Nach Wohnungskauf für 980.000 Euro: Wie Jens Spahn einen alten Freund in einen Top-Job holte
2019 machte der Minister den Ex-Pharma-Manager Markus Leyck Dieken zum Chef-Digitalisierer im Gesundheitswesen. Zuvor hatte er ihm eine Wohnung abgekauft.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat im vergangenen Jahr einen früheren Pharma-Manager und Lobbyisten zum Chef-Digitalisierer im Gesundheitswesen ernannt, mit dem ihn eine langjährige persönliche Bekanntschaft sowie ein gemeinsames Immobiliengeschäft verbindet. Beides war bisher in der Öffentlichkeit nicht bekannt.
Wie das Amtsgericht Schöneberg (Grundbuchamt) dem Tagesspiegel auf Anfrage bestätigt hat, war der heutige Alleingeschäftsführer der Gematik GmbH Markus Leyck Dieken vor Spahn Eigentümer von dessen Wohnung im Berliner Bezirk Schöneberg.
Leyck Dieken habe die Wohnung ausweislich der Unterlagen für 980.000 Euro an Spahn verkauft. Dieser sei im Grundbuch seit Anfang Januar 2018 als Eigentümer eingetragen. Das Gesundheitsministerium teilte mit, dass sich beide zwar „seit vielen Jahren persönlich kennen“. Sowohl Spahn wie Leyck Dieken wiesen jedoch zurück, dass Wohnungskauf oder persönliche Kontakte bei der Besetzung des Spitzenpostens eine Rolle gespielt hätten.
Die Gematik soll die elektronische Patientenakte vorbereiten
Die Gematik soll digitale Strukturen für das Gesundheitssystem erarbeiten, unter anderem für die elektronische Patientenakte und das E-Rezept. Auf Betreiben Spahns übernahm der Bund im Frühjahr 2019 die Mehrheit an der Gesellschaft. Zuvor war die Gematik vom Spitzenverband der Krankenkassen GKV sowie Ärzte- und Apothekerverbänden getragen worden und galt in der Organisation als träge.
Im Sommer 2019 setzte der Minister dann den gelernten Internisten und Notfallmediziner Leyck Dieken an die Spitze, zu einem Gehalt, das Medienberichten zufolge einschließlich Zulagen nahezu doppelt so hoch liegen soll wie das seines Vorgängers. Vor seinem Job bei der Gematik war Leyck Dieken unter anderem Deutschland-Chef von Ratiopharm (Teva) und gehörte zum Vorstand des Branchenverbands Pro Generika.
„Wir bauen die Arena, auf deren Spielfeld die Industrie ihre digitalen Lösungen in den Gesundheitsmarkt bringen kann“, sagte er vor einem halben Jahr dem „Handelsblatt“. Die elektronische Patientenakte hatte er bereits zuvor einen „Flugzeugträger der Gesundheitsversorgung von morgen“ genannt.
Apotheker und Kassen fühlten sich vom Wechsel überrollt
Die Personalie rief damals Kritik hervor, da Spahn die Mitgesellschafter mit seiner Entscheidung auf Grundlage der neuen Bundes-Mehrheit von 51 Prozent offenbar überrumpelte. „Das ist nicht zwingend ein Beispiel für gute Zusammenarbeit“, äußerte sich GKV-Chefin Doris Pfeiffer. Die Anti-Korruptionsorganisation Transparency International erklärte, bereits als Bundestagsabgeordneter habe Spahn nebenbei als Teilhaber einer Lobbyagentur eine übermäßige Nähe zu Klienten aus dem Medizin- und Pharmasektor gehabt.
„Mit der Berufung von Leyck Dieken zerstört Spahn das Vertrauen in seine Pläne für die elektronische Patientenakte“, hieß es damals. Der Minister habe der Pharma-Industrie damit dort den Führungsposten zugeschoben.
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Spahn besitzt neben dieser Wohnung und Miteigentum an einer mehrere Millionen Euro teuren Villa in Berlin-Dahlem aktuell noch eine weitere Wohnung in Schöneberg. Nach Recherchen von „Stern“ und Tagesspiegel ist Spahn für diese Immobilie seit Frühjahr 2016 als Eigentümer im Grundbuch eingetragen.
Laut vorliegendem Kaufvertrag hat er auch für dieses Objekt mehrere hunderttausend Euro bezahlt. Das Gesundheitsministerium betonte, an diesem Erwerb im Sommer 2015 sei Leyck Dieken nicht beteiligt gewesen. Die Wohnung sei aktuell vermietet. Nach Tagesspiegel-Informationen ist Mieter seit Ende 2017 FDP-Chef Christian Lindner.
Kontakte zwischen Spahn und Leyck Dieken waren auch Thema im Bundestag. So fragte die Linke-Fraktion im Juli 2019, ob Spahn in seiner Zeit als Mitgesellschafter der Beratungsfirma „Politas“ zwischen 2006 und 2010 geschäftliche Beziehungen zu Firmen unterhalten hatte, die Leyck Dieken in diesem Zeitraum vertrat. Die Bundesregierung verneinte dies.
Zunächst mauerten beide auf Tagesspiegel-Anfragen
Sowohl Leyck Dieken wie Spahn zeigten wenig Bereitschaft, dass ihr Wohnungsgeschäft öffentlich bekannt wird. Fragen, ob es zwischen ihnen beiden vor dem Personalwechsel bei der Gematik wirtschaftliche oder vertragliche Kontakte gegeben hat, ließen sie zunächst unbeantwortet. Den Wohnungsverkauf bestätigten sie erst nach Vorhalt der Grundbuch-Informationen. Spahn habe die Immobilie mit seinem Ehemann zu einem „marktüblichen Preis“ im August 2017 erworben, hieß es als Reaktion. „Zu dem Zeitpunkt war Spahn weder Bundesminister für Gesundheit, noch war eine solche Ernennung absehbar, noch hielt das Bundesministerium für Gesundheit damals Anteile an der Gematik“, erklärte ein Sprecher.
Dass persönliche Beziehungen bei der Gematik-Personalie eine Rolle gespielt haben könnten, bestreitet das Ministerium: Leyck Dieken habe sich „in einem offenen, transparenten Verfahren“ gegen sieben Mitbewerber durchgesetzt. Die Suche nach einem neuen Geschäftsführer sei federführend vom Personalberater Kienbaum Consultants umgesetzt worden. In der neuen Position erhalte Leyck Dieken ein gegenüber seinem Vorgänger um 110.000 Euro heraufgesetztes Fixgehalt von 300.000 Euro im Jahr. Dies sei auf Grundlage einer Kienbaum-Analyse über die Vergütung vergleichbarer Positionen festgesetzt worden. Die vertraglichen Regelungen seien „markt- und leistungsgerecht“.
War die knappe Million „marktüblich“ ?
Leyck Dieken ließ über die Gematik-Pressestelle außerdem mitteilen, er habe seine neue Aufgabe nicht aus finanziellen Gründen übernommen. Vielmehr sei er „von der Notwendigkeit überzeugt, die Digitalisierung des Gesundheitswesens voranzutreiben“. Dafür habe er im Vergleich zu seiner vorherigen Anstellung erhebliche Gehaltseinbußen akzeptiert. Spahn habe er vor vielen Jahren bei politischen Dialogveranstaltungen zur Arzneimittelversorgung lange vor dessen Berufung zum Bundesminister kennen gelernt. „Seitdem treffen sie sich regelmäßig und tauschen sich aus.“
In offenbar abgestimmten Erklärungen teilten Gematik und Gesundheitsministerium sodann mit, dass außer dem Immobiliengeschäft zwischen Leyck Dieken und Spahn keine weiteren wirtschaftlichen, geschäftlichen, vertraglichen Kontakte oder Beziehungen bestehen oder bestanden hätten.
Ob der Kaufpreis der Immobilie von knapp einer Million Euro tatsächlich „marktüblich“ war, ließ sich zunächst nicht nachvollziehen. Sowohl Spahn wie Leyck Dieken gaben auf Anfrage keine Auskünfte zur Wohnungsgröße. Dem bezirklichen Bauamt liegen die Daten nach eigenen Angaben nicht vor.
Spahn klagt vor Gericht, aber das Grundbuchamt bekräftigt den Informationsanspruch
Erst kürzlich hat das Grundbuchamt ein anderes Immobiliengeschäft Spahns bestätigt. Seit Oktober sind in diesem Fall sowohl Spahn wie sein Ehemann Daniel Funke, der als Lobbyist für den Burda-Verlag in Berlin tätig ist, als neue Eigentümer eines Grundstücks in Dahlem eingetragen. Auch der Kaufpreis für die Villa, die der Makler als „Baudenkmal in Bestlage“ angepriesen hatte, wurde genannt.
Spahn hat jedoch vor dem Landgericht Hamburg gegenüber mehreren Medien, darunter dem Tagesspiegel, Verfügungen erwirkt, dass der Kaufpreis nicht öffentlich genannt werden dürfe. Der Minister ist überzeugt, dass es sich dabei um seine Privatangelegenheit handele. Das Amtsgericht Schöneberg bekräftigte nun, der Presse stehe im Rahmen journalistischer Recherche eine Auskunft aus dem Grundbuch nach Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wie des Bundesverfassungsgerichts zu.
Hinweis: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, nach Medienberichten solle FDP-Chef Christian Lindner zumindest zeitweilig in der Wohnung gewohnt haben, die zuvor Markus Leyck Dieken gehört hat. Dies trifft nicht zu.