Wie sich ein Zahnarzt in der Coronakrise schützt: „Wenn ich zuhause bin, bekomme ich schon manchmal Angst“
Auf Abstand gehen, aber Patienten in den Mund schauen: Ein Berliner Zahnarzt berichtet über die absurde Situation, in der er sich zurzeit befindet.
Mischa Ommid Steude, 41, ist Zahnarzt und Mitbesitzer einer Praxis in Berlin-Wilmersdorf. Mit ihm sprach Lars Spannagel.
Herr Steude, trotz der Coronakrise und der Ausgangsbeschränkungen ist Ihre Zahnarztpraxis weiter geöffnet, wer kommt zurzeit noch zu Ihnen?
Die vergangene Woche lief noch sehr normal. Wir haben natürlich ältere Patienten gebeten, lieber zu Hause zu bleiben. Und Zahnreinigungen und ähnliche Behandlungen abgesagt. Aber weil wir einen großen Patientenstamm haben und zusätzlich als Spezialisten viele Patienten-Überweisungen aus anderen Praxen bekommen, gibt es weiter viel zu tun. Es gibt nun mal Behandlungen, die wir zu Ende bringen müssen, die man nicht abbrechen kann. Wie sich die Lage weiterentwickelt, ist schwer abzusehen. Aber es wird weniger, klar.
Wie hat sich der Alltag in Ihrer Praxis verändert?
Unsere Patienten warten nicht mehr im Wartezimmer, wir schicken sie nach der Anmeldung – jeder muss seine Hände desinfizieren – wieder raus zum Spazierengehen und rufen sie an, wenn sie dran sind. Alles ist darauf ausgerichtet, Menschen so wenig wie möglich in Kontakt miteinander zu bringen.
Welche Maßnahmen haben Sie dafür ergriffen?
Wir bilden gerade Teams aus Zahnärzten und Helferinnen, die fest zusammenarbeiten, die verschiedenen Teams sollen sich innerhalb der Praxis möglichst gar nicht mehr begegnen. Nach jeder Behandlung wechseln wir das Zimmer, alles wird desinfiziert. Was vorher Routine war, wird jetzt noch einmal viel penibler durchgeführt. Und wir versuchen, uns bei der Arbeit am Patienten selbst so gut wie möglich zu schützen.
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Wie machen Sie das?
Ich arbeite mit einem Mundschutz, OP-Kittel, OP-Haube, Einweg-Handschuhen und einem Visor, einer Art Plastikschild vor dem Gesicht, ein bisschen wie ein Schweißer. Darunter trage ich meist noch eine Lupenbrille.
Haben Sie Probleme, dieses Material zu beziehen?
Ich habe genug Ausstattung, aber nicht die Ausstattung, die noch sicherer wäre. FFP2- und FFP3-Masken sind schwierig zu beziehen. Das ist aber für mich in Ordnung, da diese Masken natürlich viel dringender in Krankenhäusern benötigt werden, wo sich die allermeisten Infizierten befinden.
Was hat sich für Ihre Patienten geändert?
Wir lassen den Patienten vor jeder Behandlung fünf Minuten lang Mund und Rachen mit viruzidem Wasserstoffperoxid ausspülen. Bei Aufklärungsgesprächen sitze ich in angemessenem Abstand. Und weil ich bei der Behandlung eine Lupenbrille trage, kann ich auch dabei ein wenig mehr Abstand halten.
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Macht Ihnen diese Vorstellung, am Coronavirus zu erkranken, Angst?
Ich gehöre zu keiner Risikogruppe, ich bin 41 Jahre alt, habe keine Vorerkrankungen. Auf der anderen Seite will ich das Virus natürlich nicht bekommen und nicht krank werden. Beruhigender wäre Homeoffice, aber das geht natürlich nicht. Außerdem gehöre ich zu den systemrelevanten Berufsgruppen, ähnlich wie Pflegepersonal, ÄrztInnen und KassiererInnen.
Ihr Praxis schließen können Sie also nicht?
Wenn wir zumachen würden, sind wir gesetzlich verpflichtet, eine zahnärztliche Vertretung zu bestimmen – und diese Praxis ist auch nicht besser dran als wir. Und wenn alle schließen, sammeln sich die Patienten in wenigen Notfall-Praxen, die noch geöffnet sind. Dort ist dann das Ansteckungsrisiko noch einmal viel größer durch die Ansammlung vieler Menschen. Wir müssen also behandeln, um das System zu entlasten. Und ich habe natürlich eine wirtschaftliche Verantwortung gegenüber meinen Angestellten, an der Praxis hängen 30 Existenzen. Ab kommendem Monat wird ein Teil des Personals voraussichtlich in Kurzarbeit gehen müssen, das bereitet mir große Sorgen. Des Weiteren habe ich eine Versorgungspflicht meinen Patienten gegenüber, die ich gerne einhalten möchte.
Wie gehen Sie als Praxisbesitzer mit der aktuellen Lage um?
Ich befinde mich in einem Konflikt, den ich leider nicht lösen kann. Auf der einen Seite übe ich Social Distancing, auf der anderen Seite schaue ich einem Patienten in den geöffneten Mund. Eine absurde Situation.
Und wie empfinden Sie die Situation als Privatperson, die sich selbst anstecken könnte?
Ich habe ein ganz merkwürdiges, abstraktes Verhältnis dazu entwickelt. Beim Einkaufen gestern hat eine Kundin im Supermarkt den Abstand zu mir nicht eingehalten, das ist mir extrem auf die Nerven gegangen, ich habe mich total unwohl gefühlt. Bei der Arbeit aber liegen die Patienten direkt vor mir und machen den Mund auf. In dem Moment kann ich das abschalten, das ist mein Beruf. Aber wenn ich zuhause bin, bekomme ich schon manchmal Angst.
Wie gehen Ihre Patienten mit der Situation um?
Unsere Patienten sind meistens enttäuscht, wenn wir unter den entsprechenden Umständen ihren Termin in den Mai verlegen wollen. Sie haben großes Vertrauen in unsere Schutzmaßnahmen.
Haben Sie einen Tipp für Menschen, die jetzt mit Zahnschmerzen aufwachen?
Wenden sie sich an den Zahnarzt Ihres Vertrauens. Rufen sie dort an und erkundigen sie sich nach der aktuellen Situation. Ich stehe in intensivem Austausch mit den Kollegen und Kolleginnen, die Situation wird meist sehr ernst genommen und Schutzmaßnahmen überall verschärft. Ins Krankenhaus und in die Notaufnahmen kann man nicht gehen, die haben andere Probleme. Zahnschmerzen gehen in der Regel nicht von alleine weg, die werden schlimmer. Zahnschmerzen machen in der Coronakrise leider kein Homeoffice.