beim Ausbildungspreis der Sparkassenstiftung. Elbe-Elster, nahe an Sachsen, das weiß sie natürlich.

Die Familie lebt weiter in Leipzig

Ihr Mann und ihre Tochter leben weiter in Leipzig. Umziehen für zunächst nur ein Jahr, mit ungewisser Zukunft nach der Landtagswahl – „das hätte ich meiner Familie nicht zumuten können“, sagt sie. Also pendelt sie meist mit der Bahn zwischen Leipzig und Potsdam. Wenn es abends doch zu spät wird zur Heimkehr, habe sie „Stationen“ zum Übernachten. Ihre Tochter weiß gar nicht, dass sie jetzt Ministerin ist. „Ich habe ihr nur gesagt, dass ich eine wichtige Arbeit mache, in Potsdam.“ Aber sie versuche trotzdem, die Dreijährige morgens auch mal in die Kita zu bringen, ihr auf dem Spielplatz beim Klettern zuzuschauen. Und vielleicht auf einer der Zugfahrten zwischen Wohn- und Arbeitsort die Akten beiseite zu legen und der Tochter einen Wunsch zu erfüllen: Wollsocken für sie zu stricken.

Hobby Stricken und Nähen

Sport, Stricken und Nähen zählt Karawanskij zu ihren Hobbys. Was man ihrem Outfit nicht ansieht, eindeutig nicht selbstgemacht. Gekleidet ist sie meist ganz in Schwarz. So auch am Donnerstag. Schmal geschnittene Hose, Shirt, Schuhe, Blazer – alles schwarz, unkompliziert, vermeidet Stress am Morgen.

Über die Aufregung vor ihrer ersten Rede im Bundestag im März 2014, angefangen bei der Kleiderfrage, veröffentlichte Karawanskij einen Text bei Facebook. Sie schrieb von Herzrasen, Schlafstörungen, Alpträumen. „Vom klassischen Stolpern bis hin zum Stimmverlust und Blackout war alles dabei.“ Aber am Ende ging natürlich alles gut, die Rede gelingt. Vor ihrer ersten Ansprache als Ministerin nach ihrer Ernennung am 19. September sei sie da schon sicherer gewesen, sagt sie. Gleichzeitig sei ihr die Bedeutung ihrer neuen Rolle klar gewesen, die Verantwortung: „Ich bin nun Teil der Regierung, ich bin jetzt auch Adressat.“

Adressat für die Anfragen der verunsicherten Lunapharm-Kunden will sie sein. Dass ihr bei der Aufarbeitung des Pharmaskandals die Patienten zu kurz gekommen seien, hatte sie schon vor Amtsantritt erklärt. Berlin identifizierte betroffene Patienten viel schneller als Brandenburg. Sie habe inzwischen Gesprächsangebote gemacht, über die behandelnden Ärzte. „Aber nicht jeder will reden. Auch das muss ich dann akzeptieren“, sagt sie. Der Arzneiskandal, das sei ja zudem längst nicht alles in diesem Riesenressort. Arbeit, soziale Gerechtigkeit, auch das seien ihre Themen. Im Bundestag kümmerte sie sich um das Thema Kommunalfinanzen. „Eine gute Schule, wenn man sich da durchgebissen hat.“

Auch Ostbeauftragte ihrer Fraktion war Karawanskij, die zur Wende neun Jahre alt war. Die Einschätzung von Bildungsministerin Britta Ernst (SPD), die im PNN-Interview davon sprach, dass die Menschen im Osten nicht so eingeübt seien im Aushalten von Unterschiedlichkeiten, teilt sie so nicht. In der Ost-Debatte liege der Fokus oft zu sehr auf dem Thema Unrechtsstaat, meint die neue Kabinettskollegin. Viele Ostdeutsche hätten das Gefühl, dass sich niemand für ihren „Erfahrungswertschatz“ interessiere. Das sei schade. Die Themen soziale Spaltung und Armutsgefährdung wolle sie ansprechen. „Da passt etwas nicht“, sagt Karawanskij, „gerade im Osten.“

Sie hat nur ein Jahr Zeit

Was sich viele fragen: Wie will sie die vielen Themen in nur einem Jahr anpacken? Kann die das überhaupt? Ist die nicht zu jung? Wie will sie ohne Führungserfahrung so ein großes Haus leiten? Nach vier Wochen lassen sich diese Fragen noch nicht ernsthaft beantworten. Karawanskij würde wohl spontan sagen: Da hat man sozusagen erst mal Schiss. Aber dann klettert man nach oben, lernt. Und drückt dann den richtigen Knopf.

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