SPD-Wahlkampf: Frank Stauss, der Mann für aussichtlose Lagen
Kampagnen für die SPD auch in aussichtsloser Lage – das ist das Geschäft von Frank Stauss. Wird die Wahl in Rheinland-Pfalz sein Meisterstück?
Den Hang zur Rebellion bekommt er nicht raus. Muss an den frühen 80er Jahren liegen, längst vergangene Zeiten. Er und Ute Vogt, spätere Landeschefin der SPD in Baden-Württemberg bis 2009 und heutige Bundestagsabgeordnete, beide noch Gymnasiasten, stehen vor einem Münzfernsprecher in ihrem Heimatörtchen Wiesloch. Sie wählen die Nummer von Gert Weisskirchen, Bundestagsabgeordneter und Außenpolitiker aus der Region, der dem Parlament bis 2009 angehörte: „Hallo, Herr Weisskirchen, wir wollen eine Juso-AG gründen, können Sie helfen?“
Wiesloch war eine tiefschwarze Kleinstadt und eine Jungsozialistengruppe reinste Provokation. Weisskirchen antwortet mit einem Satz: „Bin sofort da!“
Frank Stauss, der junge Rebell von einst, sitzt 35 Jahre später nördlich von Berlin-Mitte, dort, wo die Chausseestraße schon Wedding ist und schmuddelig, in einem Mietshaus, Hinterhof, 3. Stockwerk. Die Berlin-Dependance der Düsseldorfer Werbeagentur Butter. Große Räume, sehr smarte Mitarbeiter, Obst auf dem Tisch, künstliches Ofenfeuer vom Flachbildschirm, Retro-Sofa. Stauss, groß und schlank, trägt Jeans und einen gelb-schwarzen Schal.
Der Mann hat eine doppelte Identität
Jetzt besteht die Rebellion vielleicht darin, dass er immer wieder vor allem für die SPD Wahlkampf macht, auch in scheinbar ausweglosen Lagen wie 2005 für Gerhard Schröder, wie 2009 für Frank-Walter Steinmeier, wie jetzt für Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz. Und vermutlich, die Entscheidung, sagt er selbst, falle im Herbst dieses Jahres, auch für die Bundes-SPD 2017. Er ist der bekannteste Genossenflüsterer hinter den Kulissen. 2013 hat er Pause vom Wahlkampf gemacht und lieber ein Buch über Wahlkämpfe geschrieben („Höllenritt“), das ziemlich gut ankam und ihn weit über die Branche hinaus bekannt machte. Über sein Business sagt er: „Manche nehmen nur Aufträge an, bei denen klar ist, dass sie gewinnen. Das wäre mir zu feige. Wenn ich von der Sache überzeugt bin, dann gehe ich rein und versuche, das Beste rauszuholen.“
Hört man ihm länger zu, wird schnell klar: Der Mann hat eine doppelte Identität. Er ist Emotion und Leidenschaft genauso wie Analyst und Akademiker. Auf jeden Fall ist er ein Wahlkampfberater, der mehr als 20 Wahlkämpfe auf dem Buckel hat. Sein ehemaliger Professor Dieter Roth, selbst Wahlforscher und lange Leiter der Forschungsgruppe Wahlen, sagt über ihn: „Er ist im besten Sinne ein akademischer Lehrer, beherrscht das Handwerk und geht im Job auf professionelle Distanz.“
Ein ehemaliger Kampagnenchef eines Bundestagswahlkampfes der SPD sagt: „Er liebt Kampagnen, hat keine Angst vor Konflikten und schwierigen Situationen.“
Und Stauss’ Mutter findet: Widerspruch habe der Frank bei ihr gelernt, weil er ihr ja ständig widersprochen habe!
Damals, in den 80ern, war er Juso-Chef und Pressesprecher der SPD Rheinneckar. Er sagt, er habe alles gelernt, was man für Parteiarbeit brauche: Diskussionsführung, Organisation, Straßenwahlkampf. Eine Erkenntnis gewann er am Stand auf der Straße, lange bevor er ein Kommunikationsprofi wurde und Wahlforschung studierte: „Die Basis braucht Wahlkampfmaterial, an das sie glaubt.“
Eigentlich stand der Parteikarriere nichts im Weg, bis er ein Stipendium bekam für die USA. Er zweifelte, wollte die Partei nicht im Stich lassen. Wieder ein Anruf bei Gert Weisskirchen: „Natürlich gehst du“, sagte der. Im Sessel seiner Werbeagentur, in die er 1993 eintrat und in der er Karriere machte, leuchten seine Augen, wenn er von der Zeit in Amerika spricht. Die SPD und die Politik waren schon Leidenschaften, aber politische Kommunikation und Wahlkampf, das war genau das, was er wirklich machen wollte. Er sagt: „Wahlkampf in den USA heißt vor allem: erbarmungslose Konsequenz zu sich selbst.“
„Wahlen können starke Kandidaten fast alleine gewinnen. Hauptsache, es kommt kein ‚Friendly Fire‘ aus dem eigenen Laden.“
sagt Frank Stauss
Er durfte beim Senator Al Gore hospitieren, es war das Eintrittsticket, um bei der Clinton/Gore-Kampagne um das Präsidentschaftsamt 1992 dabei zu sein. Er erinnert sich an drei große Kisten im Büro mit Briefen: die Anhänger, die Unentschlossenen und die Gegner. Beantwortet wurden immer nur Briefe der Unentschlossenen. Wahlkampf bedeute dort „maximale Effizienz“. Wenn klar sei, dass ein Kandidat in bestimmten Bundesstaaten nicht gewinnen könne, werde sofort das Geld gestrichen. Vor allem hat er in den USA gelernt, dass Emotion und Professionalität zusammengehören. Sie schließen sich nicht aus. Deshalb ist Zuspitzung für Stauss auch ein wichtiges Instrument im Wahlkampf. Bevor man aber zuspitzen könne, müsse klar sein, was das eigene Ziel sei.
In Rheinland-Pfalz kann man gerade beobachten, was er meint: Fast zehn Prozentpunkte lag Malu Dreyer mit der SPD schon hinter der Herausforderin Julia Klöckner (CDU). Gleichzeitig zählen die landesweiten Themen nichts, weil die Flüchtlingsproblematik alles überlagert. Die Vokabeln für die Ministerpräsidentin lauten demnach: Verlässlichkeit, Haltung, Vernunft, Erfahrung. Die Botschaft: Nur die erfahrene Amtsinhaberin könne dies garantieren. Die Zuspitzung ist einfach: Dreyer oder Klöckner, Verlässlichkeit oder Risiko. Jetzt beträgt Klöckners Vorsprung nur noch einen Prozentpunkt.
Stauss darf nicht offen über diesen laufenden Wahlkampf reden, er ist Dienstleister, aber man kann davon ausgehen, dass er sehr zufrieden ist mit der Performance der Spitzenkandidatin. Sie beherrscht vor allem eines: Autosuggestion. Stauss hält dies im Wahlkampf für eine besonders wichtige Eigenschaft. Man schließt eine Niederlage so lange völlig aus, bis sie eingetreten ist. Oder doch der Sieg! Gerhard Schröder hat mit dieser Eigenschaft 2005 beinahe noch Angela Merkel abgefangen.
Aber auch das nüchterne Handwerk gehört dazu. Genaue Analyse der Lage, sie wird oft durch eine Befragung sogenannter Fokusgruppen erreicht. Bürger werden lange vor einer Wahl nach bestimmten Wünschen befragt oder nach Eigenschaften eines Kandidaten. Der Wahlkampf für Klaus Wowereit 2010 entstand etwa aus solchen Erkenntnissen. Man fand heraus, dass die Berliner, anders als es den Anschein machte, gar nicht die Nase voll hatten von ihrem Regierenden. Vor allem wollten sie nicht, dass ihre Stadt schlechtgeredet wird. So fokussierte sich die Kampagne total auf Wowereit und gegen die „Schlechtrednerin“ Renate Künast von den Grünen, obwohl die lange Zeit als Koalitionspartner galt.
Stauss ist nicht nur ein Kommunikationswissenschaftler. Er versteht auch was von Politik. Wenn man ihn lässt, dekliniert er alle Kriterien herunter, mit denen die SPD in Zukunft erfolgreich sein könnte. Besinnen auf die eigenen Stärken, integrativ wirken, „Fels und Lösung“ zugleich sein, sagen, wofür man steht. Er kann das auch sagen, nur gerade jetzt nicht öffentlich. Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man glauben, hier spricht eine Art Generalsekretär oder Parteisprecher. In der SPD schätzen sie ihn schon sehr. Nicht nur Sigmar Gabriel. Über den sagt Stauss: „Es wird immer gesagt, da sei so viel Irritierendes an der Linie von Sigmar Gabriel. Ich frage mich, wo dieser Vorwurf substanziell gerechtfertigt ist. Ich sehe das nicht.“
Wer weiß, was nach den Landtagswahlen am 13. März geschieht. Stauss jedenfalls ist „elektrisiert“ von der aktuellen politischen Lage und findet: „2017 wird irrsinnig spannend, und zwar vor allem deshalb, weil wir in einer Umbruchzeit leben. Es gibt sehr viele Umbrüche, der Grad der Verunsicherung in der Bevölkerung ist enorm. Darauf Antworten zu finden, finde ich herausfordernd.“
Noch ist nicht klar, wer die SPD in diesem Bundestagswahlkampf führen wird. Stauss hat sehr viel Erfahrung mit vielen unterschiedlichen Kandidaten. Mit Michael Naumann hat er in Hamburg verloren, Olaf Scholz gewann dort die absolute Mehrheit. Der richtige Mann am richtigen Ort, der die Wahl im Prinzip mit einem einzigen Satz gewann: „Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie.“
Stauss sagt, es gebe gute Politiker, die schlechte Kandidaten seien. Vor allem aber gilt: „Wahlen können starke Kandidaten fast alleine gewinnen. Hauptsache, es kommt kein ‚Friendly Fire‘ aus dem eigenen Laden.“ Wann diese Rebellion in den eigenen Reihen gegen einen Kandidaten beginnt, kann Frank Stauss vermutlich ziemlich gut einschätzen.
Er ist ja Sozialdemokrat.