UN-Gipfel in Kattowitz: Gute Botschaften gegen den Klimablues
Meldungen zum CO2-Anstieg werden immer öfter von positiven Nachrichten gekontert – das gibt Hoffnung. Ein Gastbeitrag.
Es gibt Momente, die all die Zahlen, Grafiken und Studien, die seit Jahren über den Bildschirm meines Laptops huschen, neu aufladen. Das Frühjahr 2013 barg einen solchen Moment für mich. Zum ersten Mal seit gut 20 Jahren war ich mit meiner Familie wieder auf Long Beach Island. Ich kenne die langgezogene schmale Insel vor der Küste New Jerseys gut. Mit meinen Eltern und meinen beiden Schwestern habe ich viele Sommerurlaube dort verbracht. Seither ist Long Beach Island für mich ein breiter Streifen warmer, weißer Sand mit hellen Ferienhäusern und weitläufigen Gärten.
Doch was ich 2013 sah, war ein übel zugerichteter Fetzen Land. Ein paar Monate zuvor hatte Hurrikan Sandy mit sechs-Meter-Wellen und Böen von 140 Kilometern pro Stunde auf die Insel eingeprügelt, er hatte Dünen zerstört, Straßen weggespült, Häuser unbewohnbar gemacht. Auch Monate nach dem Hurrikan glich das sichere Idyll meiner Jugendferien dem Opfer einer brutalen Schlägerei. Nun ist Long Beach Island vor allem eine Ferieninsel. Doch Millionen Menschen, die auf Inseln leben, haben kein Zuhause, in das sie flüchten können. Ihre Insel ist ihr Zuhause – und ein Sturm wie Sandy kann es zerstören. In diesem Moment wurde mir auf eine unmittelbare Art bewusst, wie existenziell die Erderhitzung das Leben von Menschen inzwischen verändert.
Natürlich wusste ich schon zuvor, dass die steigenden Temperaturen sich nicht allein in Bangladesch oder auf die Marschall Inseln auswirken. Seit ich 1994 in Genf zum ersten Mal ein internationales Klimatreffen besuchte, noch bevor die erste UN-Klimakonferenz in Berlin 1995 stattfand, kenne ich reichlich Menschen, die jede Menge darüber wissen, wie der Anstieg von CO2 in der Atmosphäre die Lebensbedingungen überall auf dem Planeten verändert. Sie alle lesen die Berichte des Weltklimarates, sie kennen die Kurven der Meteorologen.
Die Staats- und Regierungschefs haben die Klimakrise bisher kaum angegangen
Doch die meisten haben sich eine Rüstung zugelegt, die sie vor den Konsequenzen dieser Informationen schützen soll. Das aber ist immer weniger möglich. Die Europäer sehen, wie Flüsse vor ihrer Haustür bis in diesen Herbst hinein zu kleinen Rinnsalen verkümmern. Viele Amerikaner haben Bekannte, deren Häuser in Kalifornien durch die jüngsten Brände mindestens beschädigt, wenn nicht sogar zerstört wurden. Die fatalen Folgen unserer Abhängigkeit von Kohle und Öl sind nicht mehr zu übersehen. Das verändert die Situation spürbar.
Im Oktober war ich in Korea. Der Weltklimarat IPCC stellte dort einen Sonderbericht vor, wie sich die in Paris beschlossenen Klimaziele noch erreichen lassen. Es war ein wichtiger Termin. Wenn das Zentralhirn der Klimawissenschaft feststellt, dass sich der Anstieg der Temperaturen noch auf 1,5 Grad begrenzen lässt, ist das eine ermutigende Botschaft.
Als Tochter einer Familie walisischer Priester kenne ich die Macht der Botschaften. Die Predigten meines Großvaters und Urgroßvaters beeinflussten das Leben von Hunderten Gemeindemitgliedern. Als ich 1997 beim Kyoto-Gipfel vor den Verhandlungsteilnehmern im Plenum die Rede der Umweltverbände hielt, hatte ich meine eigene Botschaft. Sie handelte von der Eindeutigkeit der Wissenschaft, von der Verantwortung der Politik, der Notwendigkeit gemeinsamen Handelns. Die Rede wurde gehört und verstanden, aber sie hatte keinen unmittelbaren Effekt. Also fragte ich mich in Korea nach der Präsentation des Berichts: Vor zehn oder 15 Jahren wäre es weit leichter gewesen, die Klimakrise zu lösen. Trotzdem sind die Staats- und Regierungschefs sie kaum angegangen. Warum sollten sie nun damit beginnen?
Eine Antwort fand sich vor den Türen des Gebäudes, in dem die Wissenschaftler ihren Bericht vorgestellt hatten. Dort demonstrierte friedlich eine Gruppe koreanischer Jugendlicher und forderte die Politik auf, den wissenschaftlichen Erkenntnissen nun endlich auch die entsprechenden Taten folgen zu lassen. Während ich mich mit ihnen unterhielt, wurde mir schnell klar, dass sie sich nicht darauf beschränkten, Plakate in die Luft zu halten. Diese jungen Menschen wollen sich einmischen, sie wollen etwas verändern.
Eine Ingenieurin fragte mich, wie sie ihr Wissen, mit dem sie helfen will, die Welt zu verbessern, in die Politik einbringen kann. Eine Schülerin wollte nicht länger akzeptieren, dass ihre Lehrerin ein so zentrales Thema wie den Klimawandel im Unterricht totschwieg. Eine dritte mobilisierte an ihrer Universität gegen Geldanlagen in fossile Energien. Jede von ihnen hatte eine eigene Mission, und jede einzelne davon machte mir Mut für die enorme Aufgabe, die vor uns liegt.
Immer weniger Menschen akzeptieren, dass wertvolle Natur für klimaschädliche Braunkohle zerstört werden soll
Solche Momente häufen sich. Ja, da sind all die entmutigenden Nachrichten: Die CO2-Konzentration in der Atmosphäre erreicht einen Rekordwert. Das Eis der Arktis schmilzt viel schneller als befürchtet. Die Ozeane haben sich bislang deutlich weiter erwärmt als zuvor angenommen. Doch diese Meldungen werden immer häufiger von positiven Nachrichten gekontert. Am Tag, nachdem der IPCC-Report vorgestellt wurde, siegten 900 Bürger vor dem niederländischen Zivilgericht in Den Haag. Das Gericht bestätigte ein wegweisendes Urteil aus dem Jahr 2015, wonach die Regierung deutlich mehr als bislang tun muss, um den Ausstoß an Treibhausgasen zu senken.
Kürzlich hat meine Schwester, sie ist Professorin für Umweltwissenschaften an der Universität von New England, mit ihren Studenten ein Projekt entwickelt, wie eine Insel vor der Küste von Maine sich mit Gezeitenkraftwerken, Wind- und Solarenergie autark mit sauberer Energie versorgen kann. Und am Hambacher Wald machten Zehntausende mit ihrem friedlichen und schließlich auch erfolgreichen Protest deutlich: Immer weniger Menschen akzeptieren heute, dass wertvolle Natur für klimaschädliche Braunkohle zerstört werden soll. Wenn saubere Lösungen, wie Solarenergie und Windkraft, bereit stehen, ist die Ausbeutung natürlicher Ressourcen durch Kohle- und Ölkonzerne, mit all ihrer Zerstörung und Verschmutzung nicht mehr gesellschaftsfähig.
Jedem einzelnen Menschen hinter diesen Nachrichten ist es gelungen, die Ohnmacht und die Verzweiflung, die uns angesichts der Klimakrise zu überkommen droht, mit Mut in Hoffnung zu verwandeln. Jede einzelne dieser Geschichten lässt die schiere Größe der Herausforderung, die vor uns liegt, ein bisschen kleiner werden. Sie alle wirken wie Anti-Depressiva gegen den Klimablues.
Doch wir brauchen mehr davon, brauchen mehr Menschen, die sich engagieren. Dieses Engagement hat viele Gestalten. Es kann sich darin zeigen, was Menschen kaufen oder eben nicht kaufen, wen sie wählen, worüber sie mit ihren Nachbarn sprechen. Meine Arbeit gibt mir die Gelegenheit, mit verschiedenen Menschen in vielen Ländern zu sprechen. Viele dieser Menschen merken, dass etwas nicht stimmt mit der Welt, dass sie sich verändert – und sie sind bereit, etwas dagegen zu tun.
Deshalb fahre ich – trotz allem – optimistisch zur UN-Klimakonferenz nach Kattowitz. Denn diese Beispiele erfolgreichen Aufbegehrens – gegen die Übermacht des Problems, gegen die Mutlosigkeit vieler Politiker, gegen die Flut frustrierender Nachrichten – sie dringen bis in die vollklimatisierten Verhandlungsräume vor. Sie geben all jenen aus Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft Rückenwind, die schon heute bereit sind, die zentrale Herausforderung unserer Generation mit der nötigen Entschlossenheit anzugehen.
Jennifer Morgan ist eine US-amerikanische Umweltaktivistin mit dem Schwerpunkt Klimapolitik. Seit 2016 leitet sie zusammen mit Bunny McDiarmid die Umweltschutzorganisation Greenpeace International.
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Jennifer Morgan