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Donald Trump in Gastonia, North Carolina.
© dpa

Trump kämpft in North Carolina: Auf der Suche nach der verlorenen Energie

North Carolina war ein republikanischer Staat. Jetzt führen die Demokraten. Dort entscheidet sich die Schlacht um das Weiße Haus und die Mehrheit im US-Senat.

Die Abendluft in den Südstaaten ist Ende Oktober noch warm und weich. Sie bleibt es auch, als eine schmale Mondsichel das letzte Sonnenlicht vom Himmel verdrängt hat. Männerhemden und Frauenblusen haben kurze Ärmel. Maske trägt kaum jemand, auch wenn die Ordner am Eingang sie immer wieder angeboten haben.

Volksfeststimmung liegt über dem kleinen Sportflugplatz von Gastonia, einem Vorort von Charlotte, der größten Stadt North Carolinas. Wenn patriotische Lieder wie „I am proud to be an American“ aus den Lautsprechern dröhnen, singt die Menge inbrünstig mit.

Viele schwenken rote Mützen mit der Aufschrift „Make America Great Again“ und US-Fahnen. Ebenso wenn es in „We are the Champions“ um Kampf und Sieg geht.

Seltsame Musikwahl: "Time to say Goodbye" vor Trumps Auftritt

Die Musikauswahl wirkt nicht durch die Bank überlegt. Warum wird, kurz bevor der Held auftritt, „Time to say Goodbye“ gespielt? Doch dann schreitet Donald Trump zum Rednerpult. Und nun springen sie von den Sitzen auf, jubeln und klatschen

Noch 13 Tage bis zur Wahl. Die Demokraten würden langsam nervös, behauptet Trump kühn. Klar sei: Hier in North Carolina „lieben sie mich“ und werden „mir wie 2016 den Sieg schenken“.

Ein Blick in die Umfragen verweist diese Lagebeschreibung in den Bereich Wunschdenken. Eigentlich ist North Carolina ein republikanischer Staat. Doch selbst hier ist Trump in der Defensive und hat allen Grund zur Nervosität. Joe Biden führt im Schnitt der Erhebungen mit über zwei Prozentpunkten.

Beide Lager konzentrieren sich auf North Carolina und Pennsylvania

Deshalb sind dieser Staat und Pennsylvania derzeit die beiden „Battlegrounds“, auf die beide Lager ihre Kräfte konzentrieren. Als Präsident Trump am Mittwochabend in Gastonia auftritt, wirbt sein Vorgänger Barack Obama in Philadelphia für Biden, die demokratische Vizekandidatin Kamala Harris spricht in Charlotte. Ursprünglich wollte sie schon vor einer Woche kommen, doch damals wurden zwei Mitarbeiter positiv auf Corona getestet.

Barack Obama warb parallel in Philadelphia für Joe Biden.
Barack Obama warb parallel in Philadelphia für Joe Biden.
© AFP

Joe Biden trainiert derweil für die letzte TV-Debatte gegen Trump an diesem Donnerstagsabend. Er war am vergangenen Sonntag in Durham bei einer „Drive in Rallye“; seine Anhänger mussten im Auto bleiben, während er seine Ansprache hielt. Am Dienstag warb Ivanka Trump in Raleigh für ihren Vater.

Es fällt auf: Trump braucht die Rallyes mit vielen Menschen ohne Rücksicht auf Corona-Regeln. Er lädt sich so mit Energie auf. Die Demokraten vermeiden Menschenansammlungen.

Ein Battleground auch für die Senatsmehrheit

In North Carolina geht es nicht allein um das Weiße Haus, sondern auch um die Mehrheit im Senat. Der republikanische Senator Thom Tillis liegt hinter seinem demokratischen Herausforderer Cal Cunningham – und obwohl der gerade einer außerehelichen Affäre überführt wurde, haben sich die Umfragen nicht signifikant zu seinem Nachteil verändert. Ein Demokrat scherzt süffisant: Vielleicht liege das daran, dass Donald Trump auch bei der Bewertung von Ehebruch die Maßstäbe verschoben habe.

Den Trumpfans auf dem Sportflugplatz von Gastonia ist nicht anzumerken, wie ernst die Lage für ihr Idol ist. Sie jubeln ihm zu, wenn er „Sleepy Joe“ verspottet, mit dem angeblich kein ausländisches Staatsoberhaupt zu tun haben wolle aus Sorge, Biden werde im Gespräch einschlafen. Oder wenn Trump behauptet, mit Biden kämen de facto „Sozialisten, Kommunisten und Linksextremisten“ an die Macht, würden Steuern erhöhen und die USA in „eine schlimmere Depression als 1929“ stürzen.

Trump mal angriffslustig, mal brabbelnd. Manche gehen

Trump legt einen durchmischten Auftritt hin. Die ersten 20 Minuten ist er angriffslustig. Dann gerät er in ein leiseres Brabbeln, in der er alle möglichen Verletzungen aneinanderreiht, aber seine Worte trotz Lautsprecher nicht immer gut zu verstehen sind.

Er schildert eine alternative Welt, frei nach Trump. Seine Amtseinführung sei die größte aller Zeiten gewesen, aber die Medien hätten fälschlich behauptet, es seien weniger Menschen als bei Obama gekommen. In der Russlandaffäre habe man ihn so unfair behandelt. Dann spricht er über seine Telefonate mit dem Präsidenten der Ukraine, von denen es zum Glück Abschriften gab, was die Demokraten angeblich überraschte, sodass er siegreich aus dem Impeachment hervorging.

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Nach 30 Minuten beginnen die ersten Zuhörer zu gehen. In kleinen Zahlen, es wird kein Strom daraus, die große Menge bleibt bis zum Schluss. Aber es werden kontinuierlich weniger. In den letzten 20 Minuten der insgesamt anderthalb Stunden dreht Trump wieder auf, auch wenn er sich nun wiederholt und erneut über "Sleepy Joe“, die Gefahr durch die Linke und deren Steuererhöhungen herzieht. Er hingegen werde den USA nach der Wiederwahl "den schönsten und größten Aufschwung der US-Geschichte" bescheren.

US-Wahl 2020 - Biden vs. Trump - So funktioniert die US-Präsidentschaftswahl
US-Wahl 2020 - Biden vs. Trump - So funktioniert die US-Präsidentschaftswahl
© /Illustration: Tagesspiegel

Pläne für die zweite Amtszeit nennt er nicht

Konkrete Ziele für eine zweite Amtszeit nennt er nicht. Der Ehrgeiz richtet sich offenbar darauf, dass am besten alles bleibt, wie es gerade ist. Rasch stellt er noch die Kandidaten für das Gouverneursamt, die Sitze im Senat und dem Repräsentantenhaus vor. Und ehrt den Radio-Talker Rush Limbaugh, der gerade mit Lungenkrebs im Endstadium diagnostiziert wurde. Dann verabschiedet er sich.

Ist das die Energie, mit der Trump 2016 in North Carolina punktete und er hier einen klaren Sieg erzielte? Die treue Gemeinde, die bis zum Schluss geblieben ist, glaubt allem Anschein nach daran, dass ihm das erneut gelingt.

Ohne North Carolina führt für Trump wohl kein Weg zum Sieg

Die Umfragen geben das nicht her. 2016 hatte Trump North Carolina mit rund fünf Prozentpunkten Vorsprung gewonnen; jetzt liegt er fast drei Prozentpunkte hinter Biden. Dabei hat der Staat nur einmal in den vergangenen Jahrzehnten einen Demokraten für das Weiße Haus bevorzugt: Obama 2008. 2012 und 2016 ging North Carolina wieder an die Republikaner.    

Ohne die 15 Wahlmänner des Staates wird es schwierig für Trump, landesweit auf die 270 Stimmen zu kommen, die den Sieg bedeuten. Fraglich ist freilich auch, wie viel diese Last-Minute-Auftritte noch bewegen. 1,5 Millionen Einwohner haben bereits abgestimmt, rund ein Viertel der mutmaßlichen Wähler. Der „Gender Gap“ ist markant: Unter weiblichen Wählern liegt Biden laut Umfragen mit elf Prozentpunkten vorn, unter männlichen Trump mit zehn.
Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikel wurde Charlotte als Hauptstadt North Carolinas bezeichnet, es ist allerdings die größte Stadt. Hauptstadt des Bundesstaates ist Raleigh. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

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