CDU-Vize Julia Klöckner: "Zuwanderer müssen akzeptieren, dass Frauen Respektspersonen sind"
CDU-Vize und Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner spricht im Interview über Feminismus, Kopftücher, #Metoo und die Weltbilder muslimischer Männer.
- Anna Sauerbrey
- Til Knipper
Frau Klöckner, sind Sie Feministin?
Das ist eine Frage der Definition. Das, was man unter einer klassischen Feministin versteht, bin ich mit Sicherheit nicht. Ich bin 1972 geboren und in einer Zeit groß geworden, in der man für vieles nicht mehr kämpfen musste, was Frauen und Männer vor uns erkämpft haben. Wir brauchen heute eine andere Form von Feminismus, damit wir keine Rückschritte machen. Vor allem müssen wir im Blick haben, dass auch im Zuge von Einwanderung und der Integration von Flüchtlingen Frauenrechte geschützt werden.
Sie haben zum Thema Einwanderung und Frauenrechte ein Buch geschrieben, das am Dienstag erscheint, es heißt: „Nicht verhandelbar“. Eine Ihrer zentralen Thesen ist: Die Errungenschaften des Feminismus sind in Gefahr. Wo sehen Sie die größten Probleme?
Eigentlich ist in Deutschland allgemein anerkannt, dass Mädchen und Jungen gleich viel wert sind. Die Gleichbehandlung von Männern und Frauen ist in vielen Bereichen auch gerichtlich einklagbar. Wir sind also weit gekommen und setzen uns immer noch stark für die Gleichberechtigung ein - allerdings dort, wo es nicht weh tut, zum Beispiel bei der gendergerechten Sprache. Wir vergessen dabei, dass es unter Frauen und Mädchen aus Einwandererfamilien viele gibt, die noch nicht einmal an den Mindeststandards teilhaben können. Auch dafür müssen wir kämpfen.
In Ihrem Buch geht es auch um Gewalt gegen Frauen. Was hat die Zuwanderung der vergangenen Jahre verändert?
Unter Gewalt im weiteren Sinne verstehe ich auch, wenn man Mädchen und Frauen nicht an Selbstverständlichkeiten wie dem Schwimmunterricht teilhaben lässt – oder nur im Burkini. Da müssen wir eine klare Grenze ziehen. Es muss allen klar sein, dass Mädchen in Deutschland gleich viel wert sind und dass Lehrerinnen Respektspersonen sind. Ein Vater kann nicht verlangen, an einem Elternsprechtag nur mit einem Mann zu reden. Wenn wir da nachgeben, ist das nicht kulturelle Sensibilität. Wir fallen so den Frauen in den Rücken, die unter diesen patriarchalischen Strukturen leiden oder die sich versuchen frei zu kämpfen.
Sie sprechen in Ihrem Buch auch über Gewalt gegen Frauen und Mädchen aus der Mehrheitsgesellschaft. Sie meinen zu beobachten, dass sich Frauen und Mädchen aus dem öffentlichen Raum zunehmend zurückziehen, ihre Töchter nicht Bus fahren lassen oder nur mit Pfefferspray joggen…
Ich bin weit davon entfernt, vom Untergang des Abendlandes zu reden. Integration gelingt in den meisten Fällen sehr gut, und wir sind alles in allem nach wie vor ein sicheres Land! Dennoch gehört zur Wahrheit auch dazu, dass es Veränderungen gibt. Bei meinen Vorort-Sprechstunden erzählen mir Frauen oft, dass sie sich viel mehr Gedanken machen, wo ihre Töchter unterwegs sind. Das hängt natürlich auch davon ab, wo jemand lebt, welche Erfahrungen dort gemacht wurden. Natürlich bringen Zuwanderer aus patriarchalisch geprägten Ländern auch ihre Grundhaltung gegenüber Frauen mit, die sie über Jahrzehnte gewohnt waren – sie wird ja nicht an der Grenze abgegeben. Diese Grundhaltung bezieht sich nicht nur auf Frauen innerhalb der Familien. Das reicht weit in unsere Gesellschaft hinein. Ich verlange von eingewanderten Männern nicht, dass sie von einem Tag auf den anderen mit allem vertraut sind, was uns wichtig ist. Aber ich verlange, dass sie dazu bereit sind, zu akzeptieren, dass Frauen bei uns gleichberechtigt, dass sie auch Respektspersonen und schon gar kein ,Freiwild’ sind, nur, weil sie nicht verschleiert sind oder einen kurzen Rock tragen.
Sie sagen, Sie fürchten nicht das Ende des Abendlandes. Aber Sie fragen auch, wie „Deutschland in 20 Jahren aussehen wird angesichts von Hunderttausenden von jungen Männern, die in unserem Land leben und von Frauenrechten noch nie gehört haben“. Also doch die Islamisierung des Abendlandes?
Es gibt doch nicht nur schwarz oder weiß, nicht nur alles gut oder alles schlecht! Wir müssen über das reden, was uns herausfordern wird, um die Gesellschaft zusammenzuhalten. Wer abstreitet, dass Zuwanderung auch Konflikte mit sich bringen kann, der versäumt es, eine Debatte in der Mitte der Gesellschaft zu führen. Am Ende profitiert nur die AfD davon, wenn keiner mehr Augen und Ohren für Differenzierungen hat.
In Ihrem Buch zählen Sie noch einmal alle Fälle der vergangenen Jahre auf, in denen Frauen von Migranten vergewaltigt wurden. Noch einmal: Wo ist da der Unterschied zur Angstpolitik der AfD?
Ich finde die Frage nicht fair. Sie unterstellen, wenn man über Fakten und die daraus resultierenden politischen Herausforderungen spricht, ein AfDler zu sein. Gerade diese Keulen für Menschen, die ernsthaft und mit Maß und Mitte über neue Herausforderungen sprechen möchten, diese Keulen machen mundtot und bewirken bei vielen leider Sympathien für die AfD. Wenn Sie mein Buch wirklich komplett lesen, werden Sie feststellen, dass ich immer wieder betone, dass wir nicht pauschalisieren dürfen, dass es unter Deutschen ebenfalls Übergriffe gegen Frauen gibt. Ich habe auch nicht alle Fälle aufgezählt, ich kenne natürlich gar nicht alle. Ich beschäftige mich seit sieben Jahren mit dem Thema, schon als Fraktionsvorsitzende in Rheinland-Pfalz. Ich habe einen Beraterkreis von Frauen und einen Beraterkreis mit Menschen muslimischen Glaubens. Wir haben mehrere Integrationsgipfel veranstaltet. Daraus ziehe ich ein politisches Zwischenfazit: Das ist dieses Buch. Ich will beschreiben, welche Aufgaben wir haben, damit Integration gelingt. Ich will, dass unsere Gesellschaft zusammenhält, und wer sonst für Equal Pay auf die Straße geht, weil es ihm um Frauen geht, der muss auch den Mund aufmachen, wenn voraufklärerische Frauenbilder im Alltag unwidersprochen verbreitet werden. Mir ist egal, woher jemand kommt, mir ist wichtig, wo jemand steht, wenn er in unserem Land lebt.
In Deutschland entzünden sich Integrationsdebatten verlässlich am Thema Verschleierung. Auch Sie sprechen das im Buch immer wieder an. Wie oft sehen Sie in Deutschland Frauen in Burka oder Nikab?
Die Qualität eines Menschenbildes entscheidet sich nicht an der Quantität der Erscheinung. Das wäre zynisch. Es geht mir um ein Geschlechterbild, das Frauen geringschätzt und gegen das es einen Aufschrei geben müsste.
Also wie oft?
Von Burka spreche ich nicht, weil sie in Deutschland nicht oft vorkommt, aber von Vollverschleierung. Und die kommt zum Beispiel in meiner Heimatstadt Bad Kreuznach oder in Ludwigshafen, in Berlin und anderen Städten durchaus vor. Ärzte und medizinisches Personal aus Krankenhäusern denken sich doch die Konflikte nicht aus, wenn bei deren Behandlung es zu Konflikten kommt. Ärztinnen erzählen auch keine Märchen, wenn sie uns Politiker dazu auffordern wahrzunehmen, dass fundamentalistische Männer keine Einzelfälle sind, die eine weibliche Ärztin nicht akzeptieren. Finden Sie das gut oder erst ab einer gewissen Zahl nicht mehr?
Also einmal im Jahr, zehn Mal?
Wenn Sie wollen, jeden Tag, es kommt darauf an, wo Sie sich bewegen. Dennoch bleibt meine Gegenfrage: Hat eine Überzeugung, ob etwas frauenverachtend ist nur etwas mit der Anzahl der Vorkommnisse zu tun, oder sollte man nicht grundsätzlich eine Haltung dazu haben? Die Vollverschleierung ist eine Manifestation der Desintegration und ein Ausdruck der Abwertung des weiblichen Geschlechts, das in der Öffentlichkeit der Identität und der gleichberechtigten Teilhabe beraubt wird – und damit relevant.
Die Frage ist doch: Ist die Vollverschleierung nur Ausdruck einer extremen Ausformung des islamischen Weltbilds, die sehr selten ist, oder ist sie repräsentativ für den Islam, wie er überwiegend in Deutschland gelebt wird. Uns würde interessieren, wie Sie das sehen.
Ich pauschalisiere nicht. Es gibt doch nicht „den Islam“ oder „das islamische Weltbild“. Es gibt sehr aufgeklärte Muslime, einige davon zählen zu meinem Beraterkreis – und es gibt extreme und fundamentalistische Ausprägungen. Mir ist die Religion egal, mir geht es um das Thema Frauenrechte, die unter keinem Deckmantel auch immer, und sei es der Religion, zurückgedrängt werden dürfen. Diese Zeiten sollten eigentlich beendet sein.
Ist das Kopftuch diskriminierend?
Beim Kopftuch wird die Frau nicht identitätslos wie bei der Komplettverschleierung. Dass aber kleine Mädchen schon Kopftücher tragen sollen, ist fatal. Sie werden bereits in jungen Jahren reduziert und sozusagen sexualisiert. Das ist ein krudes Geschlechterbild. Es ist Ausdruck für ein Weltbild, in dem Frauen weniger Rechte haben als Männer. Ich will mich damit nicht abfinden.
Sie verteidigen in Ihrem Buch vehement das Berliner Neutralitätsgesetz, das muslimischen Frauen mit Kopftuch untersagt, als Lehrerinnen in Grundschulen zu arbeiten, und ähnliche Regelungen, die eine Tätigkeit als Richterin, Staatsanwältin oder Polizistin unterbinden. Warum?
Bei der Frage der staatlichen Neutralität geht es für mich darum, dass eine Lehrerin, die ein Kopftuch trägt, direkt oder indirekt Druck auf muslimische Mädchen ausübt. In der Schule muss Neutralität herrschen. Wir dürfen als Staat nicht die politische Haltung vermitteln, die hinter dem Kopftuch steht, dass Mädchen muslimischen Glaubens ohne Kopftuch keine anständigen Mädchen und Frauen sind.
Es gibt aber doch viele Beispiele von Frauen, die ein Studium absolvieren, dann aber nicht Richterin oder Lehrerin werden können, weil sie ein Kopftuch tragen. Einem muslimischen Mann würde das nicht passieren. Ist das nicht widersprüchlich?
Genau das ist doch der Punkt: Für den muslimischen Mann gibt es keine Kleidervorschriften. Es ist doch eine politische Aussage, dass die Frau, nur, weil sie ein anderes Geschlecht hat, ein anderes Recht hat, in der Öffentlichkeit aufzutreten als ein Mann.
Sie sagen, es gehe Ihnen nicht um Religionskritik, sondern um die Gleichberechtigung. Wie sehen Sie denn heute den Stand der Gleichberechtigung in Deutschland?
Es gibt noch immer ein großes Gefälle zwischen den rechtlichen Mindeststandards und der Praxis. Wichtig ist, dass Frauen die Wahlfreiheit haben. Keine muss Dax-Vorstand werden, aber die, die es will und kann, soll es auch machen können. Dafür müssen wir kämpfen.
Sie deuten in Ihrem Buch an, dass Sie die Sexismus-Debatten der vergangenen Jahre teilweise für unberechtigt hielten. Sie sprechen in Zusammenhang von #Metoo und #Aufschrei von einem „schmalen Grat zwischen Verbrechen und Hysterie“…
Es ist ganz wichtig, auf sexuelle Diskriminierung und Übergriffe aufmerksam zu machen, besonders dort, wo Frauen in Abhängigkeitspositionen sind, zum Beispiel am Arbeitsplatz. Das Wort „Altherrenwitz“ ist für so was beschönigend. Wir müssen allerdings aufpassen, dass nicht jeder misslungene Flirtversuch auch ein #Metoo ist oder ein #Aufschrei und dass das mit einer Vergewaltigung gleichgesetzt wird. Sonst hört irgendwann keiner mehr hin, wenn eine Frau in banger Not und Bedrängung ist.
Spielen Sie nicht mit Ihrem Buch verschiedene Frauenbewegungen gegeneinander aus – die Frauen, die sich gegen sexuelle Belästigung im Alltag wehren, gegen Frauen, die für die Rechte von Musliminnen kämpfen?
Das machen Sie gerade, nicht ich. Und darüber freuen sich die Männer, die nach wie vor glauben, sie können über Frauen bestimmen.
Kommen wir zu den Lösungen: Was kann denn der Staat tun, um Migranten aus patriarchal geprägten Gesellschaften besser zu integrieren und ihnen die Gleichheit von Mann und Frau zu vermitteln?
Ich meine, dass der Erfolg der Integration entscheidend von der Rolle der Frau abhängt. Jeder Macho hat eine Mama – jede Generation wird von der vorherigen geprägt.
Müsste man nicht auch bei den Männern ansetzen?
Natürlich, das eine schließt das andere nicht aus. Dennoch: In der Befähigung der Frauen liegt viel Potenzial. Wir müssen Frauen, ganz gleich woher sie kommen, die gleichen Chancen eröffnen. Dazu zählt, dass sie an Bildung teilhaben und dass sie gefördert werden. Frauen sollten an Integrationskursen, Aus- und Weiterbildungsangeboten genauso teilnehmen. Frauen sollten wir die Möglichkeit geben, Zuflucht zu finden, wenn sie unterdrückt sind. Und wir sollten aktiver hinsehen und aktiver handeln, nicht warten, bis sich nur die Starken melden.
Das Gespräch führten Anna Sauerbrey und Til Knipper.
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