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Mariana Iris Harder-Kühnel bei einer Rede im Bundestag
© Christophe Gateau/dpa

Wahl im Bundestag: Wie stehen die Chancen für AfD-Frau Harder-Kühnel?

Der Bundestag entscheidet am Donnerstag, ob eine AfD-Politikerin Vizepräsidentin wird. Wer ist Mariana Harder-Kühnel? Fragen und Antworten zur Abstimmung.

Wenn unter der Reichstagskuppel ein Politiker ans Rednerpult tritt, dann sitzt hinter ihm, erhöht, der Bundestagspräsident. Er leitet die Sitzung. Greift ein, wenn die Abgeordneten zu lange reden, wenn sie vom Thema abschweifen, sich im Ton vergreifen. Er kann zur Ordnung rufen, das Wort entziehen, sogar jemanden des Saals verweisen. Das Amt des Bundestagspräsidenten und seiner Stellvertreter ist ein wichtiges Amt. Ein sichtbares Amt. Ein würdevolles Amt.

Bald könnte eine AfD-Politikerin Bundestagsvizepräsidentin sein. Denn heute stellen die Rechtspopulisten im Bundestag zum dritten Mal ihre Kandidatin zur Wahl: Mariana Harder-Kühnel. Zwei Mal ist die 44-jährige Hessin schon durchgefallen. Heute, im dritten Wahlgang, könnte es klappen.

Denn diesmal ist keine absolute Mehrheit nötig. Es reicht, wenn Harder-Kühnel mehr Ja- als Nein-Stimmen bekommt. Das heißt, wenn sich viele Abgeordnete enthalten, die bislang mit Nein gestimmt haben, wäre sie gewählt. Doch nach allem, was man weiß, dürfte es sehr knapp werden.

Die Entscheidung verlangt den Abgeordneten viel ab. Denn die AfD hat die Geduld der anderen Fraktionen mit Geschäftsordnungstricks und Provokationen strapaziert. Sie hat das Klima im Bundestag verändert. Die Partei wird in Teilen vom Verfassungsschutz beobachtet.

Es gibt viele, die die Wahl einer AfD-Vertreterin, wenn auch einer gemäßigten, nicht mit sich vereinbaren können. Sie sagen: Gibt man der AfD diesen Posten, normalisiert man sie. Auf der anderen Seite stehen jene, die das Kapitel endlich abschließen wollen, denn laut Geschäftsordnung steht den Rechtspopulisten der Posten nun mal zu. Und die Opferrolle, die will man der AfD nicht zugestehen.

Und so ist das, was sich morgen am frühen Nachmittag unter der Reichstagskuppel abspielt, eine Richtungsentscheidung. Eine Entscheidung über den zukünftigen Umgang mit der AfD. Anderthalb Jahre nachdem die Rechtspopulisten zum ersten Mal einen Fuß in den Plenarsaal gesetzt haben.

Wer ist Mariana Harder-Kühnel?

Gegen die Frau, an der sich dieser Streit entzündet, haben viele Abgeordnete persönlich wenig einzuwenden. Ganz im Gegensatz zu Albrecht Glaser, den die AfD zuvor als Bundestagsvizepräsidenten zur Wahl gestellt hatte und der dreimal wegen islamfeindlicher Äußerungen abgelehnt worden war. Glaser hatte dem Islam das im Grundgesetz verbriefte Recht auf Religionsfreiheit abgesprochen.

Harder-Kühnel bekennt sich, wenn man sie trifft, als Erstes „aus tiefster Überzeugung“ zum Grundgesetz. Verfassungsfeindliche Äußerungen sind von ihr nicht bekannt. Die Juristin ist Schriftführerin im Bundestag. Das heißt, sie sitzt bei manchen Sitzungen bereits oben neben dem Bundestagspräsidenten oder dessen Stellvertretern und kontrolliert beispielsweise die Einhaltung der Redezeit.

Die dreifache Mutter und Juristin macht Familienpolitik. In ihren Reden fordert sie, am Werbeverbot für Abtreibungen nach Paragraf 219a festzuhalten. Sie glaubt, dass die Freiheit der Frau in Deutschland durch die „Masseneinwanderung“ bedroht sei. Und sie moniert, dass in Deutschland Eltern zur Berufstätigkeit gezwungen seien. Harder- Kühnel nennt das „Druck zur Fremdbetreuung“.

Im Bundestag wirkt Harder-Kühnel entschlossen, immer wieder erhebt sie bei ihren Reden die Stimme. Im persönlichen Gespräch macht die schmale Frau mit den dunkelbraunen Haaren dagegen einen fast schüchternen Eindruck. Manchmal spricht sie sogar über „die Kandidatin“, wenn sie sich selbst meint. Sie sagt, es gebe „keine Bedenken gegen die Kandidatin“.

Harder-Kühnel hat sich im Vorfeld mit Vertretern aller Fraktionen getroffen. Nur bei den Linken war niemand dazu bereit. Harder-Kühnel hat die Gespräche mit Union, Grünen, FDP und SPD positiv erlebt. Aber sie weiß eben auch: Wer am Ende gegen sie stimmt, tut das nicht wegen ihrer Person. Er tut es wegen ihrer Partei.

Wie stehen ihre Chancen?

Wie sich an der Wahl Harder-Kühnels selbst innerhalb von Fraktionen die Gemüter scheiden, zeigt sich in der FDP. Als einer der Ersten bekannte FDP-Fraktionschef Christian Lindner, dass er für sie stimmen werde. Er wolle der AfD keine Gelegenheit mehr bieten, sich als Märtyrer zu gerieren. Auch sein Fraktionskollege Wolfgang Kubicki machte deutlich, dass die Parteizugehörigkeit von Harder-Kühnel kein Grund sein kann, sie nicht zu wählen.

Der FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle dagegen meint: „Es ist mittlerweile klar, dass die AfD den Parlamentarismus verachtet und den Bundestag lediglich als Bühne für ihre Social-Media-Aktivitäten verwendet.“ Es sei das falsche Signal in bürgerliche Kreise, die AfD für ihr Verhalten mit dem Posten zu belohnen.

Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus hat sich, wie am Dienstag bekannt wurde, dafür entschieden, Harder-Kühnel zu wählen. Viele in der Union dürften es ihm gleichtun. Aus der SPD hieß es, man werde nicht geschlossen stimmen. Einige dürften sich enthalten. Eine Gruppe von zwölf jungen Abgeordneten verkündete, Harder-Kühnel sei nicht wählbar. „Die AfD spaltet, grenzt aus und hetzt“, erklären sie.

Auch von den Linken ist mehrheitlich Ablehnung zu erwarten. Die parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Britta Haßelmann, erklärte, ihre Fraktion gebe zu der Personalie keine Empfehlung an die Abgeordneten. Am Ende dürfte es darauf ankommen, wie viele Abgeordnete, die bislang mit Nein stimmten, sich nun zu einer Enthaltung durchringen können.

Welche weiteren Bedenken gibt es?

Eine Frage, die Harder-Kühnel häufiger gestellt wird, ist: Würde sie gegen Abgeordnete ihrer eigenen Partei Ordnungsrufe verteilen?  Es ist zwar ein Interessenskonflikt, der potenziell alle Bundestagsvizepräsidenten trifft. Aber bei der AfD gibt es konkrete Beispiele aus der jüngsten Zeit, bei denen jemand aus dem Präsidium einschritt. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble tadelte AfD-Fraktionschefin Alice Weidel, nachdem diese von „Kopftuchmädchen und alimentierten Messermännern und sonstigen Taugenichtsen“ gesprochen hatte.

Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth von den Grünen intervenierte, als der AfD-Mann Thomas Seitz seine Redezeit zweckentfremden wollte, um eine Schweigeminute für die in Wiesbaden getötete Susanna F. abzuhalten. Zudem ist die AfD eine der Fraktionen mit den meisten Zwischenrufen. Bei unflätigen Äußerungen müsste Harder-Kühnel gegebenenfalls einschreiten.

Die Politikerin will glaubhaft machen, dass sie das auch tun würde. Möglicherweise sogar strenger wäre als die anderen Bundestagsvizepräsidenten. Ob das aber stimmt, könnte nur die Praxis zeigen. Unstrittig ist: Es würde Harder-Kühnel in die Bredouille bringen, wenn sich unter ihrem Vorsitz AfD-Abgeordnete danebenbenähmen.

Wie verhält sich die AfD?

Für den Fall, dass Harder-Kühnel wieder scheitert, droht die AfD mit einer Klage. Sie plant außerdem, dann künftig jede Woche einen anderen Kandidaten zur Wahl stellen. Das würde den Betrieb im Bundestag aufhalten und das Klima weiter vergiften.

Bereits jetzt versucht die AfD, die anderen Fraktionen vorzuführen. Kürzlich wollte sie mit einem Hammelsprung feststellen lassen, dass zu wenige Abgeordnete im Parlament sind, blieb aber selbst in der Cafeteria sitzen – um das Ergebnis zu drücken. Von einigen männlichen AfD-Abgeordneten kommen sexistische Zwischenrufe, wenn Frauen am Rednerpult stehen.

Politiker anderer Fraktionen machen keinen Hehl daraus, wie sie die AfD-Abgeordneten sehen: als Rechtsradikale. Der Ton ist unversöhnlich, erst recht seit der Teilbeobachtung durch den Verfassungsschutz.

Die AfD verspricht Besserung, sollte Harder-Kühnel gewählt werden. Die Rechtspopulisten ließen durchblicken, dass sie sich dann wieder kooperativer im Bundestag verhalten wollten. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass Harder-Kühnel ihre Aufgabe sogar geräuschlos verrichten würde. Von den AfD-Vorsitzenden im Justiz-, Tourismus- und Haushaltsausschuss hat man in letzter Zeit auch nichts mehr gehört.

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