zum Hauptinhalt
Malte Gräve ist Referent für Handel und Stadtentwicklung bei der IHK Potsdam.
© IHK

Interview | Malte Gräve (IHK): "Beim Innenstadt-Handel müsste Potsdam viel aktiver werden"

Malte Gräve, Referent für Handel und Stadtentwicklung bei der IHK Potsdam, über das Geschäft in Corona-Zeiten und die Schwächen des Potsdamer Einzelhandelskonzepts.

Herr Gräve, wie ist der Potsdamer Handel Ihrer Ansicht nach bislang durch die Coronakrise gekommen?

Da muss man unterscheiden. So haben beispielsweise Lebensmittelhändler oder Baumärkte entgegen landläufiger Meinung zwar nicht in hervorragender Weise von der Krise profitiert, sie aber doch einigermaßen gemeistert. Arg gebeutelt wurde aber der inhabergeführte Einzelhandel in der Innenstadt.

Im Gegensatz zum ersten Lockdown dürfen diese Geschäfte doch diesmal offenbleiben.

Ja, aber das ganze Umfeld ist weggebrochen. Für die Händler der Brandenburger Straße machen Erlebniseinkauf und der Tourismus einen großen Teil des Geschäfts aus. Dieses Jahr fehlte vielen Leuten die Lust für Shoppen – oder auch das Einkommen. Und internationale Gäste blieben fast ganz aus, deutsche Touristen konnten das nicht abfangen. Hinzu kommt: Alle Restaurants, Cafés und Kneipen sind zu, also all das, was auch zu einem Innenstadtbummel gehört, bei dem man eher spontan und nicht zielgerichtet einkauft.

Die wichtigste Zeit für den Handel ist die Vorweihnachtszeit, die jetzt beginnt. Verkaufsoffene Adventsonntage dürfte es aber keine geben.

Das liegt ja auch daran, dass die Weihnachtsmärkte überwiegend abgesagt wurden. Wir würden uns von der Landesregierung aber wünschen, dass sie trotzdem Shopping an den Adventssonntagen möglich macht. Ansonsten werden deutlich weniger Menschen ihre Geschenke vor Ort kaufen. Ein Teil weicht dann auf den Onlinehandel aus, der andere geht dann an einem Samstag, wo es ohnehin schon voll und schwierig ist, Abstände einzuhalten. Beide Folgen sind aus unserer Sicht nicht wünschenswert.

Wird die Coronakrise den Leerstand in der Brandenburger Straße mehren?

Das kann man jetzt noch nicht beantworten. Leerstand gab es schon vor Corona. Es ist dringend geboten, den Innenstadt-Handel zu stärken.

Um genau das zu tun, hat die Stadt ein neues  Einzelhandelskonzept erarbeitet. Neben einer Stärkung der Innenstadt sieht es aber auch eine Aufwertung des Babelsberger Zentrums, des Johan-Bouman-Platzes im Bornstedter Feld und des Waldstadt-Centers vor. Die IHK lehnt das zumindest für die zuletzt Genannten ab. Warum?

Wenn man sogenannte zentrenrelevante Sortimente – dazu gehören unter anderem Kleidung, Schuhe, Elektronik oder Spielwaren – anderswo zulässt, schwächt man gleichzeitig die Innenstadt. Nur 14 Prozent des gesamten Handelsumsatzes in Potsdam werden in der Innenstadt erwirtschaftet. Im Durchschnitt sind es bei Städten vergleichbarer Größe 35 Prozent. Im Durchschnitt!

Diese Städte haben aber nicht Berlin vor der Tür.

Das nicht. Aber es geht ja nicht um die Größe, sondern die Aufteilung des Kuchens. Und davon bekommt die Innenstadt zu wenig ab. Mit der Berlin-Nähe hat das gar nichts zu tun.

Die Stadt argumentiert hingegen, die Versorgung müsse flächendeckend gewährleistet sein. Auch, wenn man mal schnell ein paar Schuhe braucht.

Genau darum geht es ja. Ein zentrenrelevantes Sortiment heißt genau deswegen so, weil es relevant für ein starkes Zentrum ist. Und das liegt in der Innenstadt. Wenn ich mir Schuhe im Bornstedter Feld kaufe, tue ich das nicht mehr in der Brandenburger Straße. Potsdams Stärke ist doch gerade die Altstadt mit ihrem besonderen Flair.

Das Konzept sieht nun aber sogenannte Potsdamer Läden vor, maximal 100 Quadratmeter große Geschäfte, die das zentrenrelevante Sortiment führen und sich praktisch überall ansiedeln dürfen.

Das ist aus den bereits genannten Gründen der falsche Weg. Denn wenn sich ein so kleiner Laden außerhalb etablierter Handelsstrukturen halten will, muss er besonders attraktiv sein. Dann aber soll er die Innenstadt und nicht die Peripherie stärken.

Die Händler in der Brandenburger Straße leiden unter der Coronakrise.
Die Händler in der Brandenburger Straße leiden unter der Coronakrise.
© Ottmar Winter PNN

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Ladenflächen in den Barockhäusern der City meist sehr klein sind, was die Ansiedlung von zugkräftigen Ketten wie Media Markt verhindert.

Also genau die passende Größe für den Potsdamer Laden … Letzten Endes geht es immer um die Wirtschaftlichkeit und auch das Know-how. Man könnte beispielsweise Ladenflächen – denkmalschutzgerecht – zusammenlegen, dazu muss man aber auch mit den Eigentümern der Häuser sprechen.

So etwas wird im Konzept ja auch vorgeschlagen, zum Beispiel für die Wilhelm-Galerie und das Postgebäude am Platz der Einheit. Sie könnten für den Handel genutzt werden.

Auch im Vorgängerkonzept stand vieles, was dann nicht umgesetzt wurde. Wenn man den Innenstadt-Handel wirklich stärken will, muss sich die Stadt viel stärker und aktiver beteiligen als bisher.

Inwiefern?

Sehen Sie, woran es fehlt, sind Einrichtungen, die Anlass zum Besuch der Innenstadt bieten. Im Übrigen neben den Potsdamern auch den Werderanern, Glindowern oder Beelitzern, die traditionell hin und wieder zum Einkaufsbummel in ihre Landeshauptstadt fahren wollen. Es gibt im unmittelbaren Altstadtbereich zwar viel Gastronomie, aber fast keine Kultureinrichtungen, kein Kino, keine nennenswerten Freizeitangebote, die einen längeren Aufenthalt attraktiv machen. So etwas ist aber wichtig für ein funktionierendes Zentrum. Die Stadt müsste sich gezielt überlegen, was zur Belebung beitragen könnte und dessen Ansiedlung fördern.

Nun ist die Stadt aber nicht Eigentümerin der Häuser.

Trotzdem kann sie Einfluss ausüben. Dazu müsste mit Gebäudeeigentümern über langfristige Perspektiven gesprochen werden. Wenn alle an einem Strang ziehen, haben auch alle etwas davon. Außerdem könnte die Stadt bei strategisch wichtigen Immobilien prüfen, ob sie sich Vorkaufsrechte sichern kann.

Und wie soll das gelingen?

Die Stadt müsste alle nötigen Kompetenzen bündeln, zum Beispiel aus der Bauverwaltung, dem Immobilienservice, der Wirtschaftsförderung und dem Tourismusmarketing und daraus eine kleine, schlagkräftige Einheit schaffen, die wirklich arbeitsfähig ist und gemeinsam mit Unternehmen, Eigentümern und Anwohnern die Standortentwicklung vorantreibt. Und wo die IHK helfen kann, wird sie das natürlich auch tun.

Steht denn aus Ihrer Sicht überhaupt etwas Positives in dem Konzept?

Selbstverständlich. In 80 bis 90 Prozent geht es um die weitere Ansiedlung von Lebensmittelmärkten, um bislang unterversorgte Bereiche zu stärken. In diesen Teilen ist das Konzept sehr gut. Und das Papier ist ja auch kein direkter Angriff auf den Innenstadt-Handel. Aber es hilft ihm eben auch nicht.

Zur Startseite