zum Hauptinhalt
Der Gewalt Einhalt gebieten und den Frieden sichern - das ist das Leitmotiv der Vereinten Nationen. Die Realität sieht oft anders aus.
© Eduardo Munoz/Reuters

Neuer UN-Generalsekretär: Wofür werden die Vereinten Nationen noch gebraucht?

António Guterres soll der neue UN-Generalsekretär werden. Er muss die Weltorganisation reformieren und ihr so zu neuem Renommee verhelfen. Eine Analyse.

Überraschend schnell, überraschend einig: Die Mitglieder des Weltsicherheitsrats haben sich auf António Guterres als künftigen Generalsekretär der Vereinten Nationen (UN) verständigt. Der Portugiese wird somit Nachfolger von Ban Ki Moon, dessen glanzlose Amtszeit Ende des Jahres ausläuft. Die Erwartungen an Guterres sind groß. Der 67-Jährige, der als eloquenter Pragmatiker gilt, soll die Weltorganisation modernisieren, ihr wieder zu Ansehen verhelfen. Dafür bringt Guterres einiges mit. So ist er mit einer der größten Krisen der Weltgemeinschaft bestens vertraut. Als UN-Flüchtlingskommissar hat er immer wieder auf das Leid der Menschen hingewiesen – und die mangelnde Solidarität mit ihnen beklagt.

Wie wird die Ära von Ban Ki Moon bewertet?

Schon vor seinem Amtsantritt 2007 als UN-Generalsekretär leistete sich Ban Ki Moon einen bösen Schnitzer. Freimütig gab er Ende 2006 zu, dass er in seiner Heimat Südkorea als „schlüpfriger Aal“ bekannt sei. Der Hinweis war seiner Autorität nicht gerade dienlich. Es folgten weitere kleinere und größere Patzer. So lud er den Iran zu einer Syrien-Konferenz ein, um kurze Zeit später Teherans Vertreter wieder auszuladen – ein ziemlicher diplomatischer Fauxpas.

Große Initiativen gingen von ihm ebenfalls nicht aus. Zwar versuchte er schon frühzeitig, etwa das Thema Klimaschutz zu besetzen. Aber am Zustandekommen des Pariser Abkommens hatte der frühere Außenminister Südkoreas kaum Anteil. Den ganz großen Herausforderungen seiner Amtszeit – der Flüchtlingskrise und dem Syrien-Konflikt – war Ban auch nicht gewachsen. Beobachter sind sich daher einig: Ban Ki Moon wird nicht als bedeutsamer Generalsekretär in die Annalen der Vereinten Nationen eingehen.

Warum hat die Weltorganisation an Einfluss und Ansehen verloren?

Die UN spielen bei der Umsetzung ihres wichtigsten Ziels – der Schaffung von Frieden – kaum noch jene Rolle, die ihr bei der Gründung 1945 zugedacht war. Angesichts des Grauens des Zweiten Weltkriegs sollte die neue Organisation mit ihrem Herzstück, dem Sicherheitsrat, eine Ära des gewaltlosen Miteinanders der Staatengemeinschaft einleiten. „Künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren“, so lautete das Credo. Heute erschüttern etliche Kriege die Welt: von Syrien über den Südsudan und den Irak bis in die Ukraine, Jemen und Afghanistan. Terrorgruppen wie der „Islamische Staat“ errichten Gewaltherrschaften. In den Konfliktländern hungern die Menschen. Die militärischen Auseinandersetzungen zerstören Infrastruktur, Wirtschaft und Hoffnung. Über 65 Millionen Menschen sind auf der Flucht – so viele wie seit 1945 nicht mehr.

Und was macht der Sicherheitsrat? In den vergangenen Jahren ließen die 15 Mitglieder des mächtigsten UN-Gremiums viele Konflikte einfach treiben. Zudem schaffte es der Rat nicht, den Ausbruch neuer Waffengänge zu verhindern. Hauptursache der Passivität: das Vetorecht der fünf ständigen Mitglieder USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich. Sie können mit ihrem Einspruch jeden Beschluss des Rats vereiteln. Nur wenn es diesem gelingt, wieder handlungsfähig zu werden und Konflikte zu entschärfen, wird das Vertrauen in die Vereinten Nationen wieder zunehmen.

Was wird sich unter Guterres ändern?

Der Portugiese scheint dieser großen Aufgabe gewachsen zu sein. Mehr jedenfalls als Noch-Amtsinhaber Ban Ki Moon. Während Guterres über die nötigen Fähigkeiten als leidenschaftlicher Kommunikator verfügt, konnte Ban rhetorisch nie überzeugen. Schon als UN-Hochkommissar für Flüchtlinge formulierte Guterres starke Sätze. So sagte er 2013: „Syrien ist zu der großen Tragödie des 21. Jahrhunderts geworden, eine Schande.“ Während Guterres ruppig werden kann, versuchte es Ban fast immer mit Harmonie. Während Guterres die nötige Portion Gerissenheit besitzt, leistete Ban seinen Dienst zumeist brav nach Vorschrift. Der Portugiese wird daher mehr von sich und der Weltorganisation reden machen. Eine Nebenrolle wird dem ehrgeizigen 67-Jährigen wohl nicht genügen.

António Guterres gilt als Pragmatiker und ist mit den UN bestens vertraut.
António Guterres gilt als Pragmatiker und ist mit den UN bestens vertraut.
© alvatore Di Nolfi/dpa

Über echte politische Macht wird aber auch der neue UN-Generalsekretär nicht verfügen. Der künftige Mann an der Spitze kann durch Appelle Staatenlenker und Weltöffentlichkeit aufrütteln. Er muss sich jedoch vor allen mit den USA, China und Russland arrangieren. Der praktizierende Katholik Guterres brachte es immerhin fertig, dass sich die großen drei auf ihn als künftigen Generalsekretär einigten. Auf einen Mann aus Westeuropa und eben nicht auf eine Frau aus Osteuropa, wie es von vielen Beobachtern erwartet wurde.

Wie müssen die UN aufgestellt werden, damit ihre Bedeutung wieder wächst?

Angesichts der offenkundigen Schwächen der Vereinten Nationen werden die Rufe nach Reformen immer lauter. Im Mittelpunkt steht dabei der Weltsicherheitsrat. Frankreich zum Beispiel fordert, dass die fünf ständigen Mitglieder ihr Vetorecht im Falle von Massenverbrechen nicht gebrauchen sollen. Konkret geht es um Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Dadurch könnten in der Tat Blockaden des Rates vereitelt und Konflikte wie in Syrien vielleicht sogar beendet werden.

Außerdem verlangen Deutschland, Brasilien, Indien und Japan eine Erweiterung des Sicherheitsrats. Nicht ohne Eigennutz. Die vier Staaten wollen selbst in den erlauchten Kreis der ständigen Mitglieder vordringen. Mit den vieren und einem ständigen Mitglied aus Afrika würde die Legitimität des Rats tatsächlich gestärkt. Falls Guterres den Ehrgeiz hat, als bedeutender Generalsekretär in die Geschichte einzugehen, muss er die Modernisierung der UN vorantreiben.

Was können die UN in der Flüchtlingskrise bewirken?

Als Guterres vor elf Jahren seinen Job als UN-Hochkommissar für Flüchtlinge antrat, war das Schicksal der vertriebenen Menschen ein Randthema. Als er Ende 2015 abtrat, beherrschte die Flüchtlingskrise zu einem großen Teil die Weltpolitik. Guterres, Chef des UN-Flüchtlingshilfswerks tat, was er konnte: Mit seinen gut 9000 Mitarbeitern versorgte er die immer größer werdende Flüchtlingsbevölkerung, warb für sichere Migrationsrouten und forderte mehr Solidarität mit den Opfern – auch finanzielle: „Die reichen Länder dürfen sich nicht aus falscher Sorge um ihre Sicherheit verstecken.“ Doch an den Fluchtursachen, Krieg und Gewalt konnte Guterres nichts ändern. Das Flüchtlingshilfswerk und sein jeweiliger Chef können nur als Rettungsdienst agieren, die Konflikte müssen die Staaten lösen. Und solange der Sicherheitsrat blockiert ist, muss der Generalsekretär ran: Der Erfolg von Guterres wird daher auch daran gemessen werden, ob seine diplomatischen Initiativen zur Beendigung der Konflikte Erfolge zeigen.

Und was ist mit Syrien?

Selten ist Macht- und Hilflosigkeit der UN so deutlich geworden wie im Syrienkrieg. Seit mehr als fünf Jahren tobt in dem Land ein erbarmungsloser Kampf, dem schon bis zu 400.000 Menschen zum Opfer gefallen sind und Millionen zur Flucht gezwungen hat. Doch dem immensen Leid kann die Weltorganisation wenig entgegensetzen. Denn seit Langem machen die Großmächte USA und Russland unter sich aus, ob und wie es in Syrien weitergeht. Dabei bleiben die UN mehr oder weniger außen vor. Und weil die politische Kluft zwischen Washington und Moskau immer größer wird, gibt es derzeit kaum Aussichten darauf, dass der Konflikt in absehbarer Zeit friedlich gelöst werden kann.

Daran konnten und können auch die von den Vereinten Nationen eingesetzten Sondervermittler nichts ändern. Der frühere UN-Generalsekretär Kofi Annan und der algerische Diplomat Lakhdar Brahimi scheiterten bereits an der Aufgabe, eine Einigung zwischen dem Regime von Präsident Baschar al Assad und seinen Gegnern zu erreichen. Auch der jetzige Beauftragte Staffan de Mistura kann trotz allen Bemühens nach wie vor keine greifbaren Erfolge vorweisen. Vor allem das Regime in Damaskus ist zu keinerlei Kompromissen bereit – und lässt so de Misturas Engagement ins Leere laufen. Selbst von einer Feuerpause ist das Land weit entfernt. Und um die Stadt Aleppo tobt eine apokalyptische Schlacht – ungeachtet aller Appelle der UN.

Zur Startseite