Koalitionen auch im Bund?: Zwischen Regierung und Revolte – die Linke sucht ihre Rolle
Die Linke hat auf dem Parteitag zwei Frauen an die Spitze gewählt. Bei der Frage, ob die Partei auch im Bund Koalitionen eingehen sollte, bleibt sie gespalten.
Eine echte Chance auf den Parteivorsitz der Linken hat er nicht. Doch Reimar Pflanz aus Brandenburg hat eine Botschaft an seine Partei, und seine Kandidatur ermöglicht es ihm, diese Botschaft am Samstag öffentlichkeitswirksam beim digitalen Parteitag der Linken zu verkünden.
Unbedingter Regierungswille führe zu einer „Veränderung bis zur Unkenntlichkeit“, wie es bei den Grünen passiert sei, sagt der Brandenburger Linken-Politiker, der ein „klares Nein zur Regierungsbeteiligung“ fordert.
Dabei ist seine Partei in Berlin und Bremen an Regierungen beteiligt, in Thüringen stellt sie seit Jahren sogar den Ministerpräsidenten. Doch die ganz Linken in der Partei sind aus Prinzip gegen eine Koalition auf Bundesebene, und der Kandidat aus Brandenburg hat eines der größten innerparteilichen Streitthemen in diesem Wahljahr angesprochen.
Die Linke sei die Partei, die im Bund keine anderen Koalitionsoptionen habe, sagt Pflanz. „Wir sind erpressbar. Wir werden nicht umgestalten, sondern umgestaltet werden.“ Das passiere bereits, sagt er mit Blick auf eine parteiinterne Debatte über UN-Friedensmissionen. Die Linke dürfe sich nicht „in vorauseilendem Gehorsam anpassen“.
[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
Direkt nach ihm tritt die Frau ans Mikrofon, an die diese Kritik wohl in erster Linie gerichtet ist: Die Thüringer Landes- und Fraktionschefin Susanne Hennig-Wellsow wirbt seit Bekanntgabe ihrer Kandidatur dafür, dass die Linke auch im Bund zur Übernahme von Verantwortung bereit ist. Nicht alle in der Partei sind mit diesem Kurs einverstanden, sie fürchten, dass die Partei in einer möglichen Koalition zu viele Kompromisse machen und von der reinen linken Lehre abrücken würde.
Hennig-Wellsow legt nach der Intervention ihres Mitbewerbers spontan ihre vorbereitete Rede beiseite und spricht frei. Sie trete an, weil sie etwas verändern wolle, sagt sie auf der Bühne der Station Berlin, während die Delegierten die Rede per Videokonferenz verfolgen.
In Thüringen hält die 43-jährige frühere Eisschnellläuferin seit dem Amtsantritt von Regierungschef Bodo Ramelow Koalition, Fraktion und Partei zusammen. Diese Erfahrungen möchte sie im Wahljahr auf die Bundesebene übertragen.
Hennig-Wellsow: Union aus der Bundesregierung vertreiben
„Lasst uns nicht mehr warten!“, ruft Hennig-Wellsow in die Kameras. Die Menschen könnten ebenfalls nicht mehr warten. Hennig-Wellsow zeichnet in ihrer Rede das Bild einer Partei, die sich für ganz konkrete gesellschaftliche Veränderungen stark macht, damit es den Menschen besser gehe. „Ich werbe dafür, dass wir die CDU und CSU aus der Bundesregierung vertreiben. Ob Schwarz-Grün kommt oder Rot-Rot-Grün, liegt auch an uns.“
Mit ihrem leidenschaftlichen Plädoyer für die Übernahme von Verantwortung holt Hennig-Wellsow bei der Wahl zur Parteivorsitzenden bei zwei Gegenkandidaten 70,5 Prozent der Stimmen. Für Linken-Verhältnisse sind Ergebnisse in dieser Größenordnung keineswegs unüblich, die Amtsvorgängerin Katja Kipping erhielt bei ihrer Wiederwahl 2018 ohne Herausforderer nur 64,5 Prozent der Stimmen.
Gegen Hennig-Wellsow kann allerdings der Außenseiter Pflanz mit seiner Fundamentalkritik an Regierungsbeteiligungen fast ein Fünftel der Delegierten für sich gewinnen – ein Zeichen dafür, wie gespalten die Partei in dieser Frage ist.
[Lesen Sie bei Tagesspiegel Plus ein Interview mit den Kandidatinnen für den Linken-Vorsitz, Susanne Hennig-Wellsow und Janine Wissler.]
Die hessische Linken-Fraktionschefin Janine Wissler geht in ihrer Bewerbungsrede auf das Thema Regierungsbeteiligung gar nicht erst ein. Die 39-Jährige engagierte sich erst in der trotzkistischen Bewegung „Linksruck“, die sich eine Einflussnahme auf große linke Organisationen und Parteien zum Ziel gesetzt hatte.
Zudem gehörte Wissler dem aus dem „Linksruck“ hervorgegangenen Netzwerk „marx21“ an, das vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Nach Bekanntgabe ihrer Kandidatur trat sie zwar aus, aber als Marxistin steht sie weiter inhaltlich hinter den Positionen des Netzwerks. Demnach sind nicht Veränderungen in kleinen Schritten das Ziel, sondern Klassenkampf und die Abschaffung des kapitalistischen Systems.
„Nicht nur ein größeres Stück vom Kuchen“
„Es geht nicht nur um ein größeres Stück vom Kuchen, es geht um die Bäckerei, es geht ums Ganze“, sagt Wissler in ihrer Bewerbungsrede. Sie fordert eine Umverteilung von Reichtum, die Enteignung von Immobilienkonzernen – und ein „Aufbegehren gegen die Verhältnisse“. Anerkennung und Würde bekomme man nicht geschenkt, sie würden erkämpft. „Wir wollen einen Systemwechsel für eine solidarische Gesellschaft.“
Wissler, die auf einem quotierten Platz und ohne Gegenkandidaten antritt, erhält mit 84,2 Prozent deutlich mehr Unterstützung als Hennig-Wellsow, bei den Linken gilt das als ausgezeichnetes Ergebnis. Die Wahl der beiden neuen Vorsitzenden muss noch durch eine Briefwahl bestätigt werden.
Einen Dämpfer bekommt auf dem Parteitag auch der Verteidigungsexperte Matthias Höhn, der kürzlich eine innerparteiliche Debatte in der Außen- und Sicherheitspolitik eröffnete. Entgegen dem kategorischen Nein der Linken zu Auslandseinsätzen sprach er sich für eine deutsche Beteiligung an Friedensmissionen der Vereinten Nationen aus. Doch der Parteivorstand erteilte ihm eine Abfuhr.
In seiner Rede wirbt auch Höhn für eine Regierungsbeteiligung. „Parteipolitik ist kein Selbstzweck.“ Die Linke solle nicht darauf warten, dass sich die Gesellschaft zu ihren Gunsten verändere. Doch bei seiner Kandidatur für den stellvertretenden Vorsitz verfehlt Höhn die nötige Mehrheit.