AfD im Bundestagspräsidium: "Das Unbehagen anderer Fraktionen gegenüber Frau Harder-Kühnel ist verständlich"
Der Bundestag steht vor einer Richtungsentscheidung. Soll er eine AfD-Politikerin zur Vizepräsidentin machen? Ein Interview.
Frau Kropp, der Bundestag soll an diesem Donnerstag die AfD-Politikerin Mariana Harder-Kühnel ins Präsidium wählen. Ist das eine Zäsur?
Dass eine rechtspopulistische Partei ins Bundestagspräsidium strebt, hat schon eine neue Qualität. Dass Parlamentsneulinge es erst nach einigen Versuchen ins Präsidium des Bundestags geschafft haben, hat es aber schon öfter gegeben.
Zum Beispiel?
Ich denke da an die Grünen. Die sind 1983 erstmals in den Bundestag eingezogen. Erst elf Jahre später haben sie es geschafft, mit Antje Vollmer ihre erste Bundestagsvizepräsidentin zu stellen. Auch der Linken-Politiker Lothar Bisky ist bei der Wahl zum Präsidium mehrfach durchgefallen . Schließlich einigten sich die Abgeordneten darauf, Petra Pau zur Bundestagsvizepräsidentin zu wählen.
War die Aufregung damals gerechtfertigt?
Die Grünen sind anfangs schon mit starken Provokationen aufgefallen. Im Laufe der Jahre sind sie aber vollkommen in den Parlamentsbetrieb integriert worden. Das Gleiche gilt für die PDS, jetzt Linkspartei. Man kann sagen: Der Bundestag hat die beiden Fraktionen mehr verändert als umgekehrt.
Inwiefern?
Wir beobachten im Parlament in der Regel etwas, das wir informale Rollenintegration nennen. Die meisten Amtsträger wollen ihrer Aufgabe gerecht werden, das Amt nach außen gut zu vertreten. Deshalb entscheiden sie sich schnell, die Provokationen aufzugeben und konstruktiv mitzuarbeiten.
Wird das bei der AfD auch so sein?
Da bin ich skeptischer. Die AfD hat ja zwei Teile. Einer orientiert sich am Parlament. Dessen Vertreter wollen konstruktiv Politik machen, zum Beispiel in den Ausschüssen oder im Plenum des Bundestags. Zu diesem Flügel zählt auch Frau Harder-Kühnel. Der andere Teil der AfD versteht sich allerdings als Bewegung. Dessen Vertreter lehnen die demokratischen Grundwerte und die repräsentative Demokratie ab. Hier hat die AfD zwei Seelen in der Brust – und wir wissen nicht, wohin sich die Partei insgesamt entwickeln wird. Insofern besteht schon ein Unterschied zur Geschichte der Grünen, die den Parlamentarismus nie abgelehnt haben.
Halten Sie die Aufregung um Frau Harder-Kühnel für gerechtfertigt?
Als Vizepräsidentin müsste Frau Harder- Kühnel den Bundestag nach außen vertreten. Zugleich lehnen Teile ihrer Partei die Institution des Parlaments an sich ab, machen sie immer wieder verächtlich. Insofern ist das Unbehagen der anderen Fraktionen gegenüber Frau Harder-Kühnel verständlich.
Sabine Kropp ist seit 2013 Inhaberin des Lehrstuhls „Politisches System der BRD“ am Otto-Suhr-Institut für Politische Wissenschaft der Freien Universität Berlin.
Das Gespräch führte Paul Starzmann.