Offener Brief: Familienverbände stellen sich gegen "Ankerzentren" für Flüchtlinge
Viele Flüchtlinge in Deutschland sind Kinder und Jugendliche. Die geplanten Zentren seien für sie ungeeignet, warnen 24 Verbände und Organisationen in einem offenen Brief.
Mehr als 20 Familien- und Flüchtlingsverbände haben sich mit einem offenen Brief gegen die Pläne für sogenannte Ankerzentren gewandt. Sie halten die geplanten Einrichtungen für ungeeignet für Kinder und Familien. Das Schreiben ist adressiert an Städte und Gemeinden sowie die Ministerien für Inneres und Familie. Auf Grundlage der bisher bekannten Pläne von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sei klar: "Ankerzentren sind keine geeigneten Orte für Kinder und Jugendliche", erklärte Meike Riebau, rechtspolitische Sprecherin von Save the Children Deutschland am Samstag.
Zu den 24 Unterzeichnern zählen neben Save the Children unter anderen der Bundesverband der Arbeiterwohlfahrt, der Paritätische Gesamtverband, das Deutsche Kinderhilfswerk, die Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendhilfe, Pro Asyl und SOS Kinderdorf, aber auch der Flüchtlingsrat Brandenburg. Die Organisationen verweisen darauf, dass 45 Prozent der im vergangenen Jahr nach Deutschland gekommenen Flüchtlinge Kinder und Jugendliche waren. "Ihre Rechte müssen in allen Verfahren berücksichtigt werden. Dazu gehören zum Beispiel der Besuch von Schulen und Kindergärten und eine Umgebung, in der Kinder sicher und gesund aufwachsen können", heißt es in dem Schreiben.
Es sei pädagogisch und rechtlich außer Frage, dass Kinder nicht nur besonderen Schutz benötigten, sondern ihnen elementare Rechte nicht vorenthalten werden dürften, erklärte Riebau. "Das Kindeswohl muss Vorrang vor sicherheitspolitischen Erwägungen haben."
Für einen gelungenen Start in Deutschland bräuchten Flüchtlingskinder Zugang zu Bildungsangeboten sowie Gesundheitsleistungen, um Krankheiten zu behandeln oder traumatisierende Erlebnisse zu bearbeiten. Auch Rückzugsräume, um zur Ruhe zu kommen, seien wichtig. "Die Pläne der Bundesregierung lassen diese Erkenntnisse nicht nur außer acht - sie laufen ihnen zuwider", kritisierte Riebau.
In den Ankerzentren sollen nach dem Willen Seehofers künftig Asylbewerber für die gesamte Dauer ihrer Antragsprüfung untergebracht werden. Damit sollen Asylverfahren und Abschiebungen nach einer möglichen Ablehnung beschleunigt werden. Der Betrieb der neuen Ankerzentren soll zunächst in Pilotversuchen getestet werden. Dafür sollen im September und Oktober bis zu fünf solcher Zentren in großen Bundesländern mit ihrer Arbeit starten, allerdings lehnen viele Bundesländer dies bislang ab.
Nahles fordert von Seehofer klares Konzept zu Ankerzentren
Die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles forderte am Wochenende die Vorlage eines konkreten Konzeptes von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU). Die entscheidenden Fragen seien bei den Ankerzentren noch ungeklärt, sagte Nahles der „Passauer Neuen Presse“. „Stattdessen kritisiert die CSU die Länder, weil diese angeblich blockieren, dabei machen die Länder nur darauf aufmerksam, dass sie nicht wissen, was auf sie zukäme - außer dass sich die Bundespolizei nicht beteiligen will.“ Solange Seehofer nicht für Klarheit sorge, werde er sich kritische Fragen gefallen lassen müssen, sagte Nahles.
Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Helmut Dedy, forderte Lösungen mit Augenmaß. Die Einrichtungen sollten „keine Massenunterkünfte werden, die die betroffenen Städte überfordern“, sagte er der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Die Zentren müssten sich in die Städte einfügen können.
Weiterhin keine Reform der Asylprozesse in Sicht
Unterdessen wehrt sich Bayern gegen eine Reform der Asylprozesse. Wie der "Spiegel" berichtet, hat Landesinnenminister Joachim Herrmann (CSU) einen Brief an seinen Parteichef, Bundesinnenminister Horst Seehofer, geschrieben, in dem er sich dafür ausspricht, das Vorhaben auszusetzen.
Die SPD-geführten Länder Berlin, Hamburg, Brandenburg und Bremen hatten im Frühjahr eine Initiative in den Bundesrat eingebracht, Berufungen bei den oberen Verwaltungsgerichten zuzulassen, um eine einheitlichere Rechtsprechung zu erreichen. Weil bisher jeder Verwaltungsrichter ohne Präzedenzfälle einzeln entscheiden muss, stauen sich mittlerweile mehr als 300.000 Verfahren.
Die große Koalition im Bund hatte wenigstens einen Prüfauftrag in den Koalitionsvertrag aufgenommen. "Damit Asylverfahren bei den Verwaltungsgerichten künftig zügiger durchgeführt werden können, werden wir Gesetzesänderungen zur weiteren Verfahrensbeschleunigung, -vereinfachung und -vereinheitlichung prüfen", heißt es darin. Im Bundesrat war die Initiative jedoch nicht nur auf den Widerstand Bayerns, sondern aller unionsgeführten Länder gestoßen, weshalb die Initiatoren sie im April von der Tagesordnung nahmen. (Tsp, AFP, dpa)