„Skandal“ in der letzten TV-Debatte vor der Wahl: Wie Trump versucht, Biden eine Schmutzkampagne anzuhängen
Der Präsident wirft Joe Biden krumme Geschäfte in der Ukraine und China vor. Kann er so die Wende schaffen? Ein Kommentar.
2016 hatte er damit Erfolg: Donald Trump porträtierte Hillary Clinton als korrupte Politikerin und Lügnerin; die parallelen FBI-Ermittlungen wegen ihrer Dienstemails auf dem Privatcomputer halfen ihm, sie als Verbrecherin hinzustellen.
2020 versucht er es erneut. Fast egal, nach welchem Thema die Moderatorin der letzten TV-Debatte vor der Wahl fragte: Trump warf Joe Biden vor, sich als Vizepräsident mit krummen Geschäften bereichert zu haben, voran in der Ukraine, Russland und China, aber auch an der Wall Street. Parallel untersucht das FBI einen dubiosen Computer, der angeblich Bidens Sohn Hunter gehört. Und Trump-freundliche Medien erwecken den Eindruck eines Abgrundes von Landesverrat.
Eigentlich sollte es im ersten Segment der Debatte um Corona gehen. Trump aber stichelte: Einfache US-Bürger müssten Geld verdienen und könnten es sich nicht leisten, sich wie Biden im Keller ihres Hauses vor der Pandemie zu verbarrikadieren. Er habe wohl irgendwo viel Geld gemacht. Und man müsse fragen, woher es stamme.
Schadet der Shutdown der Wirtschaft mehr, als er der Gesundheit nützt, wollte die Moderatorin wissen. Trump attackierte erneut im Seitenaus: Biden nehme sehr viel Geld von den Wall-Street-Managern. „Ich nehme kein Geld von ihnen, denn das gehört sich nicht.“
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Bei den außenpolitischen Themen wiederholt sich das Muster. Wie lässt sich verhindern, dass Russland oder der Iran die Wahl beeinflussen? Trump nutzte das Stichwort, um Biden anzuklagen: Er habe 3,5 Millionen Dollar von Russland genommen. Und Putin wolle angeblich Biden als Präsidenten haben; denn niemand springe härter mit Moskau um als er, Trump.
Nach dem ersten Drittel der Debatte war das Muster unverkennbar. Ob im Weiteren nach der Ukraine, China, dem Supreme Court oder Migration gefragt wurde – Trump flocht in seine Antwort ein: Biden sei ein korrupter Politiker.
Diskrete Geschäfte in China? Die macht auch Trump
Kann das verfangen? Vermag er so die Stimmung zu wenden? Das einschlägige Stichwort heißt „October Surprise“. Die Kampagnen sammeln belastendes Material über ihre Gegner und hoffen die Wahl zu entscheiden, indem sie kurz davor, im Oktober, einen Skandal in den Medien lancieren.
Doch was Trump in der Debatte anbot, wirkt wie ein auf haarsträubende Weise konstruierter Vorwurf. Erstens geht es bei den Vorwürfen gar nicht um den Präsidentschaftskandidaten Joe Biden, sondern um dessen Sohn Hunter. Der hatte beim ukrainischen Konzern Burisma einen Beratervertrag. Und Hunter, nicht Joe, versuchte sich an Geschäften in China. Doch Trump macht Vater und Sohn zu Komplizen.
Bidens angeblicher Ukraine-Skandal wurde im Impeachment geklärt
Zweitens ist das, was bisher bekannt ist und im Impeachment-Verfahren gegen Trump wegen dessen Ukraine-Kontakten minutiös untersucht wurde, nicht kriminell. Hunter Biden machte Geschäfte in der Ukraine und in China – genau wie Donald Trump. Aus Trumps Steuerunterlagen, die er nicht herausgeben wollte, ist kürzlich bekannt geworden, dass der Trump-Konzern Konten in China unterhielt, Trump also dort Geschäfte machte, was er bestritten hatte.
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Seit Tagen versucht Rudy Giuliani, Trumps Handlanger für Schmutzkampagnen, den US-Medien einen angeblichen Skandal zu verkaufen. Doch abgesehen vom Boulevard-Blatt „New York Post“ fassen sie die Story mit spitzen Fingern an. Kein Wunder, wenn man sich die Umstände anschaut.
Haarsträubende Details: vergessener Laptop, blinder Computer-Experte
2019 soll ein Unbekannter, der sich als Hunter Biden vorstellte, in einem Computerladen einen Laptop mit dem Auftrag abgegeben haben, korrumpierte Daten von der Festplatte zu sichern. Der Inhaber des Ladens ist sehbehindert und kann deshalb nicht bestätigen, ob der Kunde tatsächlich Hunter Biden war. Als er über Monate nicht zurückkam, schaute sich ein Fachmann die Inhalte an – angeblich schwer belastendes, vielleicht auch schlüpfriges Material. Nichts Genaues weiß man nicht. Inzwischen hat das FBI die Datenträger.
Hat diese Story das Potenzial, das Rennen zu drehen? Interessieren sich Wähler, die noch nicht entschieden haben, für wen sie stimmen, dafür – in Zeiten von Corona, Arbeitslosigkeit und Angst vor einer tiefen Rezession?
Springen die Medien auf die Story an?
Das hängt auch davon ab, ob die Medien auf die Geschichte anspringen, nachdem Trump sie vor einem Millionen-Publikum ausgebreitet hat. Aus seinen Andeutungen in der Debatte sind wohl nur die schlau geworden, die die bisher doch sehr begrenzte Berichterstattung über den angeblichen Laptop Hunter Bidens beim FBI verfolgt haben.
Aber selbst wenn das Thema eine ähnliche Verbreitung findet wie 2016 die FBI-Ermittlungen gegen Hillary Clinton: Wen soll solch eine Enthüllung umstimmen? Biden hat sie als russische Lügenpropaganda abgetan, die von Trumps Kampagne verbreitet werde. Und sich in der Debatte auch ansonsten gut gegen Trump behauptet.
Es gibt wohl nicht genug Wechselwähler für eine Trendwende
Klar doch, die treuen Trump-Fans halten die Bidens längst für eine Familie von Schurken. Aber sie stimmen ohnehin für den Amtsinhaber. Umgekehrt haben die treuen Anhänger der Demokraten keine offenen Ohren für Schmutzkampagnen aus dem Hause Trump. Sie wählen Biden.
Wechselwähler, die noch unentschieden sind, gibt es nicht in größerer Zahl. Und die wenigen dürften auf Grund der dubiosen Umstände des angeblichen Skandals mit Misstrauen reagieren. Gewiss, auch elf Tage vor der Wahl kann ein Trend noch kippen. Doch mehr als 40 Millionen US-Bürger haben bereits ihre Stimmen abgegeben. Die Zahl derer, die Trump auf diese Weise gewinnen kann, dürfte zu klein sein, um Bidens hohen Vorsprung in den Umfragen wett zu machen und ihm den Sieg zu bescheren.