Rückzug Israels aus dem Libanon: „Wir haben geblutet ohne Nutzen“
Ehud Barak ordnete im Mai 2000 Israels Rückzug an. Jetzt spricht der Ex-Premier über seinen Entschluss sowie über Irans Atomprogramm und die Zweistaatenlösung.
Am 24. Mai 2000 verließen die letzten israelischen Soldaten den Libanon. Sie waren 22 Jahre zuvor dort einmarschiert und hatten seit 1985 eine Sicherheitszone gehalten. Ehud Barak entschied damals als Ministerpräsident, dass sich Israel aus dem Nachbarland zurückzieht. 950 Soldaten des jüdischen Staats waren bis dahin getötet worden.
Herr Barak, im Jahr 2006 kam es zum Krieg mit der Hisbollah. Heute ist die schiitische Partei-Miliz an der libanesischen Regierung beteiligt und soll über ein Arsenal von bis zu 150.000 Raketen verfügen. Bereuen Sie ihre Rückzugsentscheidung?
Nein, das hat eine Tragödie beendet. Wir haben dort geblutet ohne Nutzen. Man muss im Nahen Osten bereit sein, Opfer zu bringen, aber es muss sich lohnen. Ich habe schon früh gesagt, dass es keinen Sinn ergibt, in der Sicherheitszone zu bleiben, weil sie (die Hisbollah-Kämpfer, d. Red.) die Katjuscha-Raketen einfach über unsere Köpfe hinweg nach Israel schießen konnten.
Wir hatten damals ja noch kein Iron-Dome-Abwehrsystem. Am Ende haben wir also dort nicht unsere Ortschaften beschützt, sondern nur die eigenen Soldaten.
Manche Beobachter sagen, dass PLO-Chef Jassir Arafat nach dem Rückzug denken konnte, dass er –wie die Hisbollah – seinen Willen mit Gewalt durchsetzen kann.
Es ist Unsinn zu glauben, die Palästinenser hätten nachgegeben, wenn wir weiter im Libanon geblieben wären. Außerdem wären wir dann während der zweiten Intifada nicht in der Lage gewesen, im Westjordanland die notwendigen Operationen durchzuführen.
Es wäre parallel zu einem umfassenden Krieg mit der Hisbollah gekommen. Das Argument, dass die Schiitenmiliz durch unseren Rückzug gestärkt wurde, ist genauso dämlich. Die Hisbollah ist doch erst mächtig geworden, weil wir da waren, sie haben doch erst im Kampf mit uns ihre militärische Schlagkraft verbessert.
Und ihr Raketenarsenal ist erst nach dem Krieg von 2006 um das Zehnfache gewachsen, weil die Iraner ein Gegengewicht schaffen wollten für den Fall, dass Israel und die USA ihre Atomanlagen angreifen.
Sie waren im Sommer 2000 in Camp David einem Frieden mit den Palästinensern vielleicht näher als alle anderen Politiker vor und nach Ihnen. Ist die Zweistaatenlösung 20 Jahre später noch möglich?
Ja, das denke ich schon. Wir können den Weg zwar verbauen, aber noch gibt es eine Chance. Es ist auch der einzige Weg, um diesen Konflikt zu lösen. Die Einstaatenlösung, also volle Annexion der besetzten Gebiete, ist gegen Israels Interessen. Ich habe schon direkt nach Camp David gesagt: Wenn es zu einem Durchbruch mit den Palästinensern kommt, werden wir eine Lupe brauchen, um die Unterschiede zu sehen im Vergleich zu dem, was von unserer Seite auf dem Tisch lag.
Falls wir aber doch in einem einzigen Staatsgebilde enden und Millionen Araber, sogar die Mehrheit der Menschen, nicht wählen können, dann wird das keine Demokratie sein.
Hat die Mehrheit der Israelis diese Realität aus dem Blick verloren?
Nach meinem Ermessen haben die Palästinenser den Großteil der Verantwortung zu tragen. Die Israelis haben das Gefühl, dass die Palästinenser nicht ernsthaft an einer Lösung interessiert sind. Beide Seiten sind zudem ständig dazu bereit, sich gegenseitig die Schuld zuzuschieben.
Dazu kommt der Zeitgeist, Israel hat bessere Beziehungen zu vielen arabischen Staaten, die wiederum viel Einfluss verloren haben wegen der Krise der Ölindustrie. Deshalb glaubt die US-Regierung, sie könne Schritte unternehmen, die vor ein paar Jahren noch unmöglich schienen.
Glauben Sie an Donald Trumps Friedensplan für den Nahen Osten?
Wir kennen doch die Details gar nicht. Ich denke nicht, dass die Ideen der Amerikaner so viel anders sind als unsere damals. Sie müssen am Ende ja auch die anderen arabischen Staaten überzeugen.
Vor zehn Jahren, als Verteidigungsminister in Benjamin Netanjahus Kabinett, waren Sie dafür, die iranischen Atomanlagen zu bombardieren. Sind Sie das noch immer?
Damals war ich vielleicht noch mehr Falke als Premier Benjamin Netanjahu, aber es gab Gründe, dass es nicht dazu gekommen ist. Die Situation heute ist anders, die Prinzipien bleiben die gleichen: Die Welt kann nicht zulassen, dass der Iran zur Atommacht wird. Denn dann würde auch die Türkei Atommacht werden, ebenso Ägypten oder Saudi-Arabien.
Das würde letztlich jedem Diktator, der sich Immunität verschaffen will, die Tür öffnen. Wir ziehen es vor, dass die Weltgemeinschaft etwas unternimmt, aber wenn sie das nicht tut, müssen wir bereit sein, alles Notwendige zu tun, um den Iran zu stoppen.
Welche Lösung bevorzugen Sie: Barack Obamas Strategie des Verhandelns oder Trumps Strategie des maximalen Drucks?
Am besten wäre es, wenn die Iraner selbst zu dem Schluss kämen, dass sie die Bombe gar nicht brauchen. Aber ich bin realistisch genug, um zu sehen, dass wir handeln müssen, wenn die Welt nichts unternimmt. Wir sind hier im Nahen Osten, nicht in Nordeuropa.
Thore Schröder