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In Hamburg bereitet sich die Polizei aus ganz Deutschland auf den G-20-Gipfel vor.
© dpa

Vor G 20 in Hamburg: Wie sinnvoll sind Gipfeltreffen in Großstädten?

Schon jetzt machen die linken G-20-Gegner mobil, 100.000 Demonstranten sind angekündigt. Hamburg rüstet sich mit einem Millionenaufwand, um die Sicherheit zu gewährleisten. Ein Pro und Contra.

PRO:

Angenommen, man suchte unvoreingenommen einen logistisch gut vorbereiteten und symbolisch passenden Ort in Deutschland als geeigneten Treffpunkt für die einflussreichsten Staatenlenker der Welt. Man käme spontan wohl nicht auf Heiligendamm in Mecklenburg oder Schloss Elmau im Kreis Garmisch-Partenkirchen in Oberbayern.

Beide Ferienorte waren überfordert mit den deutschen G-8- und G-7-Gipfeln der vergangenen Jahre: Rund um den weiß getünchten Badeort an der Ostsee kam es 2007 zu einem tagelangen Katz-und-Maus-Spiel zwischen Polizei und erlebnisorientierten Jugendlichen am zwölf Kilometer langen Sperrzaun. Was für ein Theater. Und um die kleine Elmau-Gemeinde Krün im Jahr 2015 so hübsch und weitgehend protestfrei zu halten, mussten Steuerzahler in Bund und Bayern insgesamt mehr als 300 Millionen Euro zahlen.

Nur für Gastgeberin Angela Merkel haben die Spektakel in Feriendörfern funktioniert. Es blieben ja zwei wahlkampfplakattaugliche Fotos: eines mit den Staats- und Regierungschefs im Riesenstrandkorb und eines von Barack Obama, der sich mit ausgebreiteten Armen und Blick auf Angie und Alpenglück die Welt erklären lässt. Ende kommender Woche begrüßt die Kanzlerin gleich 20 Staats- und Regierungschefs führender Industrieländer (und die ein paar weiterer Länder sowie die Vorsitzenden internationaler Organisationen) – diesmal in ihrer Geburtsstadt Hamburg. Auch da gibt es eine hübsche Kulisse, wird man nicht nur als gebürtiger Hamburger sagen. Aber eben nicht nur Kulisse!

In Hamburg, dem selbst ernannten „Tor zur Welt“, gibt es fast alle Probleme, mit denen sich in der Vorbereitung mindestens 16 zivilgesellschaftliche Gruppen – von Unternehmensverbänden (Business20), Frauenorganisationen (Women20), Gewerkschaften (Labour20) – in vielen Monaten zuvor intensiv befasst haben. Hamburg hat, bei allem relativen Wohlstand, auch soziale Probleme, Umweltprobleme. Wie fast jede Millionenstadt.

Die Hamburger werden sich auch freuen über Welt-Nachrichten

Eigentlich sollten sich Politiker immer dort treffen, wo die Menschen leben, über deren Schicksal sie mitentscheiden. Es ist redlicher und transparenter, wenn die Mächtigen in einer Stadt tagen, sich nicht den Blicken ihrer Kritiker entziehen. Und mancher Demonstrant dürfte insgeheim sogar ganz glücklich darüber sein, dass er das Happening an Alsterufer oder Elbstrand ausklingen lassen kann und nicht auf einer zugigen Kuhweide ausharren muss.

Vernünftig ist ein Treffpunkt in der Stadt schon aus Gründen der Nachhaltigkeit: Kein Riesenzaun, keine Hotel-Neubauten sind nötig. Die Stadt Hamburg ist vorzüglich geeignet, mehrere tausend Mitglieder der G-20-Delegationen, die vielen neutralen Beobachter und die Kritiker sicher zu beherbergen. Es werden ein paar stressige Tage für die Gastgeber, gar keine Frage. Aber wer die Hanseaten kennt, weiß auch, dass sie sich am Ende auch ein klein wenig freuen auf bewegte und bewegende Bilder aus ihrer schönen Stadt in TV-Nachrichten von New York über Rio bis Tokio.

Wie man den Rummel überlebt, können sie bei den Nachbarn in Berlin erfragen: Hier fanden die G-20-Gipfel 1999 und 2004 statt. Die Hauptstadtbewohner haben die traumatischen Erlebnisse daran, sofern es denn je welche gab, mittlerweile erfolgreich verdrängt.

Contra: In Städten stören diese Treffen besonders viele Menschen

Der G-7-Gipfel in Elmau bot Angela Merkel die Kulisse für ein historisches Foto mit dem US-Präsidenten Barack Obama.
Der G-7-Gipfel in Elmau bot Angela Merkel die Kulisse für ein historisches Foto mit dem US-Präsidenten Barack Obama.
© AFP

CONTRA:

Für zwei Tage plus An- und Abreise wird Hamburg in den Ausnahmezustand versetzt. Kosten: hoch. Nutzen: fraglich. Und sonst?

Jeder dritte Hamburger will in der Zeit wegfahren. Das ist recht deutlich. Viele Bürger wollen diesen Gipfel nicht in ihrer Stadt, der sie zu lästigen Statisten macht, die es irgendwie zu verdrängen gilt, der mit seinen ausufernden Sicherheitsplanungen einer Beschlagnahme des öffentlichen Raums ähnelt. Und damit haben sie recht.

Jenseits der grundsätzlichen Überlegung, ob man Staatenlenkerzusammenkünfte in G-20-Ausmaßen nicht auch in digitale Diplomatie-2.0-Foren verlagern könnte, gilt: Es ist völlig unnötig, solche Treffen ausgerechnet in Großstädten abzuhalten, wo sie besonders viele Menschen stören, und in solchen mit lebendigen alternativen Szenen erst recht. Und das ist kein Einknicken vor dem Protest, sondern kluges Management. Es liefert ja auch keiner zur Vegetarierhauptversammlung eine Schlachteplatte und wundert sich, wenn er die an den Kopf bekommt.

Die Herstellung von Abstand zwischen Tagungsteilnehmern und Demonstranten, also die Sicherheit des Gipfels selbst ist seither das überragende Thema. Oder spricht auch jemand über dessen Agenda? In Hamburg haben sich rund 100.000 Demonstranten angekündigt. Die Gegenmaßnahme sind eine 38 Quadratkilometer große Sicherheitszone, Demoverbote, gesperrte Straßen, geschlossene U-Bahnhöfe und Absperrungen entlang der Straßen, auf denen die G-20-Entouragen entlangrollen sollen.

Die arrogante Botschaft heißt: Wir wissen von eurer Kritik, sperren euch darum weg – und die Rechnung zahlt ihr. Dass im Vorfeld der Auflauf gewaltbereiter Extremisten überbetont wird, hat den sicher erwünschten Nebeneffekt, alle Demonstranten zu diskreditieren. Schließlich machen die sich ja ein Stück weit gemein mit dem Ansinnen der Anarchos, nicht wahr?

Was der Gipfel letztlich kostet, ist noch offen

50 Millionen Euro überweist der Bund pauschal an Hamburg für die Sicherheitskosten. Wie irre die Summe ist, macht der Blick auf den Hamburger Haushalt klar: Im kompletten Jahr 2017 sind 755 Millionen Euro für die hansestädtische Polizei eingeplant. Was der Gipfel letztlich kosten wird, kann nach Angaben der Bundesregierung erst Ende des Jahres gesagt werden. Die im Raum stehenden Zahlen schwanken zwischen 130 Millionen und 400 Millionen Euro.

Aber es geht ja nicht allein ums Geld. Für die Sicherheit müssen leibhaftige Beamte ihre Köpfe hinhalten – die fast alle auch ohne G20 hunderte Überstunden vor sich herschieben. Und nun kommen neue dazu, damit zweifelhafte Gäste wie die Präsidenten Russlands und der Türkei herzlich empfangen werden können. Ein Hamburger Polizist hat das in einem offenen Brief als „Frechheit“ bezeichnet.

Und es könnte allmählich auch den Beteiligten selbst mal dämmern, dass sie mit Auftritten wie dem zu erwartenden in Hamburg das schlechtestmögliche Bild ihrer selbst in die Welt senden: drinnen Reden schwingend und taub für den Protest der Menschen draußen. Was für ein PR-Gau.

Warum sich also nicht da treffen, wo drum herum nichts ist. Weil Luxushotels fehlen? Bauen Sie temporäre Containerdörfer! Gipfeltreffen sind Arbeitstreffen.

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