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Nigerianische Vertriebene in einem Flüchtlingslager.
© AFP

Neue UN-Statistik zu Flüchtlingen: 65 Millionen ohne Heimat - das sind die Fakten

Noch nie waren so viele Menschen weltweit auf der Flucht wie Ende 2015. Die UN legen jetzt ihren neuen Report zur Lage der Schutzsuchenden vor. Wie ist ihre Situation? Eine Frage und viele eindrückliche Zahlen und Fakten.

Rekorde sind in der Regel ein Grund zum Feiern. Dieser macht fassungslos: Bis Ende 2015 mussten laut einem Bericht der UN mehr als 65 Millionen Menschen weltweit ihre Heimat verlassen. Nie zuvor haben die Vereinten Nationen eine höhere Zahl von Flüchtlingen, Asylsuchenden und Vertriebenen registriert. Würden alle Schutzsuchenden einen Staat gründen, er wäre so groß wie Großbritannien.

Aus Sicht der UN ist besonders die Tendenz der vergangenen Jahre besorgniserregend. Denn seit 2011 haben immer mehr Menschen ihr Zuhause aufgeben müssen. Vor allem der Krieg in Syrien ist eine wesentliche Ursache für den enormen Anstieg. Aber auch Dauerkonflikte wie die im Irak, Burundi und Sudan. Dass so viele Menschen heimatlos sind, fordert Europa heraus. Allein 2015 haben Hunderttausende versucht, über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen. Fast 3700 Frauen, Kinder und Männer kamen dabei ums Leben.

24 Menschen pro Minute werden zu Flüchtlingen

Bitte einmal kräftig ein- und ausatmen! Wenn Sie damit fertig sind, haben statistisch gesehen wieder zwei Menschen ihre Heimat verloren. Das entspricht durchschnittlich 24 Menschen pro Minute. Zwar liegt die Zahl für 2015 unter der des Vorjahres. 2014 waren es 30 jede Minute. Doch es gibt keinen Anlass, sich beruhigt zurückzulehnen. In den vergangenen zehn Jahren sind immer mehr Frauen, Kinder und Männer immer schneller zu Flüchtlingen geworden. Noch im Jahr 2005 mussten „nur“ sechs Menschen pro Minute ihr Zuhause verlassen. Nur eine gute Dekade später ist bereits jeder 113. Mensch auf dieser Welt ohne Heimat.

54 Prozent der Schutzsuchenden kommen aus drei Ländern

Syrien, Afghanistan und Somalia. Aus diesen Ländern stammt zusammengezählt die Mehrheit der fast 20 Millionen Flüchtlinge, die unter dem Mandat der Vereinten Nationen stehen. Das sind jene Frauen, Kinder und Männer, die außerhalb ihres Landes von den UN und Partnerorganisationen so gut wie möglich versorgt werden.

Neun Millionen davon stammen aus den drei Ländern. Die meisten neuen sogenannten Fluchtbewegungen innerhalb eines einzelnen Landes gab es 2015 allerdings im Jemen. Neun Prozent der dortigen Bevölkerung haben durch den Krieg (Saudi-Arabien bekämpft mit großem militärischem Aufwand die aufständischen Huthi-Milizen) ihr ohnehin sehr bescheidenes Hab und Gut verloren. Schätzungsweise 2,5 Millionen Menschen sind durch die Kämpfe aus ihren Dörfern vertrieben worden. Überhaupt gibt es in keiner Region mehr Flüchtlinge als im Nahen Osten und Nordafrika. Berücksichtigt man wie die UN die Palästinenser und Libyens „Binnenvertriebene“, summiert sich die Zahl der Flüchtlinge auf fast 20 Millionen. Südlich der Sahara gibt es allerdings kaum weniger Schutzsuchende. Abertausende in Nigeria, Burundi, Sudan, Somalia oder Mosambik versuchen, Konflikten, Unterdrückung und Terror zu entkommen.

50 Prozent sind jünger als 18 Jahre

Kinder leiden besonders unter Krieg und Verfolgung. Ihr Alltag ist zumeist geprägt von Not, Angst und Leid. Statt eine Schule zu besuchen, müssen sie oft arbeiten, um zum Lebensunterhalt der Familie beizutragen. Viele sind außerdem mangelhaft ernährt und traumatisiert. Vor allem angesichts der verheerenden Lage in Syrien sprechen Hilfsorganisationen von einer „verlorenen Generation“. Mit der Hoffnung auf ein besseres Leben gerade für ihre Kinder verlassen deshalb viele Eltern ihre Heimat.

Rund die Hälfte aller Flüchtlinge ist jünger als 18 Jahre. Und nach Erkenntnissen der UN steigt die Zahl derjenigen, die allein reisen oder von Vater und Mutter getrennt werden. Im vergangenen Jahr haben die Vereinten Nationen weltweit mehr als 98000 Asylanträge von unbegleiteten Minderjährigen gezählt – die höchste Zahl seit Beginn der Aufzeichnungen des Flüchtlingshilfswerks. Allein in Deutschland haben 2015 etwas mehr als 14400 Minderjährige, die ohne Angehörige unterwegs sind, Asyl beantragt.

183 Flüchtlinge kommen im Libanon auf 1000 Einwohner

Der kleine Libanon leistet Enormes. Etwas mehr als 4,5 Millionen Einwohner zählt das Land im Nahen Osten. Aber dennoch hat es seit 2011 mindestens 1,3 Millionen Syrer aufgenommen – im Verhältnis zu seiner Bevölkerungszahl mehr als jeder andere Staat der Welt. Das bedeutet eine enorme Belastung für alle. Das Schulwesen leidet unter dem ungeahnten Andrang ebenso wie das Gesundheitssystem. Der Wohnungs- wie der Arbeitsmarkt sind aus den Fugen geraten. Die Mietpreise steigen stark, die Löhne schrumpfen drastisch.

Darunter leiden auch Libanesen. Spannungen bleiben da nicht aus. Und sie nehmen in jüngster Zeit zu. Weil trotz aller bewundernswerten Gastfreundschaft immer klarer wird, dass die zumeist sehr armen Syrer noch einige Zeit im Land bleiben werden – wenn nicht gar für immer. Dabei ist die Lage der Geflüchteten schon heute oft prekär.

Die Mehrzahl haust in behelfsmäßigen, informellen Notunterkünften, oft bestehend aus Planen, Stangen und Zelten. Einen Job haben die Wenigsten, das Ersparte ist längst vom Alltag aufgebraucht. Kinder werden deshalb immer häufiger zum Arbeiten geschickt, damit wenigstens ein bisschen Geld in die Haushaltskasse kommt. Ohne internationale Hilfe kämen viele Familien überhaupt nicht über die Runden. Das Elend ist teilweise so groß, dass einige Tausend sich wieder nach Syrien aufgemacht haben. Dorthin, wo ein Krieg herrscht, dem sie eigentlich entkommen wollten.

201.400 Menschen sind Rückkehrer

Nach Hause zurückkehren – das antworten Flüchtlinge in der Regel auf die Frage, was sie sich am meisten wünschen. Sogar die Syrer, deren Heimat zu großen Teilen in Schutt und Asche liegt, haben nach wie vor diese Hoffnung. Doch die Statistiken der Vereinten Nationen für 2015 zeigen, wie unrealistisch diese Vorstellung ist. Lediglich knapp über 200000 Menschen war es vergönnt, ihre ursprüngliche Heimat wieder zu sehen. 61000 konnten nach Afghanistan zurückgehen, 39000 nach Somalia und 21000 in die Zentralafrikanische Republik. Das liegt nicht zuletzt daran, dass viele Konflikte weiter ungelöst sind – und das teilweise schon seit Jahrzehnten. So müssen viele Geflüchtete nach wie vor in ihren Aufnahmeländern (oft sind das die Nachbarstaaten) ausharren. Dort aber rutschen sie – trotz internationaler Unterstützung – immer weiter in die Armut ab. Eine erschreckende Folge: Die Kinderarbeit nimmt ebenso rasant zu wie die Zahl der Kinderehen.

2 Millionen Ukrainer haben kein Zuhause mehr

Auch Europa hat eine große Flüchtlingskrise. Nur: Kaum jemand nimmt sie noch zur Kenntnis. Dabei ist der Ukraine-Konflikt nach wie vor ungelöst. Durch die russische Annexion der Krim und den Krieg im Donbass sahen sich zwei Millionen Einwohner gezwungen, alles aufzugeben und zu fliehen. Gut die Hälfte kam in verschiedenen Teilen des Landes unter, zumeist allerdings sehr notdürftig. Darüberhinaus sind die meisten bedürftig und daher dringend auf Hilfe angewiesen. Die andere Million fand Unterschlupf in Russland und Weißrussland. Viele machten sich auch auf den Weg Richtung Polen. Da dieser Konflikt als „eingefroren“ gilt, ist die Aussicht auf eine Rückkehr in die alte Heimat gering.

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