Terrorverdacht beim Halbmarathon nicht erhärtet: Salafisten wieder auf freiem Fuß
Nach der Festnahme von sechs Salafisten lässt sich Verdacht auf einen Anschlag beim Berliner Halbmarathon nicht erhärten. Innensenator Geisel und Bundesinnenminister Seehofer verteidigen das Vorgehen.
Die sechs mutmaßlichen Islamisten, die parallel zum Berliner Halbmarathon festgenommen wurden, sind wieder frei. Es gebe keinen dringenden Tatverdacht. Die 18- bis 21-jährigen Männer wurden aus der Polizeigewahrsam entlassen. Gegen sie gibt es keinen Haftbefehl, wie ein Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft mitteilte.
Es seien weder Sprengstoff, Waffen oder andere Beweismittel gefunden worden, mit denen sich der Anfangsverdacht auf Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat konkretisieren ließe. Das sagte Polizeisprecher Thomas Neuendorf am Montag dem Tagesspiegel. Die Polizei hatte mehrere Wohnungen sowie zwei Fahrzeuge in den Berliner Bezirken Charlottenburg-Wilmersdorf und Neukölln durchsucht.
Polizei und Innensenator Geisel verteidigen das entschiedene Vorgehen
Zugleich verteidigte die Polizei das Vorgehen. Es habe Verdachtsmomente gegeben. Auf Grundlage der Ermittlungen und einem Anfangsverdacht, dass die Beschuldigten einen Anschlag vorbereiten sollen, seien die Wohnungen nach der Strafprozessordnung durchsucht worden. Ein „Gefährdungsmoment“ habe man nicht ausschließen können. „Wir sind wachsam und wenn es einen Anfangsverdacht gibt, werden wir tätig.“
Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) stellte sich hinter die Polizei und verteidigte das Vorgehen. "Mit Blick auf die Sicherheit der Berlinerinnen und Berliner und ihrer Gäste, war es die richtige Entscheidung, so zu handeln, wie es Staatsanwaltschaft und Polizei getan haben", sagte Geisel dem Tagesspiegel.
Die Spitze der Senatsinnenverwaltung - also die politische Führung aus Senator und Staatssekretär Torsten Akmann (SPD) - sei wie bei derlei schwerwiegenden Maßnahmen informiert worden. Geisels Sprecher ergänzte: Wenn es Hinweise gebe, die zu einem Anfangsverdacht führten, müsse man abwägen: "Greift man zu oder nicht?“
Auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat die Festnahme ausdrücklich begrüßt. „Wir haben eine sehr angespannte Sicherheitslage in der Bundesrepublik Deutschland nach wie vor. Das heißt, mit einem Anschlag muss jederzeit gerechnet werden“, sagte Seehofer am Montag. „Vor diesem Hintergrund ist es richtig, wenn die Sicherheitsbehörden sehr aufmerksam sind und auch Konsequenzen ziehen, wenn es aus ihrer Sicht notwendig ist.“
Die Polizei könnte damit einen Anschlag während des Berliner Halbmarathons am Sonntag verhindert haben. Zuerst hatte die "Welt" davon berichtet. Nach Angaben der Polizei haben mehrere Gruppen des Spezialeinsatzkommandos sechs Salafisten festgenommen, die zwischen 18 bis 21 Jahren alt sind. Die Festgenommenen seien womöglich an der "Vorbereitung eines Verbrechens im Zusammenhang mit dieser Veranstaltung beteiligt" gewesen, teilten Polizei und Berliner Generalstaatsanwaltschaft am Sonntag mit.
Der Hauptverdächtige, der Iraker S. und ein Komplize gehören zum privaten Umfeld des Tunesiers Anis Amri, der 2016 den Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche mit zwölf Toten verübte, wie Sicherheitskreise gegenüber dem Tagesspiegel bestätigten. Die Männer hätten in den vergangenen Wochen auffällig und auch nachts mehrere Stellen der Laufstrecke aufgesucht.
Meldungen, wonach diese geplant hätten, mit zwei extra scharf geschliffenen Messern Zuschauer und Teilnehmer des Laufs anzugreifen und zu töten, sind allerdings falsch. Am Rande des Sportereignisses hatte es am Adenauertunnel eine Messerstecherei gegeben, die mit dem geplanten Anschlag nach Tagesspiegel-Informationen offenbar nichts zu tun hatte.
Polizeisprecher Thomas Neuendorf sagte am Sonntagabend der Deutschen Presse-Agentur, dass die Sicherheitsbehörden keine konkreten Hinweise gehabt hätten, dass der Halbmarathon Ziel eines Anschlags gewesen sein könnte. „Für die Läufer und Teilnehmer und das Personal bestand zu keiner Zeit eine Gefahr.“ Die Polizei sei im Vorfeld des Halbmarathons „besonders aufmerksam gewesen“. Die Durchsuchungen hätten sich auf Personen bezogen, „die wir dem islamistisch-terroristischen Bereich zurechnen“. Die beschlagnahmten Beweismittel, darunter Handys und Computer, würden weiter ausgewertet.
Wohnungsdurchsuchungen in City West und Neukölln
In der Wohnung eines mutmaßlichen Komplizen sollen nach "Welt"-Angaben Sprengstoff-Hunde angeschlagen haben. Die Berliner Polizei teilte am Sonntagabend mit, dass im Zuge der bisherigen Maßnahmen kein Sprengstoff gefunden wurde.
Bei der Durchsuchung der Wohnung des Hauptverdächtigen in der Budapester Straße stellte die Polizei Beweismittel und Datenträger sicher. Nach Tagesspiegel-Informationen fanden die Festnahmen am Sonntagmitttag, also nach dem Start des Sportereignisses statt. Die Männer wurden aus mehreren Wohnungen geholt. Keiner habe sich am Halbmarathon aufgehalten, hieß es.
Einige Wohnungen in der City West hätten sich allerdings in der Nähe der Laufstrecke befunden. Am Sonntagvormittag hatte Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) erklärt, angesichts der Attentats von Münster habe er die ohnehin verschärften Sicherheitsvorkehrungen noch einmal überprüfen lassen. Auch vor dem Hintergrund dieses Vorfalls, bei dem ein Mann mit einem Auto in eine Menschenmenge gerast war, habe sich die Polizei heute zum Zugriff entschieden, wie die Behörde mitteilte.
Nach Informationen des Tagesspiegels wurde der Hauptverdächtige seit 14 Tagen rund um die Uhr observiert. Ein Sicherheitsexperte sagte, ein Nachrichtendienst habe einen Hinweis auf einen bevorstehenden Anschlag von S. beim Halbmarathon gegeben. Deshalb hätten die Berliner Sicherheitsbehörden kurzfristig den Zugriff geplant. Andere Quellen bestätigten das nicht. Danach seien die Salafisten vielmehr präventiv überwacht und dann vorläufig festgenommen worden.
Wie die "Bild"-Zeitung berichtet, soll der Hauptverdächtige erst vor Kurzem aus dem Gefängnis entlassen worden sein. Bereits hinter Gittern soll er demnach einen Anschlag angekündigt haben. Bereits im Dezember 2017 soll er von der Polizei festgenommen worden sein, als IS-Mitglieder zum Flughafen chauffiert haben soll, die nach Syrien ausreisen wollten.
Verdächtige hatten Verbindungen zur Fussilet-Moschee
Sicherheitskreise sagten dem Tagesspiegel, der Iraker S. und der weitere festgenommene frühere Bekannte von Amri hätten sich „im Umfeld“ der Fussilet-Moschee bewegt. Innensenator Andreas Geisel hatte den salafistischen Moscheeverein 2017 verboten. Amri hatte sich in der Moschee aufgehalten, zuletzt am 19. Dezember 2016, dem Tag des Anschlags. Der Iraker S. soll schon vor dem Terrorangriff von Amri versucht haben, in den Irak zu gelangen – vermutlich, um sich der Terrormiliz IS anzuschließen. Die Ausreise sei jedoch verhindert worden, sagten Sicherheitskreise.
Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) dankte den Sicherheitskräften - auch mit Blick auf die Amokfahrt von Münster -, „dass sie durch ihre Umsicht und Polizeiarbeit eine weitere Attacke auf die friedlichen, den Halbmarathon genießenden Zuschauer verhindern konnten“. „Ob in Münster, Berlin oder anderswo - wir lassen uns unser friedliches Zusammenleben nicht nehmen“, schrieb Müller auf seiner Facebook-Seite. Der Halbmarathon gehöre zu den schönsten Sportereignissen von weltweitem Interesse in Berlin. Das solle so bleiben, ließ der Bürgermeister zudem aus Jordanien wissen.
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) äußerte sich zufrieden mit dem Vorgehen der Sicherheitskräfte. „Es ist beruhigend, dass die Berliner Polizei diese mutmaßlichen Gefährder offenbar so unter Beobachtung hatte, dass sie sie jederzeit aus dem Verkehr ziehen konnte“, erklärte der GdP-Vorsitzende Oliver Malchow. (mit Reuters, dpa, AFP, epd)