US-Diplomatie in der Krise: Wie Trumps Außenpolitik Russland nutzt
Unter Donald Trump haben sich die USA aus der klassischen Diplomatie zurückgezogen. Der Präsident wirft einen Berater nach dem anderen raus. Dieses Chaos stärkt ausgerechnet Russland. Ein Essay.
Der Maschinenraum der amerikanischen Diplomatie wird erleuchtet vom grellen Licht der Neonröhren. In der Decke fehlen einige Platten, Kabel hängen lose herunter und führen ins Nichts. Wer dieser Tage durch die langen Flure des Harry-S.-Truman-Gebäudes spaziert, dem Hauptsitz des State Department in Washington D.C., der kriegt vor Augen geführt, wie es um die Außenpolitik der Vereinigten Staaten insgesamt bestellt ist.
Chaotisch. Oder wie es Diplomaten diplomatischer ausdrücken: „Wir sortieren uns noch.“
Seit dieser Woche dürfen sie damit wieder von vorne anfangen. Außenminister Rex Tillerson, der Donald Trump als „Schwachkopf“ bezeichnet haben soll und seit Langem das Vertrauen des US-Präsidenten verloren hatte, ist gefeuert. Sein Nachfolger, der bisherige CIA-Chef Mike Pompeo, übernimmt ein Außenministerium, in dem acht von neun Top-Positionen nicht besetzt sind. Vergangene Woche kündigte noch der Staatssekretär für öffentliche Diplomatie.
Das Budget wurde um mehr als 30 Prozent gekürzt, bis zu 2000 Berufsdiplomaten und Beamte sollen eingespart werden oder sind bereits gegangen. Seit Trump vor einem Jahr das Präsidentenamt übernommen hat, haben Professoren von Stanford an der Westküste bis zur Columbia-University in New York ihre üblichen Erklärmodelle für eine außenpolitische Strategie des Weißen Hauses in den Müll geworfen. Sie gelten nicht mehr. Vielleicht gibt es aber auch einfach keine Strategie, die man erklären müsste. Vielleicht ist das Ziel nur der nächste Deal.
Die Unordnung der anderen, so Putins Kalkül, ist Russlands Stärke
Zur gleichen Zeit ließ sich Wladimir Putin an diesem Sonntag wieder zum russischen Präsidenten wählen. Nur hat er im Gegensatz zu seinem amerikanischen Pendant einen Plan. In der gleichen Weise, wie die USA sich von der Weltbühne der Diplomatie langsam zurückziehen, baut das einst von Barack Obama wohl vorschnell als „Regionalmacht“ titulierte Russland seinen Einfluss aus. In Syrien existiert Baschar al Assads Regime nur noch von Putins Gnaden, und nicht nur im Pentagon fürchten sie für die Zeit nach dem Bürgerkrieg einen künftigen russischen Satellitenstaat mit direkter Grenze zum US-Verbündeten Israel. Selbst die Türkei, einer der wichtigsten US-Partner an der Außengrenze der Nato, sucht vorsichtig die Nähe zu Putin, riskierte sogar Sanktionen, weil sie Flugabwehrsysteme von Russland kaufte. Die Krim bleibt weiter besetzt. Und wo Russlands wirtschaftliche oder militärische Stärke nicht ausreicht, um direkt Einfluss zu nehmen, verfolgt das Land eine Strategie des Unruhestiftens, sei es über Propaganda in sozialen Netzwerken, Cyberattacken, den Versuch die Wahlen in den USA zu stören oder die mutmaßlichen Mordanschläge mit Nervengift in England. Die Unordnung der anderen, so das Kalkül, ist eigene Stärke.
Die USA könnten politische Felder auf Jahrzehnte hinaus verlieren
Unabhängig davon, wie erfolgreich diese Taktiken bisher tatsächlich waren, illustrieren sie einen Anspruch, auf den Trump immer weniger Wert zu legen scheint: Weltmacht zu sein. Bei den Bürokraten im Verteidigungs- und Außenministerium sowie den Experten aufseiten des Senats wächst die Sorge, dass jedes politische Feld, das Russland heute leichtfertig überlassen wird, vielleicht auf Jahrzehnte gar nicht – oder nur sehr teuer und mühsam wieder zurückgewonnen werden könnte.
Dabei ist es nicht so, dass Trump sich aus dem Weltgeschehen herausgehalten hätte. Im Gegenteil. US-Vertreter bei den Vereinten Nationen und die verbliebenen Mitarbeiter in den US-Botschaften waren im vergangenen Jahr offenbar gut damit ausgelastet, die Feuer auszutreten, die Trump meist in aller Öffentlichkeit, manchmal sogar über Twitter entfacht hatte. Mal drohte er mit einer militärischen Intervention in Venezuela, mal mit einem Atomschlag gegen Nordkorea. Botschafter und Gesandte aus ganz Osteuropa, erzählen Eingeweihte, stürmten förmlich das Kapitol, als Trump sich zunächst weigerte, die Beistandsgarantie der Nato zu betonen und das Verteidigungsbündnis als „veraltet“ bezeichnete. Sie beknieten die Senatoren und Abgeordneten, ihrem Präsidenten klarzumachen, wie dringend die Nato gebraucht werde, um eine weitere West-Erweiterung Russlands zu verhindern.
Wo sich schon jetzt die Begrenztheit der US-Außenpolitik zeigt
Da sich nicht mehr leugnen lässt, dass Trump unüberlegt, übereilt, ungenau, oft falsch und manchmal gefährlich über Themen spricht, deren Komplexität er nicht zu erfassen scheint, haben sich seine Unterstützer auf eine Verteidigungslinie verständigt. Nicht was Trump sage, solle man bewerten, sondern nur, was konkrete Politik werde. Und da sehe es gar nicht so übel aus.
Tatsächlich sind die USA bisher weder in Venezuela einmarschiert, noch haben sie einen Krieg mit Nordkorea angefangen, ja trotz aller Drohungen nicht einmal den Iran-Deal gekippt. Doch die Argumentation der Unterstützer hat zwei Fehler, von denen der offensichtlichste ist, dass in internationaler Politik Worte eben nicht nichts, sondern vielmehr alles sind. Zumal, wenn diese Worte Länder betreffen, die mit den USA weder wirtschaftlich noch zivilgesellschaftlich verbandelt sind. Auf welche anderen Kanäle und Informationen sollen Staaten wie Nordkorea oder Iran vertrauen? Was sollen sie anderes annehmen, als dass der US-Präsident denkt oder – schlimmer noch – tut, was er sagt? Und entsprechend reagieren.
Der zweite Fehler liegt darin, zu behaupten, dass das, was konkrete Politik wird, derzeit überhaupt maßgeblich im Weißen Haus konzipiert wird. Donald Trump mag auf vielen Feldern die Expertise fehlen, was auch damit zu tun hat, dass es ihm offenbar schwerfällt, qualifiziertes Personal für sich zu gewinnen. Und zu halten. Doch, das berichten Republikaner, die regelmäßig Kontakt zum Weißen Haus halten, er hört zu. Zumindest jenen, die er respektiert.
Pompeos Berufung verstärkt das Ungleichgewicht
Im dritten Stock des Pentagons in Raum E880 hat ein Mann sein Büro, für den der Respekt des Präsidenten ganz besonders groß sein muss. Von James Mattis ist überliefert, dass er Trump für ähnlich kompetent hält wie sein Ex-Kollege Tillerson. Als Trump ihn beispielsweise aufforderte, Pläne für einen Angriff auf Nordkorea vorzulegen, weigerte er sich zunächst einfach. Trotzdem ist der ehemalige Vier-Sterne-General nach wie vor Verteidigungsminister und damit Herr über ein Budget von mehr als 700 Milliarden Dollar. Sein Haus war es auch, das durchsetzte, dass im neuen Nationalen Verteidigungsplan Russland und China als größte Gefahr für amerikanische Interessen und die nationale Sicherheit definiert wurden. Und somit – anders als Trumps Kriegsrhetorik glauben machen könnte – noch vor Iran, Nordkorea und islamistischem Terrorismus.
Dazu versteht der Verteidigungsminister sich dem Vernehmen nach recht gut mit Herbert Raymond McMaster, dem bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch amtierenden Nationalen Sicherheitsberater. Beide sind erfahrene Generäle, die bisher die Achtung des Präsidenten genießen und die Außenpolitik in einer Zeit, in der das Weiße Haus keine eigenen großen Linien entwirft, gestalten. Vielleicht zu sehr. Insbesondere McMaster könnte Trump einmal zu oft widersprochen haben und bald ausgetauscht werden. In Mike Pompeo dürften die beiden im State Department nun ohnehin einen einflussreicheren Gegenpart haben. Anders als bei Tillerson gilt Pompeos Verhältnis zu Trump als ausgezeichnet. Was auch daran liegt, dass er im Gegensatz zu Tillerson, Mattis und McMaster die Ideen seines Präsidenten eher befeuert als einhegt. Seine Berufung verstärkt aber auch insgesamt ein Ungleichgewicht der US-Außenpolitik. Wie Mattis und McMaster hat auch Pompeo einen militärischen Hintergrund, absolvierte die Militärakademie Westpoint. Außenpolitisch gilt er als Hardliner, der Stärke mehr schätzt als Verhandlungen. Die Personalien zeigen: Trump verlässt sich allein auf militärischen Sachverstand und verzichtet auf Diplomatie. Auf Dauer aber funktioniert das eine nicht ohne das andere. Die Auswirkungen sind bereits sichtbar.
Syrien: kein Plan, keine Diplomaten, kein politischer Wille
Am deutlichsten vielleicht im Krieg in Syrien. Es ist ein Einsatz, den Trump von seinem Vorgänger Barack Obama geerbt hat. Doch der Konflikt tritt gerade in eine neue Phase ein. In dem sogenannten Bürgerkrieg kämpfen neben den USA mittlerweile Russland, Iran, die Türkei, kurdische, syrische und libanesische Milizen. Der gemeinsame Feind IS ist militärisch beinahe besiegt. Assad ist aufgrund der US-Intervention aber nicht stark genug, um Syrien unter Kontrolle zu bringen und dank russischer Hilfe nicht schwach genug, um besiegt zu werden. Und so manifestiert sich ausgerechnet in einem Konflikt, in dem sich wie unter einem Brennglas die internationalen Verstrickungen zeigen, in dem wie nirgendwo sonst Milliarden von Dollar, Einfluss und Menschenleben auf dem Spiel stehen, die Begrenztheit der nur auf Militär fußenden amerikanischen Außenpolitik.
Während Trump immer mehr Truppen in die Schlacht schickt, ist längst klar, dass der Sieg militärisch nicht mehr erreicht werden kann, weil das hieße, die USA in einen offenen Krieg mit russischen Truppen zu führen. Mattis selbst hat mehrfach gesagt, dass er nur deshalb US-Truppen in Syrien halten will, um den Diplomaten Zeit und vor allem einen Hebel zu verschaffen, eine politische Lösung zu finden. Doch da ist nichts. Kein Plan, keine Diplomaten, vielleicht nicht einmal politischer Wille. Derweil schickt Russland sich an, neben dem offiziellen und wenig aussichtsreichen UN-Friedensprozess von Genf eigene Gespräche in Sotschi und Astana zu etablieren, um das Nachkriegssyrien dereinst nach seinen Wünschen zu gestalten. Die USA können nur noch zusehen.
Die drei Säulen der US-Außenpolitik
Was an Diplomatie für die USA übrig bleibt, will Donald Trump offenbar selbst in die Hand nehmen. Seinen ersten Deal hat er bereits eingetütet. Mit seiner Anerkennung von Jerusalem als Hauptstadt Israels Ende 2017 wollte er, so die Lesart der Befürworter, ein Signal der Solidarität setzen, den Druck auf die Palästinenser erhöhen und letztlich den Friedensprozess in Nahost wiederbeleben. Es lässt sich schwer sagen, ob das überhaupt so funktionieren kann. Sicher ist, dass das Signal zur Unzeit kam. Mit Benjamin Netanjahu regiert in Israel ein Politiker, der nachweislich kein Interesse an einer Zwei-Staaten-Lösung hat. Und mit Mahmud Abbas im Westjordanland einer, dem der Rückhalt fehlt, der eigenen Bevölkerung Zugeständnisse zu verkaufen. Es ist niemand da zum Friedenschließen. So verpufft der Effekt.
Jeder halbwegs unideologische Diplomat hätte das vorhersehen können. Doch Trump entschloss sich, seinen alten Insolvenzanwalt und bekennenden Befürworter des Siedlungsbaus, David Friedmann, als Botschafter nach Tel Aviv zu schicken, der die Jerusalem-Entscheidung eifrig vorantrieb. Für künftige diplomatische Deals lässt das nichts Gutes erahnen, denn Donald Trump hat einen Großteil der Botschafter auf der ganzen Welt abgezogen und bei der Auswahl der Nachfolger mehr Wert auf Loyalität gelegt als auf Expertise, die meisten Posten aber einfach gar nicht besetzt.
Im Fall Nordkorea fehlen jegliche Grundlagen
Am prekärsten ist die Situation ausgerechnet auf der koreanischen Halbinsel vor den von Trump groß angekündigten Friedens- und Abrüstungsverhandlungen. Es fehlen jegliche Grundlagen: Der Nordkorea-Experte Victor Cha war zwar bereits als Botschafter für Seoul nominiert, Trump ließ ihn aber kurz vor dessen Amtseinführung wieder fallen. Der Sondergesandte für Nordkorea, Joseph Yun, kündigte im Februar seinen Ruhestand an. Im State Department verliert Trump einen der profiliertesten Diplomaten mit Expertise in der Region: Nach 35 Jahren geht der Staatssekretär für politische Angelegenheiten, Thomas A. Shannon, in den Ruhestand. Die Unterstaatssekretärin für Ostasien, Susan A. Thornton, gilt als erfahren, ist aber nur geschäftsführend im Amt und hat offenbar nicht das Vertrauen des Präsidenten. Aus dem State Department ist derweil zu hören, man habe eine ganze Reihe von fähigen Leuten, die Verhandlungen mit Nordkorea vorbereiten und begleiten könnten. Nur Namen nennt niemand. Vor allem nicht von Diplomaten mittleren Ranges, die die eigentliche Arbeit leisten müssten, die sich Monate oder sogar Jahre hinziehen könnte. Bisher verließ sich das Weiße Haus offenbar auf südkoreanische Vermittler. Die Bestrebungen seines ehemaligen Außenministers Tillerson, eigene Kanäle aufzubauen, hatte Trump unterbunden. „Spar dir die Mühe, Rex“, twitterte er.
Nun will Donald Trump den nordkoreanischen Machthaber Kim Jong Un selbst treffen und dazu bewegen, seine Atomwaffen aufzugeben.
Es ist ihm Glück zu wünschen. Neben Diplomatie und Militär scheint das bis auf Weiteres die dritte Säule seiner Außenpolitik zu sein.