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Dampf steigt aus den Kühltürmen des Braunkohlekraftwerks Niederaußem bei Bergheim.
© dpa/ Oliver Berg

Weltklimakonferenz in Polen: "Ein Scheitern wird hinausgezögert“

Am Montag beginnt in Kattowitz die Weltklimakonferenz. Klimaforscher Oliver Geden über ehrgeizige Emissionsziele und den US-Ausstieg aus dem Klimaabkommen.

Herr Geden, Anfang Oktober hat der Weltklimarat (IPCC) seinen Sonderbericht vorgelegt. Eine Begrenzung der zusätzlichen Erderwärmung auf 1,5 Grad sei noch möglich, heißt es darin. Wie realistisch ist diese Einschätzung?

Es ist absolut unrealistisch, dass wir die im Bericht genannten Voraussetzungen einhalten. Der weltweite Kohlendioxidausstoß müsste bis 2050 bei null liegen. Das ist derzeit noch vorstellbar – weil so viel Zeit verbleibt. Eine Halbierung der Emissionen bis 2030 halte ich dagegen nicht für plausibel. Das hat hierzulande auch noch niemand gefordert, nicht einmal die Umweltverbände.

Der Bericht räumte überraschend ein zusätzliches CO2-Budget ein, das bis zum Erreichen der 1,5 Grad-Grenze genutzt werden könnte.

Es verschafft der Politik ein wenig Luft. Die Uhr steht wie immer auf fünf vor zwölf, ein Scheitern wird hinausgezögert. Aber wenn wir weiter so emittieren, ist das Budget selbst mit diesen zusätzlichen 300 Gigatonnen in zehn Jahren aufgebraucht, anstatt bereits 2020. Wenn man vom derzeitigen Ausstoß linear Richtung Null geht, bliebe noch bis zum Jahr 2050 Zeit. Die Industrieländer müssten die Emissionen noch schneller senken. Doch der Trend geht in die Gegenrichtung. 2018 werden die Emissionen vermutlich steigen.

Auf der Weltklimakonferenz von Paris hat die Staatengemeinschaft 2015 beschlossen, „Anstrengungen“ zu unternehmen, das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Was wurde seither unternommen?

Ich kann mit Blick auf Paris keine zusätzlichen Anstrengungen erkennen. Die Regierungen haben sich zuvor jahrelang, mit dem auch schon sehr ehrgeizigen Zwei-Grad-Ziel auseinandersetzt. Sie mussten wissen, was 1,5-Grad bedeuten, nämlich noch mehr Klimaschutz noch schneller umzusetzen, inklusive massivem Entzug von CO2 aus der Atmosphäre mit technischen Mitteln.

Vom 3. bis zum 14. Dezember findet im polnischen Kattowitz die nächste Weltklimakonferenz statt. Welche Bedeutung hat sie?

Kattowitz ist ein Lackmustest dafür, wie ernst die Regierungen das 1,5-Grad-Ziel nehmen. Wer auf Grundlage des IPCC-Berichts ernsthaft seine Klimaziele verschärfen will, wird es in Kattowitz ankündigen. Zu erwarten sind diese Verschärfungen vor allem von Entwicklungsländern, wie es die Marshallinseln zuletzt taten. Ihnen geht es um das Signal, dass eine Lücke zwischen Zielen und Umsetzung klafft. Sie wollen damit die Industrieländer unter Druck setzen, es ihnen gleichzutun. Wenn die Industriestaaten in Kattowitz keine entsprechenden Zielverschärfungen ankündigen, muss man davon ausgehen, dass der jüngste Bericht des Weltklimarats nicht weiter ernst genommen wird.

Woran lässt sich das langsame Vorankommen auf den Konferenzen festmachen?

Regelmäßig ist zu erkennen, wie Industriestaaten und Schwellenländer ihre volkswirtschaftlichen Interessen verteidigen, selbst wenn sie öffentlich proklamieren, dass ein ökonomischer Wandel vorteilhaft und notwendig wäre. Ein Beispiel ist das „Regelbuch“, mit dem das 2015 in Paris geschlossene Abkommen in Kattowitz konkretisiert werden soll, etwa in puncto Transparenz und Berichtspflichten. Hier will sich vor allem China, der weltweit größte Emittent von Treibhausgasen, nicht in die Karten schauen lassen und besteht auf schwächere Regeln. Von zentraler Bedeutung sind auch die zugesagten Finanztransfers an Entwicklungsländer, die sich 2020 schon auf jährlich 100 Milliarden Dollar belaufen sollen, vor allem für den Umbau der Energieversorgung und Anpassungsmaßnahmen. Auch hier ist der Weg noch weit. Und alles muss im Konsens entschieden werden.

Die USA haben 2017 den Ausstieg aus dem internationalen Klimaabkommen verkündet. Wie beeinflusst das die Anstrengungen der Staatengemeinschaft?

Der Ausstieg tritt erst Ende 2020 in Kraft, so lange werden die USA auch ernsthaft mitverhandeln. Das haben sie auch in der Vergangenheit immer als starker Gegenspieler zu China getan. Die Wettbewerbsfähigkeit der USA wird schließlich auch dadurch beeinflusst, welche Regeln das internationale Klimaregime für andere aufstellt. Trotz des Ausstiegs werden die USA ihre angestrebten Ziele wohl zumindest für 2025 nicht drastisch verfehlen – weil es starke Anstrengungen im Klimaschutz in ökonomisch bedeutsamen Bundesstaaten wie Kalifornien gibt.

In einem Rohstofflager bei Rio de Janeiro türmen sich Berge von Kohle auf.
In einem Rohstofflager bei Rio de Janeiro türmen sich Berge von Kohle auf.
© Helmut Reuter/ picture alliance / dpa

Brasilien könnte den USA bald folgen. Brasiliens designierter Präsident Jair Bolsonaro erwägt einen Ausstieg aus dem Abkommen.

Der Ausstieg eines so wichtigen Staates wie Brasilien könnte tatsächlich etwas zum Kippen bringen. Wenn alle Staaten sich in Paris gegenseitig versprechen, bestimmte Emissionsminderungen zu erreichen und einige der großen Volkswirtschaften dann offen erklären, sich nicht mehr daran gebunden zu fühlen, entzieht dies der UN-Klimapolitik ein stückweit die Geschäftsgrundlage.

Was für Anstrengungen müsste Deutschland unternehmen, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen?

Wenn man in Deutschland bislang der Ansicht war, dass die eigenen Minderungsziele bis 2050 kompatibel mit einem Zwei-Grad-Ziel sind, dann müssten all diese Ziele deutlich verschärft werden. Das ist nicht zu erkennen. Ob entsprechende Maßnahmenpakete volkswirtschaftlich umsetzbar und gesellschaftlich durchsetzbar wären, ist ohnehin fraglich. Die EU-Kommission wird noch vor Kattowitz neue Langfrist-Klimaziele vorschlagen und die Debatte um ein Null-Emissionsziel eröffnen. Davon ginge ein starkes Signal an Industrie, Luftverkehr und Landwirtschaft aus. Kein Bereich kann dann mehr glauben, von ehrgeiziger Klimapolitik allenfalls am Rande betroffen zu sein. Alle Emissionsquellen kämen auf den Prüfstand.

Um die internationalen Klimaziele zu erreichen, müssten die Anstrengungen erheblich verschärft werden, sagt Geden.
Um die internationalen Klimaziele zu erreichen, müssten die Anstrengungen erheblich verschärft werden, sagt Geden.
© DPA

Seit der Umweltkonferenz von Rio 1992 spricht die Politik von der Notwendigkeit zu handeln. Nur: Der CO2-Ausstoß ist seither fast kontinuierlich gestiegen. Braucht es einen Temperamentwechsel?

Es bräuchte erheblich mehr Anstrengungen. Das wird verdrängt, vor allem von der Politik, aber auch von der Bevölkerung. Die Probleme sind noch nicht so groß, manche der Lösungen nicht besonders angenehm. Dazu wird der Großteil der negativen Konsequenzen der Erderwärmung zuerst in anderen Weltregionen spürbar sein. Ich bin recht zuversichtlich, dass wir bis 2030 eine Umkehr bei den globalen Emissionen erreichen können. Doch mit dem derzeitigen Ziel von 1,5 bis zwei Grad ist das kaum kompatibel. Bei welchem Temperaturniveau wir dann letztlich landen, ist offen. Es bräuchte entschlosseneres Handeln.

Oliver Geden forscht zur Klima- und Energiepolitik in der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Er ist derzeit Gastwissenschaftler am Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg.

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