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Bundeskanzlerin Angela Merkel warnt eindringlich vor den kommenden Wochen in der Corona-Pandemie.
© Imago

Merkel bremst Lockerungen: „Wir sind in der dritten Welle“

Die Kanzlerin mahnt: „Wie hoch die dritte Welle wird, das haben wir alle in der Hand.“ Zudem soll sie mit Minister Spahn in einem Punkt sehr unzufrieden sein.

Es ist ein fast schon gewohntes Ritual in den Tagen vor neuen Bund-Länder-Beschlüssen in der Corona-Pandemie. Bundeskanzlerin Angela Merkel ist erneut mit deutlichen Aussagen in der Unions-Fraktion auf die Bremse getreten, was zu große Hoffnungen auf Lockerungen betrifft.

„Wir sind in der dritten Welle“, sagte sie nach Teilnehmerangaben, wie der Tagesspiegel aus mehreren Quellen erfuhr. „Wie hoch die dritte Welle wird, das haben wir alle in der Hand - wir wollen sie möglichst klein halten“, sagte Merkel demnach.

Dass, was durch viel Verzicht erreicht worden sein, „dürfen wir nicht leichtfertig aufs Spiel setzen“, betonte Merkel. „Wir wollen soviel Öffnung zulassen wie eben möglich - und nach einer Öffnung wollen wir nicht wieder in Schließungen zurückfallen. Mit schrittweisen und sorgsamen Öffnungen können wir mehr Raum gewinnen.“

Gerade mehr Schnelltests könnten etwas mehr Freiraum und Puffer geben, betonte Merkel. Doch die auf Druck Merkels vom 1. auf den 8. März verschobene kostenlose Übernahme von Schnelltests steht weiter auf wackligen Beinen.

Merkel sei Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) im Corona-Kabinett ziemlich in die Parade gefahren, hieß es in Regierungskreisen. Spahn hatte ohne Absprache mit den Ländern verkündet, dass etwa bei Apotheken ab 1. März kostenlos Schnelltests gemacht werden können. Die waren überrascht, "und unsere Apotheker singen auch nicht gerade Halleluja", hieß es in einer Staatskanzlei. Nun soll beim Bund-Länder-Gipfel am 3. März eine Öffnungsstrategie gekoppelt werden an eine Teststrategie.

„Es ist ein Armutszeugnis für Herrn Spahn, dass die Schnellteststrategie wieder verschoben wird“, sagte Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter.

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Auch der nordrhein-westfälische Ministerpräsident und CDU-Chef Armin Laschet drückte in der Unions-Fraktion, zugeschaltet aus Düsseldorf, auf die Bremse. Er hatte noch vor kurzem gegen immer „neue Grenzwerte“ gewettert und klare und umfassende Öffnungsschritte aber einer Inzidenz von 35 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner in sieben Tagen gefordert. „Vorsicht ist das Richtige", sagte er nun. Es sei aber richtig, dass es zu der Verschiebung bei den Schnelltests gekommen sei, damit die Länder genügend Zeit haben, sich auf die Tests vorzubereiten. Eine interessante Option sei auch die vom Rapper Smudo mit entwickelte „Luca-App“, über er sich bei bei ihm informiert habe. Der Zeitraum der Erfassung von Kontakten würde mit der App gut verkürzt und die Nachverfolgung beschleunigt

„Wir verwirren die Bevölkerung im Moment massiv“

Bei den Verhandlern wächst spürbar die Anspannung, da nach den jüngsten Aussagen eine Erwartungshaltung auf Lockerungen geweckt wurde, die vielleicht nicht zu halten ist. „Wir verwirren die Bevölkerung im Moment massiv“, kritisiert der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach (SPD). Tatsache sei: Die dritte Welle habe begonnen, Mutationen setzten sich durch, daher würden Fallzahlen steigen.

Da die B.1.1.7-Variante schwerer verlaufe, würden auch Intensivfälle steigen. Auch Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) warnt mit Blick auf die starke Ausbreitung der Virusvariante B.1.1.7 vor allzu großen Lockerungsvorstellungen gewarnt. Merkel hatte am Montag im CDU-Präsidium lediglich vorsichtige Schritte in Aussicht gestellt. „Es gibt eine berechtigte Sehnsucht nach einer Öffnungsstrategie", sagte die Kanzlerin dort nach Teilenehmerangaben.

Klar ist, dass mit ersten Öffnungen auch Kontaktbeschränkungen gelockert werden sollen, zudem hat Merkel den Bereich von Schulen und Berufsschulen und den Bereich Freizeitsport, Restaurants und Kultur in der Öffnungsabfolge im Blick.

Aber da die Infektionszahlen derzeit wieder eher steigen, statt sinken und die bundesweite 7-Tages-Inzidenz bei 60 Neuninfektionen je 100.000 Einwohnern liegt, könnten weitere Öffnungen nach Schulen, Kitas du ab 1. März den Friseuren erst einmal ausbleiben. In Brandenburg dürfen ab 1. März aber zumindest auch Gartenmärkte, Gärtnereien und Blumenläden wieder öffnen, wie Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) mitteilte.

Auf Initiative des Berliner Senats schlagen die SPD-regierten Länder vor, dass es nach der schon beschlossenen Öffnung von Handel, Museen und Galerien (jeweils mit Personenbegrenzung) – ab einer Inzidenz von unter 35 je 100.000 Einwohnern in sieben Tagen weitere Schritte geben kann.

Danach könnte es zwei Wochen später zum nächsten Öffnungsschritt kommen, zum Beispiel für Restaurants mit Sperrfristregelung, für Freizeit- und Vereinssport vor allem draußen und in Gruppen bis 10 Personen und zum Beispiel für Indoor-Kulturveranstaltungen bis 150 Personen.

Öffnungsplan ohne Aussicht auf schnelle Umsetzung

Voraussetzung wäre, dass die 7-Tage-Inzidenz zwei Wochen lang durchschnittlich unter 35 liegt. Zudem wird überlegt - auch bei der Gastronomie - stärker zwischen Öffnungen im Innen- und Außenbereich zu unterscheiden.

Weitere zwei Wochen später mit Halten der 35er-Inzidenz könnte es zu umfangreicheren Öffnungsschritten etwa auch für Hotels, Clubs, Kneipen und größere Kulturveranstaltungen kommen. Und weitere 14 Tage später mit stabiler 35er-Inzidenz könnte es dann zur weitgehenden Aufhebung von Einschränkungen kommen, allerdings soll es für Indoor-Veranstaltungen weiter Abstands-, Hygiene- und Personenzahlauflagen geben.

Da viele Regionen aber weit entfernt von solchen stabil niedrigen Werten sind, ist das vorerst ein Öffnungsplan ohne Aussicht auf schnelle Umsetzung. Alle Schritte sollen unterlegt werden mit guten Hygienekonzepten einer flächendeckenden Schnelltest-Offensive. Die entscheidende Frage wird zudem sein, ob es nationale Vorgaben oder regional differenzierte Lösungen gibt, zuletzt waren für den Handel regionale Lösungen, orientiert an der 35er- Inzidenz beschlossen worden.

Der Berliner Vorschlag – das Land hat den Vorsitz der Ministerpräsidentenkonferenz – fließt nun in die weiteren Beratungen ein. „Es wird sich noch einiges tun“, heißt es in der Bundesregierung.

Am Ende muss das "Kleeblatt" ran

Am Mittwoch versucht das sogenannte „Kleeblatt“– Kanzleramtschefs Helge Braun (CDU), Finanz-Staatssekretär Wolfgang Schmidt (SPD), der Chef der Senatskanzlei Christian Gaebler (SPD) und die Bevollmächtigte Bayerns, Karolina Gernbauer (CSU) – als Koordinierungsgremium alle Ideen von Bund und Ländern zu bündeln. Kompliziert wird es, weil die Öffnungs- mit einer Schnellteststrategie verbunden und die Zahl der in den nächsten Wochen Geimpften einkalkuliert werden soll.

Über das Wochenende wird es wieder diverse Telefonate geben. Am Montag tagt dann das Corona-Kabinett, zudem wird Braun mit den Chefs der Staatskanzleien die Vorschläge final beraten. In Regierungskreisen wird erwartet, dass Dienstagabend das große „Kleeblatt“ ran muss: Merkel, Finanzminister Olaf Scholz, Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU).

Braun wird auf Basis ihrer Wünsche spätestens am Morgen des 3. März die Beschlussvorlage verschicken lassen. Die wird ab 14 Uhr in der Bund-Länder-Schalte diskutiert, bis ein Beschluss steht – der von den Ländern in Umsetzungsbeschlüsse gegossen wird.

Dass da große Lockerungen ab der zweiten Märzwoche drin stehen werden, wird immer unwahrscheinlicher. Man müsse einen Pfad finden bis zum Sommer, wenn auch das Impfen wirkt, sagte Merkel in der Sitzung der Unions-Fraktion. Auch die Versäumnisse hierbei schlagen nun doppelt durch. Merkel räumt ein: Die Situation sei schwierig, man müsse vorsichtig agieren und der Druck sei groß – nur es bringe ja nichts, nach dem Aufmachen gleich wieder zumachen zu müssen.

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