Verstorbener Ex-US-Präsident: Wie George H. W. Bush Schirmherr der Einheit wurde
George H. W. Bush ist tot. Er war ein Europafreund. Und er war ein Freund Deutschlands. Ein Freund, wie es in der Geschichte mit den USA keinen besseren gibt.
Die Stimme rau, ja brüchig, leise auch, und in den Augen stehen erkennbar Tränen. Bill Clinton spricht – aber nicht über sich, sondern über George Bush den Älteren. Und das aus Anlass einer Ehrung für ihn, Clinton, in Deutschland. Es ist schon einige Zeit her, aber es zeigt doch etwas Großes auf: den Respekt, den George Herbert Walker Bush, wie er mit vollständigem Namen heißt, Republikaner, 41. Präsident der USA, über Parteigrenzen hinweg genoss. Nun ist er gestorben, im gesegneten Alter von 94 Jahren. Amerika hält inne, in diesem Fall in Trauer vereint. Selbst Donald Trump rühmt ihn für sein Land. Auch Deutschland hat allen Grund dazu. Denn es ist ihm wie keinem Zweiten zum Dank verpflichtet. Ohne ihn gäbe es das Land, in dem wir heute leben, nicht.
Er war für viele der „richtige Bush“. So nannten ihn in den Jahren nach dem Ende seiner Amtszeit 1993 und nach der von Clinton die konkurrierenden Demokraten sowieso. Denn das geschah sowohl aus Respekt, aber auch, um ihn von seinem Sohn abzugrenzen, dem 43. Präsidenten, der nach Clinton kam. Aber eben dieser Clinton bleibt der, der den Respekt am besten zum Ausdruck brachte. Bis heute bezeichnet er es als einen seiner größten Erfolge, sogar als ein Geschenk, mit diesem Bush, dem älteren, befreundet gewesen zu sein.
Unvergessen, wie die beiden Ex-Präsidenten in der Welt herumreisten, in einem Flugzeug, Clinton zu Füßen von Bush sitzend, mit ihm scherzend, im Kampf gegen Armut und Aids. Oder wie Barbara Bush, die ihrem Mann im April nach 73 Jahren Ehe vorangegangen ist, Clinton herzte. Er war ihnen, ja doch, wie ein Sohn geworden.
Eine Geschichte aus einer vergangenen, vielleicht verlorenen Zeit? Nun, da war auch viel Wettbewerb, viel Härte in Wahlkämpfen, war Polemik – aber es wurde kein Hass geschürt. Und weil da kein Hass war, konnte später Freundschaft wachsen. Zwischen dem jungenhaften Gouverneur aus Arkansas, in Europa eher unbekannt, der zu seiner Zeit die Nummer eins unter den Regierungschefs in den Vereinigten Staaten war, ihr Star und ein Comeback Kid, und dem Präsidenten, der so viel politische Erfahrung aus so vielen Jahrzehnten mitbrachte.
Es ist auch, aber nicht allein die gemeinsame Erfahrung im größten, machtvollsten, einsamsten politischen Amt der Welt, die die bisherigen Amtsinhaber vereint. Es ist der Respekt, der sie zusammenbringt. Und im Falle Bush das Wissen aufseiten der Kundigen, dass er, der Ältere, ein großer Präsident war. In Europa, wo Clinton als Präsident bekannt und beliebt wurde wie wenige, muss heute eher wieder bekannt gemacht werden, welch großer Europafreund Bush war. Er war auch ein Freund Deutschlands, wie es in der gemeinsamen Geschichte mit den USA von der Bedeutung her keinen besseren gibt.
Bush verband in seiner Person Widersprüche: das Distinguierte der Ostküstenoberschicht – geboren in Massachusetts, mit einem „goldenen Löffel im Mund“, wie seine Gegner sagten – und erfolgreichen Unternehmergeist in Texas. Texas, für das er auch als Abgeordneter ins Repräsentantenhaus einzog und wo er jetzt starb, in Houston. Er war dann Leiter des „Verbindungsbüros der USA“ in China, wie die Botschaft in den siebziger Jahren hieß, danach Direktor der CIA. Bush kannte also die politischen Untiefen, die Krisenherde, die Herausforderungen der Welt, bevor sie öffentlich wurden. Er brachte mehr als das Notwendige an politischer Erfahrung mit – und darüber hinaus noch eine Eigenschaft, die ihn zunächst zum idealen und idealtypischen Vizepräsidenten machte: Loyalität.
Bush regierte im Stillen
Es war Bush, der im Stillen regierte, als Präsident Ronald Reagan sich 1981 von einem Attentat erholen musste und nicht in der Lage war, die Amtsgeschäfte auszuführen. Es waren nicht nur wenige Wochen, wie es heißt, sondern es dauerte länger. Nur sollte es keiner wissen, durfte auch keiner, weil Reagan sonst das Amt hätte abgeben müssen. Das geschah nicht. Nicht zuletzt deshalb, weil Bush das nicht wollte. Er weigerte sich, Reagan für arbeitsunfähig zu erklären. Er wollte den im Land, im Volk beliebten Präsidenten im Amt halten. So auch bei Reagans Krebserkrankung, die zu einer Operation führte; da übernahm Bush offiziell nur für einige Stunden. Das war sein Staatsverständnis; er konnte dienen. Und wenn, dann wollte er um seiner selbst willen gewählt werden. 1980 hatte er schon einmal versucht, Präsident zu werden, aber sich nicht durchsetzen können. Das hat ihn nicht entmutigt, sondern in seiner durchaus demütigen Ansicht bestärkt: Geliehen ist die Macht immer, doch sie soll erworben sein.
Bush erwarb sie, nach Reagan. Sein Wahlkampf 1988 war nicht zimperlich: Kampagnenchef James Baker, nachmalig Minister, und er zertrümmerten den demokratischen Bewerber Michael Dukakis geradezu. Der Fall Willie Horton wurde in den USA danach zum Synonym für diese Art der Wahlkampfführung: Dukakis wurde gekoppelt mit Schwäche und Nachgiebigkeit. Horton hatte in Dukakis’ Zeit als Gouverneur in Massachusetts einen Hafturlaub zur Flucht benutzt, eine Frau vergewaltigt und den Ehemann schwer misshandelt. In der Folge schmolz der enorme Vorsprung des Demokraten. Bei der Wahl konnte George Bush dann sowohl beim Stimmenanteil im Volk als auch bei den Wahlmännern ein bis heute unerreichtes Ergebnis erzielen. Anschließend warb er um Versöhnung.
Wissen, Haltung und das Gefühl für Größenordnungen: Das war es, was Bush hatte – und was heute gewürdigt gehört. Schon bei seiner Amtseinführung im Januar 1989 sagte „No.41“, wie er später zu Hause ab und zu gerufen wurde, das Ende des Totalitarismus voraus. Die „totalitäre Ära“ werde „wegfallen wie Blätter an einem leblosen Baum“, erklärte er vor der Welt und ließ damit aufhorchen. Aber zunächst vornehmlich bei den Fachleuten, die sich daran erinnerten, dass Bush 1985 schon von der Trauerfeier im Kreml für Konstantin Tschernenko an Reagan telegrafierte, in Michail Gorbatschow komme ein neuer Typus von Sowjetführer auf ihn zu.
Dann der Mai 1989. Bush besucht Deutschland, hält in Mainz eine Grundsatzrede. In Mainz, weil er findet, dass dort die deutsche Seele zu Hause sei. 2000 Gäste hören, wie der Präsident freie Wahlen in Osteuropa fordert, den Abbau aller Schranken, und: „Lasst Berlin nächste Station sein.“ Für ihn ist die „brutale Mauer“ Monument für das Scheitern des Kommunismus – „sie muss fallen“. Er wird gehört, wirklich verstanden wird er nicht. Noch nicht. Auch, dass Bush dem deutschen Kanzler Helmut Kohl dann noch „Partnerschaft in der Führung“ anbietet, erfährt nur freundlichen Applaus.
Die Deutschen waren vorsichtig
Dieser US-Präsident erkannte mit seinen Beratern eine grundlegende, grundstürzende Entwicklung im Osten, und er sah sie positiv. Die Deutschen, an der Spitze Kohl, waren dagegen vorsichtig. Für sie war die Zeit noch nicht so weit; und nachher, als die Ereignisse an Geschwindigkeit rasant zunahmen, wollten sie der in der Welt vorhandenen Skepsis keinen Vorschub leisten, die Deutschen könnten plötzlich wieder dem Nationalismus anheimfallen. Diese Skepsis hatte ja auch Bushs Sicherheitsberater Brent Scowcroft bewogen, in der Mainzer Rede Bushs allzu weitgehende Passagen zu streichen. Aber das Verhalten Kohls, überhaupt seiner ganzen Regierung in den kommenden Monaten, überzeugte die Bush-Administration – und den Präsidenten ganz persönlich. Bush wurde, besser: er machte sich zum Schirmherrn des Vereinigungsprozesses.
Dass die Deutschen mit der Wiedervereinigung eine kaum beherrschbare Stärke (zurück-)gewinnen könnten, war für viele in der Welt mehr als eine Theorie; die Rede war von einem „Vierten Reich“, zu dem Deutschland werden könnte. Es gab sogar Versuche, den Prozess der Annäherung zu hintertreiben. Bush aber wusste die Vorbehalte gut aufgehoben bei Kohl und Genscher, begleitete aus dem Hintergrund die Gespräche mit Gorbatschow und dessen Außenminister Eduard Schewardnadse, gab Garantien und vor allem: Er schenkte Vertrauen. „Ich vertraue ihm (Kohl) – vertraut ihm auch“, so lautete sein Rat an die misstrauischen, ja ablehnenden Margaret Thatcher, damals britische Premierministerin, und Frankreichs Staatspräsident Francois Mitterrand.
Die Regierung Kohl erwies sich seines Vertrauens als würdig, Deutschland blieb sogar wiedervereinigt Mitglied der Nato, die genau im Jahr 1989 den 40. Jahrestag ihrer Gründung feierte. Und war nicht eine ihre Aufgaben, „to keep the Germans down“, also die Deutschen im Griff zu behalten? Nun begaben die sich selbst in diesen Griff. Weil sie ihrerseits dem amerikanischen Präsidenten vertrauten.
Ja, das war die Zeit des George Herbert Walker Bush, 41. Präsident der USA. Er war ein „Glücksfall für Deutschland“, wie Helmut Kohl aus guten Gründen sagte. Sein Beitrag zur Einheit sollte auf ewig unvergessen sein. Und vielleicht kommt die Zeit, da die Deutschen und die Amerikaner sich an sein Vermächtnis erinnern, Partner in der Führung zu werden.