Festnahme von Salafisten: Wie groß war die Gefahr beim Berliner Halbmarathon?
Alarm bei der Polizei: Sechs Salafisten wurden verdächtigt, einen Anschlag auf den Halbmarathon zu planen. Wie gefährlich war die Situation?
Die Sorge war groß, militante Islamisten könnten am Sonntag den Berliner Halbmarathon attackieren. Um der Gefahr eines Anschlags auf das Massenspektakel vorzubeugen, nahm die Polizei sechs Salafisten vorläufig fest. Einen konkreten Terroranschlag auf den Halbmarathon hätten diese aber nicht geplant, hieß es schließlich am Montag.
Was ist passiert?
Die Sicherheitsbehörden hatten die sechs Männer im Alter von 18 bis 21 Jahren schon länger im Blick. Der Trupp war aufgefallen, weil er sich offenbar gezielt zu Örtlichkeiten an der Strecke des Halbmarathons begab, auch nachts. Die Polizei observierte die Salafisten, außerdem wurde die Telekommunikation überwacht.
Das auffällige Verhalten der Salafisten erregte den Verdacht, die Route der Halbmarathonläufer werde für einen Anschlag ausgespäht. Und dann kam am Sonnabend der Anschlag in Münster.
Die mit einem Fahrzeug verübte Bluttat in der westfälischen Stadt entspricht dem „Modus Operandi“ islamistischer Terroristen, wie es Sicherheitsbehörden formulieren. Gerade auch in Berlin. Anis Amri war am 19. Dezember 2016 mit einem gekaperten Lkw in den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz gerast. Zwölf Menschen starben, mehr als 70 wurden verletzt.
Obwohl sich schon in der Nacht zu Sonntag herausstellte, dass der Angriff in Münster keinen islamistischen Hintergrund hatte, befürchteten in Berlin Polizei und Staatsanwaltschaft, die observierten Salafisten könnten nun erst recht motiviert sein, den Halbmarathon anzugreifen – und womöglich mit einem Wagen in Läufer und Zuschauer zu fahren.
Als Anreiz für die Extremisten wurde zudem ein Vorfall vom Freitag in Cottbus eingestuft. Dort war ein betrunkener Mann, der zuvor rechte Parolen gegrölt hatte, mit seinem Geländewagen in eine Gruppe von Menschen gefahren und hatte zwei Männer verletzt.
Polizei und Staatsanwaltschaft hätten sich am Sonntag nach intensiven Beratungen entschlossen, „keinen zweiten Amri“ zu riskieren, sagen Sicherheitskreise. Die Staatsanwaltschaft beantragte Durchsuchungsbeschlüsse für die Wohnungen der sechs Salafisten. Am Mittag – der Halbmarathon hatte um 10 Uhr begonnen – kamen die Beschlüsse und die Polizei konnte loslegen.
Mehrere Gruppen des Spezialeinsatzkommandos (SEK) stürmten die Wohnungen und nahmen die Salafisten vorläufig fest. Es wurden auch zwei Fahrzeuge in den Bezirken Charlottenburg-Wilmersdorf und Neukölln durchsucht. Eine zumindest theoretische Gefahr war gebannt.
Die Polizei entdeckte in den Wohnungen der Salafisten aber keine Waffen, keinen Sprengstoff und offenbar auf den ersten Blick auch sonst keine Hinweise auf einen geplanten Anschlag. Gegen sie ergingen keine Haftbefehle, wie ein Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft am Montagnachmittag mitteilte. Die Salafisten kamen wieder frei. Länger als bis zum Ende des Folgetages konnte man sie ohne Haftbefehl nicht festhalten.
Was ist über die Verdächtigen bekannt?
Die meisten der Männer sind deutsche Staatsbürger, die Sicherheitsbehörden zählen sie alle zur Berliner Salafistenszene. Zwei Männer gelten als zentrale Figuren: Der Deutschiraker Walid S. und der Deutschtunesier Abed El-Rahman W. Sie sollen Anis Amri gekannt haben, unter anderem über die salafistische Fussilet Moschee in Moabit. Amri hatte sich hier mehrmals aufgehalten, zuletzt kurz vor dem Anschlag an der Gedächtniskirche.
Im Februar 2017 verbot Innensenator Andreas Geisel (SPD) den Moscheeverein, unter anderem wegen der „Unterstützung von Gewaltanwendung als Mittel zur Durchsetzung religiöser Belange“. Die Moschee galt als Treffpunkt von Anhängern der Terrormiliz IS. Amri habe am Tag seines Anschlags auch Walid S. getroffen, sagen Sicherheitsexperten. Und dieser habe sich nur Stunden nach der Amokfahrt von Amri am Tatort umgeschaut.
Am 14. Dezember 2017, fast ein Jahr nach dem Attentat am Breitscheidplatz, durchsuchten Polizeibeamte die Wohnungen von Walid S, Abed El-Rahman W. und zwei weiterer Salafisten in Berlin und Sachsen-Anhalt. Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hatte ein Ermittlungsverfahren gegen Walid S. und zwei Kumpane eingeleitet. Die drei sollen im November 2016 zum IS nach Syrien gereist sein. Abed El-Rahman W. soll seine Freunde in Berlin zum Flughafen gefahren haben.
Sicherheitskreise sagen zudem, schon 2015 habe Walid S. versucht, in den Irak zu reisen, um sich dem IS anzuschließen. Er sei aber noch in Berlin gestoppt worden. Walid S. wird von der Polizei als „Gefährder“ eingestuft.
Auf welcher Grundlage können die Strafverfolgungsbehörden präventiv eingreifen?
Beim Verdacht auf „Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat“ (Paragraf 89a Strafgesetzbuch) können die Sicherheitsbehörden schon früh aktiv werden. Ein Terrorverdächtiger muss nicht erst eine Bombe basteln, um festgenommen zu werden. Polizei und Generalstaatsanwaltschaft teilten am Sonntag mit, im Vorfeld des Berliner Halbmarathons habe es „vereinzelte Hinweise“ gegeben, die sechs Festgenommenen könnten „an der Vorbereitung eines Verbrechens im Zusammenhang mit dieser Veranstaltung beteiligt gewesen sein“.
Ob zu diesen Hinweisen auch der Tipp eines ausländischen Geheimdienstes zählte, ist umstritten. Eine Quelle berichtete dem Tagesspiegel von einem solchen Hinweis, andere Sicherheitsexperten dementierten.
Hätte die Polizei am Sonntag beobachtet, dass die Salafisten sich bereits dem Halbmarathon nähern, wäre es möglich gewesen, die Verdächtigen umgehend in Gewahrsam zu nehmen. Rechtsgrundlage wäre das Berliner „Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz“.
Wie werden Gefährder identifiziert?
Die Bundesregierung definiert „Gefährder“ als eine Person, „zu der bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung“ begehen wird. Das Bundeskriminalamt stuft derzeit gut 760 Menschen als Gefährder ein – darunter auch 35 Frauen. Allerdings halten sich davon laut Sicherheitsexperten mehrere hundert im Ausland auf, von denen in Deutschland wiederum sitzen einige in Haft.
Nach dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz wurde im Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum (GTAZ) von Bund und Ländern ein neues System eingeführt, das eine einheitliche Bewertung der Gefährlichkeit von polizeibekannten militanten Salafisten möglich macht. Vorher war diese oft vom Bauchgefühl der Ermittler abhängig.
Entwickelt wurde das System vom BKA in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe Forensische Psychologie der Universität Konstanz – der Name: „RADAR-iTE“. Es wird von den Sicherheitsbehörden mit den vorliegenden Informationen über eine Person gefüttert. Zu Risikofaktoren gehören etwa psychische Auffälligkeit oder Gewalttaten. In der Auswertung werden die Gefährder in eine der drei Kategorien „moderates“, „auffälliges“ oder „hohes Risiko“ eingeordnet. Hätte es das System schon vor dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz gegeben, wäre Amri in die höchste Stufe einsortiert worden.
Zu den Gefährdern kommen außerdem sogenannte „relevante Personen“ - sie zählen zum Unterstützernetzwerk der Gefährder. Davon gibt es im islamistischen Spektrum weitere 496.
Wie viele Gefährder werden abgeschoben?
Nach Paragraf 58a Aufenthaltsgesetz dürfen Ausländer, die nachweisbar eine besondere Gefahr für die Bundesrepublik darstellen, sofort abgeschoben werden. Allerdings wird er bislang nur sehr zögerlich angewandt. Eine Anfrage des FDP-Fraktionsvizes Stephan Thomae ergab, dass seit Anfang 2017 nur 10 Personen auf dieser Rechtsgrundlage abgeschoben wurden. „Es darf nicht sein, dass die Zahl der Gefährder in Deutschland weiter zunimmt, während die Zahl der Abschiebungen minimal bleibt. Die Länder müssen die Abschiebungen endlich durchsetzen“, sagt Thomae.
Warum ist die Zahl so niedrig?
Ein Problem ist, dass Gefährder oft einen Doppelpass oder nur die deutsche Staatsbürgerschaft haben. Sie können nicht abgeschoben werden. „Wenn ihnen auch keine terroristische Aktivität nachgewiesen werden kann, müssen andere Straftaten konsequent verfolgt und auch gebündelt werden, um einen Haftbefehl zu erwirken“, sagt Burkhard Lischka, der innenpolitische Sprecher der SPD im Bundestag.
Im Koalitionsvertrag steht zudem, dass Dschihadisten mit doppelter Staatsbürgerschaft die deutsche entzogen werden soll. Lischka ist aber dagegen, sie dann einfach auszuweisen. „Erst einmal muss ihnen in Deutschland der Prozess gemacht werden, sie müssen ihre Haftstrafe hier verbüßen. Sonst sind sie eine tickende Zeitbombe.“
Aber auch bei Gefährdern mit ausländischen Pass, ist die Sache kompliziert. Das Gericht muss von der Gefährlichkeit der Person überzeugt sein. Zudem darf dieser im Heimatland nicht der Tod drohen – in arabischen Staaten besteht für zurückkehrende Dschihadisten diese Gefahr durchaus.
Und oft haben die Gefährder keine Papiere – es müssen also erst bei der Botschaft Passersatzpapiere besorgt werden. „Gefährder können allerdings bis zu 18 Monate in Abschiebehaft genommen werden, bis die Papiere vorliegen“, sagt Lischka. Von dieser Möglichkeit müsse auch Gebrauch gemacht werden.
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