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Undichte Stelle. Ein brisantes Interview des Außenministers Sarif über Machtstrukturen in Iran ist westlichen Medien zugespielt worden.
© Atta Kenare/AFP

Brisantes Interview des iranischen Außenministers: Das Sagen haben die Revolutionsgarden

Irans Chefdiplomat Sarif verhandelt in Wien über das Atomabkommen. Aber er gibt zu: Die Macht haben andere Kräfte.

Als Dschawad Sarif in den ersten Januartagen des vergangenen Jahres an einem Treffen des iranischen Sicherheitsrates teilnahm, wollte er Antworten. Kurz zuvor war eine ukrainische Verkehrsmaschine nach dem Start in Teheran abgestürzt, alle 176 Menschen an Bord waren tot. Sarif, langgedienter Außenminister der Islamischen Republik, fragte die Revolutionsgardisten im Sicherheitsrat, was geschehen war. Die Gardisten wussten, dass einer ihrer Offiziere das Flugzeug mit einer Rakete abgeschossen hatte, weil er es für einen US-Kampfjet hielt. Doch der Außenminister wurde im Dunkeln gelassen. Wenn es eine Rakete gewesen sei, dann müsse er das wissen, um reagieren zu können, beschwor Sarif die Militärs. „Sie schauten mich an, als ob ich Gott gelästert hätte.“

Sarif schilderte die Sicherheitsratssitzung in einem siebenstündigen Gespräch mit dem Journalisten Saaed Lailas. Das Interview war laut Medienberichten als Teil einer internen Bilanz der Regierungszeit von Sarif und Präsident Hassan Ruhani gedacht, die nach der Präsidentschaftswahl im Juni abtreten müssen. Doch einige von Sarifs Äußerungen wurden dem Nachrichtensender Iran International in London zugespielt. Auch die „New York Times“, die „Financial Times“ und die BBC zitierten aus dem Interview. Präsident Ruhani spricht von einer unerlaubten Veröffentlichung.

"Null Einfluss" auf die Politik des Landes

In seiner Bilanz entwirft Sarif das Bild einer Außenpolitik unter der Kuratel der Revolutionsgarde, der Eliteeinheit der iranischen Militärs. Er selbst habe „null Einfluss“ auf die Außenpolitik des Landes, beklagt Sarif, der seit acht Jahren das Teheraner Außenministerium leitet. So habe die Revolutionsgarde im vergangenen Jahr vor einem Raketenangriff auf einen US-Stützpunkt im Irak zwar die Regierung in Bagdad informiert, nicht aber das Teheraner Außenministerium. Am Ende habe sogar die US-Regierung früher von dem Angriff gewusst als er. Vom früheren US-Außenminister John Kerry habe er zu seiner Überraschung erfahren, dass Israel mindestens 200 Luftangriffe auf iranische Stützpunkte in Syrien geflogen habe, sagt Sarif.

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Die Militärs geben in der iranischen Außenpolitik den Ton an, lautet ein Schlüsselsatz in dem Gespräch: „Ich opfere die Diplomatie für die Militärs, statt dass die Militärs der Diplomatie dienen.“ Die iranische Revolutionsgarde betreibt mit ihrer Auslandsdivision, der Quds-Truppe, eine eigene Außenpolitik. Sarif kann dabei nur zuschauen.

Der Politiker, der seine Karriere bei der iranischen UN-Botschaft in New York begann, und seine Kollegen werden von kampferprobten Gardisten als „New Yorker Knaben“ verhöhnt, sagt der Iran-Experte und Buchautor Arash Azizi. Auch der im Iran als Held verehrte Garde-General Qassem Soleimani, der als Chef der Quds-Truppe im vergangenen Jahr von den USA getötet wurde, machte Sarif das Leben schwer. Soleimani bestimmte die iranische Politik im Iran, in Syrien, im Libanon und im Jemen. Er setzte laut Sarif gegen den Protest des Außenministeriums die staatliche Fluggesellschaft Iran Air für den Transport von Truppen und Waffen nach Syrien ein. Soleimani habe ihm kein einziges Mal bei diplomatischen Initiativen geholfen.

Durchgestochenes Interview soll möglicherweise Außenminister schwächen

Zudem versuchte der General nach Sarifs Worten, das internationale Atomabkommen von 2015 zu sabotieren. Soleimani flog demnach 2015 nach Moskau, um den Vertrag zusammen mit Russland zu Fall zu bringen. Damit sollte eine Annäherung des Iran an den Westen verhindert werden, weil das den russischen Einfluss auf Teheran schwächen würde.

Nach Bekanntwerden des Interviews sagte Sarif, er habe der nächsten Regierung Denkanstöße für eine bessere Zusammenarbeit zwischen Außenamt und Militärs geben wollen. Damit hat er sich bei Hardlinern wie Parlamentspräsident Mohammed Kalibaf noch unbeliebter gemacht, als er ohnehin schon war. Kalibaf schrieb auf Twitter, er werde es nicht zulassen, dass die „historische Rolle“ von General Soleimani attackiert werde.

Präsident Ruhani vermutet, dass die die durchgestochenen Passagen des Interviews die Position des Außenministers bei den laufenden Verhandlungen mit dem Westen über eine Wiederbelebung des Atomvertrages von 2015 schwächen soll. Schließlich steht Sarif als Politiker da, der internationale Abmachungen zu Hause nicht durchsetzen kann, wenn es den Militärs nicht passt. Thomas Seibert

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