Vergeltung für den Tod Soleimanis: Wie Irans Führung sich an den USA rächen könnte
Der Iran wird die Tötung Soleimanis nicht einfach hinnehmen. Verschiedene Vergeltungsmaßnahmen sind denkbar.
Die iranischen Behörden ließen nach dem US-Mordanschlag auf Generalmajor Qassem Soleimani eine blutrote Fahne als Zeichen einer bevorstehenden Schlacht hissen. Das Staatsfernsehen zeigte, wie die Flagge an einem Mast auf der Spitze einer Moschee in der heiligen Stadt Qom hochgezogen wurde.
Teherans Führung demonstrierte ihre Entschlossenheit, einen harten und demütigenden Vergeltungsschlag gegen die Supermacht Amerika zu führen. Dazu gehörten auch eine aufwändige Trauerkundgebung und ein Heldenbegräbnis für den mit Raketen liquidierten Chef der mächtigen Al-Quds-Brigaden. Am Sonntag versammelten sich Zehntausende in der südwestiranischen Stadt Ahvaz, um Soleimanis Leichnam zu begleiten.
Trotz der Emotionen wird der Iran die Ziele für den angekündigten Racheakt sorgfältig auswählen. Denn einen offenen Krieg mit den USA will der Iran vermeiden. Zu groß ist die militärische Überlegenheit der Vereinigten Staaten.
Verschiedene Möglichkeiten der Vergeltung
Die USA hatten Soleimani, den Vordenker der iranischen Expansionspolitik im Nahen Osten, in der Nacht zum Freitag auf Befehl von Präsident Donald Trump mit einem Drohnenangriff in Bagdad getötet. Revolutionsführer Ali Chamenei kündigte massive Vergeltung an. Die iranische Reaktion dürfte den gleichen Leitlinien folgen wie das bisherige Vorgehen Teherans im eskalierenden Streit mit Washington.
Die Mullahs wollen Trump von seiner Politik des „maximalen Drucks“ auf Teheran abbringen und der US-Regierung klarmachen, dass die Kosten dieser Haltung höher sind als der Nutzen. Das Kalkül: Je mehr ein iranischer Vergeltungsschlag den Präsidenten vor der Wahl im November bloßstellt und der US-Wirtschaft schadet, desto besser für Teheran. Daraus ergeben sich mehrere Optionen.
Angriff auf die Straße von Hormus
So brachte General Gholamali Abuhamzeh, Kommandeur der iranischen Revolutionsgarden in Soleimanis Heimatprovinz Kerman, einen Angriff auf die Straße von Hormus ins Spiel, eine enge Wasserstraße im Persischen Golf, die für die Ölschifffahrt und damit für die Weltwirtschaft von großer Bedeutung ist.
Mit Angriffen auf mehrere Öltanker im Golf hatten die Iraner im Sommer gezeigt, dass sie in der Lage sind, den Schiffsverkehr in der Gegend empfindlich zu treffen. Sie können sich dabei auf eine große Zahl von Seezielflugkörpern und Schnellbooten stützen.
In einer Analyse der Stiftung Wissenschaft und Politik zum militärischen Potenzial des Iran schreiben die Autoren Sascha Lange und Oliver Schmidt: „Im schlimmsten Fall“ seien die Marineverbände der Islamischen Republik in der Lage, den Schifffahrtsverkehr im Persischen Golf für einige Tage zu unterbrechen. Länger aber wohl auch nicht. Denn dies könne der Iran nur durchhalten, „bis es zur Intervention durch moderne Verbände wie etwa der amerikanischen oder britischen Marine kommen würde“.
Beschuss amerikanischer Stützpunkte
Auch ein Beschuss amerikanischer Militärstützpunkte am Golf ist möglich. Die US-Streitkräfte haben mehrere Zehntausend Soldaten sowie starke Luftwaffen- und Marineverbände in Katar, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Kuwait stationiert. Sie liegen in der Reichweite iranischer Raketen. Teheran hat in den vergangenen Jahren sehr viel Aufwand betrieben, um auf diesem Gebiet die militärische Schlagkraft des Landes zu verbessern. Experten gehen davon aus, dass vor allem die Präzision der Geschosse enorm zugenommen hat. Nach eigenen Angaben hat der Iran mehr als 30 potenzielle Ziele für Vergeltungsangriffe in der Region des Nahen und Mittleren Ostens ausgemacht.
Angriffe durch Verbündete des Iran
Anschläge iranischer Verbündeter gehören ebenfalls zu den Möglichkeiten. Rund 150.000 schiitische Milizionäre im Irak hören auf Befehle aus Teheran. Auch in Syrien kämpfen pro-iranische Gruppen. Die rund 5.000 US-Soldaten im Irak und Hunderte amerikanischen Soldaten in Syrien sind deshalb besonders gefährdet.
Die Teheran-treue Miliz Kataib Hisbollah im Irak, deren Gründer Abu Mahdi al Muhandis zusammen mit Soleimani bei dem US-Drohnenangriff starb, rief die irakischen Sicherheitskräfte auf, die Umgebung amerikanischer Stützpunkte ab sofort zu meiden.
Wie groß die Gefahr durch iranische Gruppen für die USA im Nahen Osten ist, zeigte ein Anschlag pro-iranischer Extremisten auf eine Kaserne der US-Marineinfanterie in der libanesischen Hauptstadt Beirut im Jahr 1983. Damals starben mehr als 240 US-Soldaten und Militärmitarbeiter.
Anschläge auf US-amerikanische Zivilisten
Auch amerikanische Zivilisten könnten ins Visier der Iraner geraten. Am Samstagabend schlugen mehrere Raketen in Bagdads sogenannter Grünen Zone ein, in der sich auch die hoch gesicherte US-Botschaft befindet. Vor einigen Tagen gab es den Versuch pro-iranischen Gruppen, die diplomatische Vertretung zu stürmen. Aydin Selcen, ein ehemaliger türkischer Generalkonsul in Erbil, verwies im amerikanischen Sender VOA zudem auf die Vertretungen amerikanischer Ölfirmen im Nordirak, die als potenzielle Ziele iranischer Racheaktionen in frage kämen.
Angriff auf Israel und Saudi-Arabien
Raketenangriffe auf die amerikanischen Verbündeten Israel und Saudi-Arabien gehören ebenfalls zu Teherans Optionen. General Abuhamzeh von den Revolutionsgarden erwähnte ausdrücklich, dass Tel Aviv in der Reichweite iranischer Raketen liege. In Israel nimmt man derartige Drohungen sehr ernst. Die Armee wurde bereits nach dem Tod Soleimanis in Alarmbereitschaft versetzt, die Sicherheitsvorkehrungen an den Botschaften des Landes erhöht.
Aus Israels Sicht war Soleimani einer der gefährlichsten Todfeinde. Der General galt als Mastermind vieler Attacken auf den jüdischen Staat. Der Mossad soll immer gewusst haben, wo sich Soleimani gerade aufhielt. Seit Langem führt Israel vor allem in Syrien eine Art Schattenkrieg gegen den Iran.
Erst kurz vor Silvester sagte Aviv Kochavi, Generalstabschef der israelischen Armee, dass die Möglichkeit einer begrenzten Konfrontation mit Teheran nicht unwahrscheinlich sei. Es gibt aber auch Sicherheitsexperten, die davon ausgehen, dass der Iran einen massiven Schlag gegen den jüdischen Staat nicht wagen würde: Die Mullahs wüssten, was ihnen dann drohte.
Saudi-Arabien dürfte ebenfalls gewarnt sein. Ein Drohnen- und Raketenangriff im September, der aus dem Jemen kam und von den USA dem Iran zugeschrieben wurde, legte vorübergehend einen Großteil der saudischen Ölproduktion lahm – für das Königreich war das ein Realität gewordener Alptraum. Denn die Attacke machte deutlich, wie verwundbar das Land trotz aller anderslautender Bekundungen des Königshauses tatsächlich ist.
Weitere Angriffe wären für Kronprinz Mohammed bin Salman – ein erklärter, wenn nicht gar fanatischer Gegner der Mullahs in Teheran – ein Desaster. Er hat erst jüngst den zig milliardenschweren saudischen Erdölkonzern Aramco an die Börse gebracht.
Cyber-Angriffe des Iran
Manche Experten halten zudem Cyber-Angriffe des Iran für möglich. Vor einigen Jahren machten amerikanische Behörden iranische Hacker für Angriffe auf die Websites mehrerer US-Banken und auf die Kontrollsysteme eines Staudamms in New York verantwortlich.
John Hultquist von der Internet-Sicherheitsfirma FireEye sagte der britischen Zeitung „Guardian“, nach Soleimanis Tod werde Teheran möglicherweise erneut versuchen, den amerikanischen Privatsektor über das Internet zu attackieren. Beispielsweise könnten Hacker massenhaft Daten in einem System löschen und „alles zum Stillstand bringen“, sagte Hultquist. Damit könnte die Islamischen Republik der US-Wirtschaft schaden.
Teherans Militärstrategen müssen allerdings bei ihren Überlegungen eine mögliche US-Reaktion auf iranische Racheaktionen immer mit einberechnen. Einen offenen Krieg mit der Supermacht USA will der Iran wegen seiner klaren militärischen Unterlegenheit unbedingt vermeiden.
Trump drohte bereits mit Gegenschlägen auf 52 Ziele im Iran, darunter auch kulturelle Einrichtungen. Das Land werde „sehr schnell und sehr hart“ getroffen werden, warnte der US-Präsident. Die Zahl 52 kommt nicht von ungefähr. Am 4. November 1979 nahmen iranische Studenten 52 Mitarbeiter der US-Botschaft in Teheran als Geiseln und forderten die Auslieferung des gestürzten Schahs. Erst nach 444 Tagen konnten die Festgehaltenen nach mühsamen Verhandlungen ausgeflogen werden. Das Drama hat in Amerika niemand vergessen.