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Visier, FFP3-Maske und Virenschutzkittel: In der Coronakrise benötigen Zahnärzte zusätzlichen Schutz.
© Robert Michael/dpa

Sorge vor Insolvenzen wegen Corona: Zahnärzte wollen auch unter einen Rettungsschirm

Wie Kliniken und Praxisärzte wollen auch Zahnärzte unter einen Corona-Schutzschirm. Ansonsten drohten Insolvenzen und Versorgungsengpässe, warnen Funktionäre.

„Lange halten wir das nicht mehr durch.“ E-Mails mit solchen und ähnlichen Verzweiflungsrufen von praktizierenden Zahnärzten erreichen Kassenzahnärztlichen Vereinigungen in diesen Tagen zu Hunderten. Gesundheitsminister Jens Spahn hat den Betroffenen nach Funktionärsangaben schon vor Wochen finanzielle Hilfe in der Coronakrise zugesichert. Doch weil bisher nichts passiert ist, werden ihre Forderungen nun lauter.

Es sei unverständlich, „warum für Zahnärzte eine Kompensation der Umsatzeinbußen bisher nicht vorgesehen ist“, schimpft der Präsident der  Bundeszahnärztekammer (BZÄK), Peter Engel. Schließlich seien die Zahnärztinnen und Zahnärzte „von nie dagewesenen Einnahmeausfällen betroffen“. Und man habe die Politik eigens und „mit Nachdruck auf die Notwendigkeit einer Unterstützung hingewiesen“. Dabei gehe es nicht nur um die mehr als 70.000 in Deutschland praktizierenden Zahnärzte, sondern auch um deren 386.000 Mitarbeiter in den Praxen.

Kommt der Schutzschirm nach Ostern?

Tatsächlich könnte eine entsprechende Zusicherung des Ministers bereits vom 22. März stammen, wenn man einem Funktionärs-Rundbrief vom gleichen Tag glaubt. „Heute morgen hat er uns zugesagt, nach den Krankenhäusern und Ärzten zeitnah für eine gesetzliche Regelung zu sorgen, die die wirtschaftliche Sicherung der Zahnarztpraxen in dieser Krise gewährleisten soll“, hielten Engel und der Vorstandschef der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV), Wolfgang Eßer, damals fest. Nun ist zu hören, dass für die Zahnärzte zwar eine Art Rettungsschirm kommen könnte, es damit aber wohl noch bis nach Ostern dauern werde.

Im Gesundheitsministerium gibt man sich bedeckt. Spahn habe mehrfach gesagt, zunächst Krankenhäuser, Vertragsärzte und Pflegeheime zu unterstützen und sich dann anzuschauen, wie man weiteren Leistungserbringern im Gesundheitswesen helfen könne, hieß es. Dafür würden momentan die Möglichkeiten geprüft. 

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Eine normale Praxis halte die derzeitigen Einbußen durch die Coronakrise jedenfalls keine drei Monate durch, warnen derweil die Zahnarztfunktionäre. „Da ist nach vier bis sechs Wochen Exitus.“ Und was einmal weg sei, komme auch nach ausgestandener Krise so schnell nicht wieder. Schließlich koste die Eröffnung einer neuen Zahnarztpraxis mittlerweile im Schnitt 600.000 Euro. 

Die Zahnärzteschaft sei „auf die Ausweitung des finanziellen Schutzschirms für Zahnarztpraxen zwingend angewiesen“, stellte Eßer schon klar, bevor Bundeskabinett und Bundestag das Krankenhaus-Entlastungsgesetz beschlossen. Vielen Praxen sei die Einnahmebasis fast vollständig weggebrochen. Um Insolvenzen zu vermeiden, müssten sie „zumindest soweit abgesichert sein, dass sie ihren Zahlungsverpflichtungen nachkommen können“. Denn ohne Unterstützung, so Eßer, würden viele „dauerhaft aus der Versorgung verschwinden“.

Hintergründe zum Coronavirus:

Verlässliche Zahlen gibt es noch nicht. Man gehe aber „von erheblichen Einbußen bundesweit aus durch die Absage von aufschiebbaren Behandlungen“, sagte KZBV-Sprecher Kai Fortelka dem Tagesspiegel Background Gesundheit & E-Health.. „Wir sehen gerade bundesweit eine deutliche Reduktion der Patientenzahlen und des Leistungsspektrums der Behandlungen“, bestätigt Eric Bauer von der Bundeszahnärztekammer.

Um die Dimension zu erahnen, hilft ein Blick in die Länder. In Bayern etwa ging die Behandlungstätigkeit nach Kammerstatistiken um etwa 80 Prozent zurück. Private und gesetzliche Einnahmen fielen „in dramatischem Ausmaß weg“, sagt der Sprecher. Das stelle viele Praxen vor existenzielle Probleme. „Gerade junge Zahnärzte, die im Aufbau ihrer Praxen sind oder vor kurzem eine Praxis übernommen haben, leiden derzeit besonders. Sie haben Kredite aufgenommen, viel investiert.“ Nun brächen die Umsätze ein, drohten Insolvenzen. Und es gebe auch „Hinweise, dass ältere Kollegen schon früher ihren Beruf aufgeben, ohne dass die Praxis bereits an einen Nachfolger übergeben wurde“.

Zahnärzte bangen auch um die eigene Gesundheit

Dabei sind nicht nur Terminabsagen durch besorgte Patienten das Problem. Viele Zahnärzte sind selber verunsichert, befürchten Haftungsrisiken und auch eigene Ansteckung. Schließlich kommen sie dem Hals- und Rachenraum ihrer womöglich infizierten Kundschaft gefährlich nahe. Und an Corona-Schutzausrüstung mangelt es ihnen ebenso wie niedergelassenen Medizinern. So berichtet ein Zahnarzt aus Oberfranken, dass er sich in seiner Not über einen befreundeten Zahntechnikermeister mit guten Verbindungen zu Baumärkten "ein paar wenige" wiederverwendbare, weil desinfizierbare FFP3-Masken für mehr als 50 Euro das Stück habe besorgen lassen.

"Die haben aber eher eine Feigenblattfunktion, als dass sie flächendeckend für alle Patienten einsetzbar wären", relativiert er. "Jetzt haben wir noch die kühle Jahreszeit. Wenn das erst warm wird, werden all diese Masken zur Qual und uns wird der Schweiß in Strömen übers Gesicht laufen."

Doch wer eine Kassenzulassung hat, ist verpflichtet zur Versorgung. Schließungen müssen mit den Kassenzahnärztlichen Vereinigungen und zuständigen Länderbehörden abgesprochen sein. Mitunter geht es wegen eigener Erkrankung oder fehlendem Personal aber nicht anders. 

Vor allem ältere Zahnärzte scheuen neuerliche Kreditaufnahme

Einen vorläufigen Überblick über infolge der Coronakrise bereits geschlossene Praxen liefert die Kammer. In Bayern sind es demnach mittlerweile 243 (von etwa 7.000), in Baden-Württemberg 98 (von rund 5.300). Sachsen und Thüringen kommen auf jeweils 35 (von zirka 2.500 beziehungsweise 1.300). In Westfalen Lippe wurden 27 Praxen (von etwa 3.800) dicht gemacht, in Sachsen-Anhalt 23 (von zirka 1.400), in Nordrhein 22 (von rund 4.700) und in Brandenburg 7 (von etwa 1.200).

Auch mit Überbrückungskrediten sei den Praxen auf der Kippe wenig geholfen, heißt es bei den Zahnärzten. Vor allem Ältere sehen damit kaum eine Perspektive. "Wenn ich jetzt zum Beispiel noch mal.100.000 Euro aufnehme, weil mir der erforderliche Umsatz gefehlt hat, wie soll ich die in den mir verbleibenden acht Jahren wieder abzahlen?", fragt der 57-Jährige Praxisbetreiber aus Oberfranken. "Da kommt man ganz schnell an den Punkt, wo eine definitive Auflösung der Praxis die billigere Lösung ist." Und wenn nun kleinere und ältere Praxen durch die Krise an ihre Grenzen kämen, sei anzunehmen, dass Investoren das Vakuum nutzten und flächendeckend Versorgungszentren aufbauten, als Ketten oder Franchise-Systeme.

Etwa 170 Schwerpunktzentren für Infizierte als Ziel

Für die nach wie vor geöffneten gilt die Devise, dass nicht dringend erforderliche Behandlungen – also etwa Prophylaxe oder Zahnreinigung – momentan unterbleiben sollten. Viele Zahnärzte haben entsprechend auf eine Art Notbetrieb umgestellt. Die Patienten haben vorher anzurufen und die Notwendigkeit ihrer Behandlung zu schildern. Auf diese Weise lassen sich dann auch eventuelle Corona-Infektionen abklären. 

Allerdings müssen auch Menschen in Quarantäne oder mit Corona-Infektion die Gewähr haben, bei akutem Zahn- oder Kieferschmerz zeitnah behandelt zu werden. Für diese Fälle gelten ganz besondere Vorgaben, zum Beispiel eine komplette Schutzausrüstung fürs ganze Behandlungsteam und spezielle Transportvorschriften. Um die Infektionsgefahr zu minimieren, so kamen Politik und Zahnarztfunktionäre überein, sollte die Schmerz- und Notfallbehandlung von Infizierten und unter Coronaverdacht Stehenden aber „ausschließlich in Behandlungszentren an Universitäts-Zahnkliniken mit Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie und Kliniken mit einem Fachbereich Zahnmedizin erfolgen“.

Alternativ dazu kommt die Behandlung in zahnärztlichen Schwerpunktpraxen infrage, die gerade unter Verantwortung der Landes-KZVen aufgebaut werden. Anvisiert seien hiervon etwa 170 bundesweit, sagt KZBV-Sprecher Fortelka. Und diese Schwerpunktpraxen sollen nach Auskunft des BMG dann ebenso wie die Behandlungszentren vom Beschaffungsamt des Bundes zuvorderst und „in separaten Strängen“ mit Schutzausrüstung ausgestattet werden. Ob und wie das dann tatsächlich klappt, wird sich zeigen.

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