Klimaschutz und Energiewende: „Wir sind noch stark abhängig von fossiler Energie“
Die Staatengemeinschaft muss am 1,5-Grad-Ziel festhalten, sagt Niklas Höhne. Der Klimaexperte über Störfaktoren und Lichtblicke bei der CO2-Minderung.
Herr Höhne, auf der Weltklimakonferenz von Paris haben 196 Regierungen das bisherige Zwei- Grad-Ziel verschärft. Die Erderwärmung soll möglichst auf 1,5 Grad begrenzt werden. Wie kann dies Ziel eingehalten werden?
Rein technisch und ökonomisch ist das 1,5-Grad-Ziel machbar. Dafür müssen wir allerdings unsere gesamte Lebensweise umstellen: Was wir essen, wie wir uns fortbewegen, wie wir wohnen und arbeiten und was wir produzieren. Auch für die Politik ist das Ziel wichtig. Wir müssen erkennen: Die Voraussetzungen für beide Temperaturanstiege sind die gleichen, nämlich komplett aus fossilen Energien wie Kohle, Öl und Gas auszusteigen, die uns verbleibende Zeit ist bei zwei Grad lediglich etwas größer als bei 1,5 Grad. Doch es müssen dieselben Schritte unternommen werden. Die Folgen des Klimawandels fallen bei 1,5 Grad aber erheblich schwächer aus. Wenn wir den Klimawandel ernst nehmen, müssen wir am 1,5-Grad-Ziel festhalten.
Der Sonderbericht der IPCC hat Anfang Oktober plötzlich ein größeres Budget an CO2-Emissionen eingeräumt, das bis zum Erreichen einer Grenze von 1,5 Grad noch vorhanden sei. Wie plausibel ist dieser Bericht?
Unser Wissen über das Klimasystem ist noch mit großen Unsicherheiten behaftet. Die Idee eines Budgets ist interessant und natürlich eine Vereinfachung – mit Schwächen. Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass ein „festes Budget“ an CO2-Emissionen zur Verfügung steht, es können auch etwas mehr oder weniger sein. Allerdings zeigen Bericht und Wissenschaft vier exemplarische Pfade auf, wie das 1,5-Grad-Ziel noch zu halten ist. Gut daran ist, dass der Bericht auch Pfade zeigt, die nicht mit einrechnen, dass später mit technischen Mitteln CO2 aus der Atmosphäre gezogen wird. Allen Pfaden ist gleich, dass wir bis die Emissionen bis 2050 auf null senken müssen.
Der Anstieg der Weltbevölkerung und die Wirtschaftsentwicklung in Asien sind in den kommenden Jahren die wichtigsten Wachstumstreiber für die Energiemärkte. Die Internationale Energieagentur geht bis 2040 von einem Anstieg des Energiebedarfs um 25 Prozent aus. Sind das nicht gewaltige Störfaktoren?
Es steht außer Frage, dass es schwierig ist, die CO2-Emissionen bei gleichzeitigem Wachstum des Energiebedarfs zu senken. Natürlich ist die Energienutzung zum Erreichen der jeweils nationalen Entwicklungsziele geboten. Aber auch in den aufstrebenden Märkten Asiens und Südostasiens ist ein Umdenken erkennbar, etwa in China und Indien. Lange angedachte Kohlekraftwerke verschwinden aus den Planungen. Gerade in Indien war ein Umdenken lange nicht sichtbar, das ist jetzt anders. Problematisch bleibt etwa Indonesien, wo ein starker Zuwachs der Kohlenutzung an der Energieversorgung zu erwarten ist.
Noch im Jahr 2000 fragten Europa und Nordamerika 40 Prozent des globalen Energiebedarfs nach, Asien hingegen 20 Prozent. Bis 2040 soll es umgekehrt sein. Welche Rolle sollten die Industrieländer angesichts dieser Entwicklung spielen?
Den Industrieländern kommt eine große Verantwortung zu. Sie sind es, die erheblich früher begonnen haben, CO2 zu emittieren. Ihre Bevölkerung ist zumeist nicht im Wachstum begriffen, der Energiebedarf steigt nicht mehr gewaltig an. In den Entwicklungsländern besteht nun die Möglichkeit, den Energiebedarf gleich CO2-neutral zu decken. Die Industrieländer haben hier eine Vorbildfunktion. Den Ausstieg aus der Kohlenutzung rasch zu erreichen, spielt dabei eine wichtige Rolle. Wenn das einem Land wie Deutschland nicht gelingt, wäre es fatal. Die Staatengemeinschaft schaut auf das nahende Ergebnis der Kohlekommission.
Laut dem „Brown to Green Report“ von Climate Transparency stammen 82 Prozent der verbrauchten Energie in den G20-Staaten noch aus fossilen Rohstoffen.
Klar ist, dass wir immer noch stark abhängig sind von fossilen Energieträgern. Es gibt aber auch in Europa und unter den G20-Ländern Lichtblicke. Dazu zähle ich den Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland oder den Stand der Elektromobilität in Norwegen. Es gibt auch Kehrseiten. Polen ist in Europa einer der stärksten Nutzer von Kohleenergie. In der Vergangenheit hat sich die polnische Regierung gegen stärkere Klimaziele der EU gestellt. Die Ankündigung der USA, aus dem Klimaabkommen auszusteigen, hatte dagegen bislang keine negativen Auswirkungen. Vor allem in Bundesstaaten, Städten und Unternehmen in den USA ist der Wille zur Energiewende groß.
Bislang hat kein G20-Staat ein Ziel zur Nutzung von 100 Prozent Erneuerbaren Energien bis 2050. Nun beginnt am 3. Dezember die Weltklimakonferenz in Kattowitz? Was erwarten Sie von der Konferenz?
Die nationalen Maßnahmen, die jeweils vorgeschlagen wurden, reichen bei Weitem nicht aus, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Zwar ist seit der Konferenz von Paris 2015 viel passiert. Doch die Lücke ist riesig. Selbst wenn alle bislang angekündigten Maßnahmen der Staaten umgesetzt werden, würden wir bei einer Erderwärmung am Ende des Jahrhunderts von 3,2 Grad landen. Dennoch ist es richtig, als Staatengemeinschaft ein klares Ziel gesetzt zu haben. Schärfe fehlt aber bei der Umsetzung auf Seite der Nationalstaaten. Da sind nun alle Akteure gefragt.
Reden und Handeln der Regierungen scheinen weit auseinanderzuklaffen.
Das Ziel, seien es 1,5 oder zwei Grad, betrifft alle. Nicht nur die Regierungen sind gefragt, die dadurch notwendig werdenden Veränderungen zu kommunizieren. Auf der anderen Seite müssen auch die Bürger den Regierenden zeigen, dass ihre Klimapolitik nicht mit ihren Vorstellungen vereinbar ist. Ein gutes Beispiel ist der Widerstand gegen die Rodung des Hambacher Forsts zugunsten des Braunkohleabbaus. Doch es gibt nicht nur Gewinner von Prozessen wie dem Kohleausstieg. Politik und Gesellschaft müssen angesichts des Umbruchs in ganzen Regionen auch den Verlierern Alternativen bieten.
Wie weit ist Deutschland bei der Umsetzung des 1,5-Grad-Ziels?
Die bisherigen Anstrengungen muss man als mangelhaft bezeichnen. Zwar gibt es positive Entwicklungen wie den Ausbau der erneuerbaren Energien. Doch deckeln die derzeitigen Pläne der Politik eher ihren weiteren Ausbau. Im Verkehr sind die Emissionen in den vergangenen zehn Jahren sogar gestiegen. In der Elektromobilität liegt Deutschland weit hinten. Die Gebäudeemissionen sind stabil, die Dämmung kommt mangels Maßnahmen kaum voran.
Das Interview führte Matthias Jauch. Weitere Beiträge rund um das Thema Energie & Klima finden Sie auf unserer Themenseite.