zum Hauptinhalt
Zwei Wähler bei der Kommunalwahl in Hessen
© dpa/Frank Rumpenhorst

Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt: Wie man Landtagswahlen gewinnt

Wie werden Landtagswahlen entschieden? Wenn man das wüsste! Eine Geschichte vom richtigen Moment, der richtigen Person, dem richtigen Thema am richtigen Platz. Und Glück!

Thomas Mirow ist ein sehr honoriger Politiker sowie Wirtschafts- und Finanzexperte. Niemand, der ihn kennt, auch niemand aus anderen Parteien, würde etwas Schlechtes über den Sozialdemokraten sagen. Nur Wahlkampf kann er nicht.

Der SPD-Kampagnenmacher Frank Stauss sagte einmal, es gebe gute Politiker, die schlechte Wahlkämpfer seien, und Thomas Mirow gehört ganz gewiss zu ihnen. 2004 musste er bei den vorgezogenen Wahlen in Hamburg gegen Amtsinhaber Ole von Beust antreten. Mirow wirkte als Redner immer sehr verdruckst, im Straßenwahlkampf spürte man, dass es ihm körperlich unangenehm war, Rosen zu verteilen.

Ja, und dann, dann setzte er sich auf ein Bobbycar. Das Bild erfüllte das Klischee von einem, der irgendwie immer falsch aussah, bei dem, was er tat. Er verlor haushoch. Aber diese damalige Wahl in Hamburg ist auch von anderer Seite ein Lehrbeispiel für die Existenz eines Momentums, das man nutzen kann.

Ole von Beust war 2001 nur mit Hilfe des Rechtspopulisten Ronald Barnabas Schill an die Macht gekommen, hatte gemeinsam mit der FDP ein populistisch anmutendes Bündnis geschlossen, das bald platzte, auch weil Schill Beust damit erpresste, dessen Homosexualität öffentlich zu machen. Dennoch sahen die Hamburger offenbar in von Beust einen der ihren, dem man verzieh, er war ein guter Repräsentant der Stadt, beliebt, und die Sozialdemokraten hatten zuvor sehr, sehr lange regiert.

2004 war ein Selbstläufer für Ole von Beust, aber es gab auch einen einzigen Satz oder besser Slogan, der dieses Gefühl des Moments ausdrückte: "Alster, Michel, Ole" - damit gewann Beust die absolute Mehrheit.

Hamburgs Erster Bürgermeister Ole von Beust 2004 beim Amtseid
Hamburgs Erster Bürgermeister Ole von Beust 2004 beim Amtseid
© dpa/Maurizio Gambarini

Aber wie es so ist im Leben, das Momentum verändert sich, manche Personen passen dann einfach nicht hinein. So erging es Beusts Nachfolger Christoph Ahlhaus bei den vorgezogenen Wahlen 2011. Diesmal war die schwarz-grüne Regierung nach dem Rücktritt von Ole von Beust geplatzt. Das Gefühl der Hanseaten war: Chaos. Und dann kam Olaf Scholz, einst als "Scholzomat" verlacht, dem man wenig Bürgernähe zutraute.

Gerade im aktuellen Wahlkampf in Rheinland-Pfalz hat Scholz in einer stillen Minute betont, dass er selbst jenen Satz erfunden habe, der den Sozialdemokraten die absolute Mehrheit einbrachte. Aus dem fluffigen "Alster, Michel, Ole" der CDU wurde nun der Slogan des SPD-Mannes Scholz: "Wer Führung bei mir bestellt, der bekommt sie." Wenn man im Gespräch zu Scholz sagt, er habe lediglich einen Satz für diese absolute Mehrheit gebraucht, dann grinst er nur.

Berliner SPD profitierte von Wowereits Popularität

Manchmal, im Idealfall, geht eine ganze Kampagne auf. Um sich diese Möglichkeit zu eröffnen, muss eine Partei aber fleißig analysieren mit ihren Wahlkampfberatern und dann auch noch die richtigen Schlüsse ziehen. 2010, ein Jahr vor der Berlin-Wahl, war für die SPD deshalb ein wichtiges Jahr. Denn gemeinsam mit der engagierten Werbeagentur Butter führte man sogenannte Fokusgruppenbefragungen durch und fand heraus: Der allseits gescholtene Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit war erstens noch immer sehr beliebt, die Leute mochten ihn, und zweitens fanden die Berliner ihre Stadt ganz okay und waren, trotz aller Mängel, stolz auf sie.

Aus dieser für die Kampagnenmacher überraschenden, aber klaren Botschaft zimmerten die Wahlkämpfer eine total auf Wowereit zugeschnittene Kampagne mit dem Höhepunkt, dass auf einem Plakat ein Kind dem Regierenden ein Stoff-Krokodil ins Gesicht halten durfte. Es menschelte, die Inhalte, nun ja, sie waren weniger wichtig, das Wichtigste: Wowereit gewann, die damals starke Herausforderin der Grünen, Renate Künast, wurde als Schlechtrednerin gebrandmarkt. Am Ende verlor sie im Fernsehduell die Nerven, schloss Schwarz-Grün aus und widersprach wesentlichen Kernsätzen wie dem Nein zur Autobahnverlängerung A100.

Polarisierung hilft nicht immer

Aber immer nur auf eine Person zu setzen, reicht auch nicht aus. In Niedersachsen musste das 2013 der CDU-Ministerpräsident David McAllister erfahren. Er war sehr beliebt, und er lag immer vorn mit der CDU. Der Herausforderer Stephan Weil, ein erfahrener Kommunal- und Landespolitiker und Oberbürgermeister von Hannover, galt als zu spröde und menschenscheu. Die SPD setzte mit den Grünen auf Bildung, auf Verlängerung der Grundschulzeit, kostenlose Kitas, die CDU setzte auf McAllister.

Obwohl es eigentlich keine großartige Wechselstimmung im Land gab, ging es schief für Schwarz-Gelb. Sie hatten, was erfahrene Kampagnenmacher richtig finden, ganz auf Polarisierung gesetzt: Wir oder die! Schwarz-Gelb statt unsichere rot-grüne Experimente. Man malte den Untergang der Gymnasien an den Horizont. Und man wollte als CDU der FDP auf die Sprünge helfen mit einer Leihstimmenkampagne.

Ein beleuchteter Ballon mit der Aufschrift "CDU" bei einer Wahlkampfkundgebung in Hannover
Ein beleuchteter Ballon mit der Aufschrift "CDU" bei einer Wahlkampfkundgebung in Hannover
© dpa/Jochen Lübke

Doch was clever schien, war zu arrogant. Die FDP bekam so viele Leihstimmen (9,9 Prozentpunkte), dass die CDU auf 36 Prozent abrutschte. Kein Demoskop hatte dies so auf dem Schirm. Am Ende reichte es zu einem hauchdünnen Vorsprung für SPD und Grüne.

Stephan Weil gehört auch den Politikern, denen man unbedingt zutraut, zu regieren, von denen man aber denkt, sie könnten keine Wahlen gewinnen. Weil hat alle Skeptiker Lügen gestraft. Allerdings hatte er auch Glück.

Fukushima als Hilfe für die Grünen

In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz hat die Reaktorkatastrophe von Fukushima den Grünen bei der letzten Wahl auch geholfen. In Baden-Württemberg haben die Grünen das Momentum optimal genutzt, vor allem ihr Ministerpräsident Winfried Kretschmann.

In Rheinland-Pfalz rettete sich 2011 Kurt Beck auch nur dank des Erfolges der Grünen in eine rot-grüne Koalition. Eigentlich war das Momentum klar auf Seiten der CDU um Julia Klöckner. Beck hatte hohe Schulden gemacht und seine Regierung hatte den Skandal am Nürburgring zu verantworten, der dem Steuerzahler mehr als 500 Millionen Euro kostete. Aber dann blieb Klöckner 0,5 Prozentpunkte hinter der SPD, die FDP flog aus dem Landtag, und die Grünen regierten mit knapp 15 Prozent Stimmengewinn mit.

In diesem Wahlkampf war alles offen, weil die Flüchtlingsfrage kein anderes Thema und womöglich auch kein spezielles Momentum zuließ. In solchen Zeiten gibt es Protest, das ist dieses Mal die AfD, und die Suche nach Sicherheit. Wenn diese stark ist, dann hat meistens der amtierende Regierungschef mehr davon.

Der Autor ist Redakteur für besondere Aufgaben und hat schon einige Landtagswahlen beobachtet und Spitzenkandidaten begleitet. Folgen Sie ihm auch auf Twitter.

Zur Startseite