Wie sich die Linke auf das Wahljahr einstimmt: „Wir drücken uns nicht vor der Verantwortung“
Ist die Linke im Bund willens und fähig zum Regieren? Diese Frage beschäftigt die Partei im Wahljahr. In den Umfragen liegt sie jedoch auf dem letzten Platz.
Gregor Gysi steht auch in seiner eigenen Partei wieder im Rampenlicht. Lange hatte der Linken-Politiker keine richtige Rolle in seiner Fraktion, die er zuvor geführt hatte. Doch mittlerweile ist er außenpolitischer Sprecher, und seine Fraktion holte ihn beim politischen Jahresauftakt am Dienstagabend als einen der ersten auf die Bühne.
Außenpolitischer Sprecher – das sei doch für einen wie ihn nur etwas „für den Vormittag“, merkte Moderator Sergej Lochthofen an. Was denn da noch komme? Dieser Frage wich Gysi geschickt aus. „Ganz schön anstrengend“ sei es, einfacher Abgeordneter zu sein, außerdem arbeite er ja auch noch als Rechtsanwalt und Autor. Umso ausführlicher sprach er über ein Thema, das die Linke in diesem Wahljahr noch intensiv beschäftigen dürfte – die Frage, ob die Partei auf Bundesebene sowohl willens als auch fähig zum Regieren wäre.
Wer eine Antwort auf diese Frage sucht, kommt um Gysis neues Betätigungsfeld, die Außenpolitik, nicht herum. Sie gilt als das größte Hindernis für ein theoretisch denkbares Bündnis mit Grünen und SPD. Gysi selbst verweist in diesem Zusammenhang auf die Russlandpolitik. Hier sieht er „gewaltige“ Unterschiede zu den Grünen und auch zum SPD-Außenminister.
Der Linken-Politiker versucht an diesem Abend das dialektische Kunststück, seine Partei zugleich als absolut prinzipientreu und kompromissfähig aussehen zu lassen. „Wer nicht kompromissfähig ist, ist nicht demokratiefähig. Und wer zu viele Kompromisse macht, gibt seine Identität auf.“ Ein Kompromiss dürfe nicht so aussehen, dass man zwei Schritte in die richtige Richtung mache und dann einen in die falsche. „Alle Schritte müssen in die richtige Richtung gehen, sie können nur kürzer sein, als man es sich vorgestellt hat.“ Gysis Fazit in Sachen Regierungsfähigkeit? „Wir drücken uns nicht davor. Wir sind auch bereit, in diese Verantwortung zu gehen.“ In seiner Partei sei eine Mehrheit dafür.
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Ein Blick auf die Umfragen zeigt allerdings, dass die Linke noch sehr weit davon entfernt ist, sich dieser Frage überhaupt ernsthaft stellen zu müssen. Mit Grünen und SPD zusammen gibt es derzeit keine Mehrheit. Unter den im Bundestag vertretenen Fraktionen liegt die Linke derzeit in der Wählergunst auf dem letzten Platz. Nur noch sechs Prozent würden laut ARD-Deutschlandtrend der Partei ihre Stimme geben. Bei der Bundestagswahl 2017 hatte die Partei noch mehr als neun Prozent geholt.
Dabei haben die Linken in der Coronakrise die Nöte derjenigen betont, die unter der Situation besonders leiden. Die Krise habe die bestehende soziale Ungleichheit verstärkt, sagt Noch-Parteichefin Katja Kipping. Die Linke fordert eine Vermögensabgabe, eine Umkehr der Privatisierung im Gesundheitswesen und „FFP2-Masken für alle“ statt nur für diejenigen, die sie sich leisten können. „Wir leben in einer Klassengesellschaft, es geht um Klassenfragen“, sagt die hessische Linken-Fraktionschefin Janine Wissler, die im Februar für den Parteivorsitz kandidiert. „Wenn wir die Macht- und Eigentumsverhältnisse nicht ändern, werden wir diese Krise nicht lösen.“
Kann die Linke AfD-Wähler zurückgewinnen?
Beim politischen Jahresauftakt der Linken-Fraktion, der wegen der Pandemie vor leeren Stuhlreihen im Berliner Admiralspalast stattfand und per Video übertragen wurde, ging es am Rande auch um die Frage, warum die Linke mit ihren Botschaften nicht mehr Zuspruch erhält. Die Linke habe es „versäumt, so zu sprechen, dass es die Leute kapieren“, sagt der Parlamentarische Geschäftsführer Jan Korte.
Fraktionschef Dietmar Bartsch will in diesem Jahr diejenigen im Osten, die früher die Linke und später die AfD wählten, zumindest teilweise zurückgewinnen. Dass es die AfD gebe, sei ein Ergebnis von Politik. Dafür hätten die Regierenden die Verantwortung, „aber wir eben auch“, betont Bartsch. „Die AfD hat eine Leerstelle besetzt“, sagt der Fraktionsvorsitzende. „Wir haben das nicht geschafft. Wir haben Menschen, die nicht einverstanden sind, verloren.“
Am Wahlkampf der Linken will sich auch die innerparteilich umstrittene Ex-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht wieder aktiv beteiligen. In Nordrhein-Westfalen soll sie nach dem Willen des dortigen Landesvorstands die Liste anführen, obwohl sie ihren Wohnsitz im Saarland hat. Auf die Frage, was denn ihre persönlichen Pläne seien, sagt sie nur, sie wolle sich in der nächsten Bundestagsfraktion wieder einbringen. Die Zeit der erbitterten Machtkämpfe bei den Linken dürfte wohl noch nicht vorbei sein.