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Stehrad? Wenn die EU-Kommission sich mit ihren Vorschlägen durchsetzt, könnten Windräder bei jedem Engpass vom Stromnetz abgehängt werden.
© picture alliance / blickwinkel/M

"Winter-Paket" der EU-Kommission: Wie Europas Energiepolitik in Zukunft aussehen soll

Die EU-Kommission legt ein umfassendes Regelungswerk zu Energieeffizienz, erneuerbaren Energien und dem Strommarkt vor – den Verbänden bleibt wenig Zeit, um darauf zu reagieren.

Eine „Monsterdatei“ europäischer Gesetzgebung sieht Ed King voraus. Der Chefredakteur des Klima-Informationsportals „Climate Home“ spricht von mehr als 1000 Seiten. Antje Mensen vom Deutschen Naturschutzring (DNR) nennt das ganze einen „legislativen Tsunami“. Der für Energie zuständige Vizepräsident der Europäischen Kommission, Maros Sefcovic, tauft das Paket, das mehrere Richtlinien, Arbeitspläne und Legislativvorschläge enthält, lieber „Saubere Energie für alle Europäer“.

Schon vor der Veröffentlichung an diesem Mittwoch haben sich Verbände, Wirtschaft und Denkfabriken positioniert, und zwar überaus gegensätzlich. Während die Umweltverbände befürchten, dass damit die Förderung erneuerbarer Energien mehr oder weniger abgeschafft werden soll, geißeln wirtschaftsnahe Think Tanks wie das Centrum für Europäische Politik (cep) in Freiburg das Paket als zu marktfeindlich. Die Cep-Experten sehen eigentlich gar keine Rechtfertigung für eine Förderung erneuerbarer Energien.

Wie schon beim Vorschlag über die Lastenteilung bei der Umsetzung der Klimapolitik in Europa, die kam einen Tag vor Beginn der Sommerpause, hat die EU-Kommission wieder einen Termin für die Präsentation ihrer Vorschläge gewählt, der knapp vor einer Politikpause liegt, nämlich knapp vor Weihnachten. Ein Überblick über das „Winter-Paket“.

Energieeffizienz

Maros Sefcovic hat die Grundsätze des Winter-Pakets sicherheitshalber schon am Dienstag in Brüssel vorgestellt, nicht dass ihm Energie- und Klimakommissar Miguel Arias Cañete noch die Schau stiehlt. Sefcovic betonte, dass die gesamte Energie- und Klimapolitik dem Grundsatz „zuerst Energieeffizienz“ folgen soll. Dieses Signal findet Brian Motherway entscheidend. Er leitet die Effizienzabteilung bei der Internationalen Energieagentur (IEA) in Paris und sagt, der Effizienzmarkt sei 2015 um sechs Prozent auf 221 Milliarden Dollar gewachsen. Das Wichtigste sei, dass Investoren das Vertrauen hätten, dass sich die Investitionen in Energieeffizienz lohnten.

Dass das zumindest bei einem Teil der Wirtschaft der Fall ist, hat der Effizienzverband der Wirtschaft, Deneff, mit einer Umfrage ermittelt. 140 Unternehmen haben sich daran beteiligt. Und drei Viertel von ihnen sehen einen positiven oder sehr positiven Einfluss der EU-Energieeffizienz-Richtlinie auf den Effizienzmarkt in der EU. Deneff-Vorstand Christian Noll sagte dem Tagesspiegel, die Richtlinie „wirkt extrem positiv auf die Entwicklung des Energieeffizienzmarkts“.

Noll wünscht sich allerdings etwas mehr Ehrgeiz, als die Kommission sich zutraut. Sie will zwar das Effizienzziel bis 2030 anheben, von mindestens 27 Prozent, die der Europäische Rat schon 2014 beschlossen hatte, auf 30 Prozent zu erhöhen und zu einem verbindlichen Ziel zu machen. Das EU-Parlament hatte aber 40 Prozent gefordert. Gerechnet wird der Effizienzfortschritt im Vergleich zu einem Energieverbrauchs-Szenario ohne zusätzliche Effizienzpolitik. Die Vorgabe, jährlich um 1,5 Prozent effizienter zu werden wird über das Jahr 2020 hinaus weiter fortgeschrieben. Bisher hatte dieser Artikel sieben der Effizienzrichtlinie ein Enddatum, nämlich 2020, wenn die ersten Zielvorgaben für Energieeffizienz in der EU erreicht sein sollen.

Gleichzeitig soll die Gebäuderichtlinie ehrgeiziger werden und die EU-Kommission will mit anderthalbjähriger Verspätung einen Arbeitsplan für die sogenannte Öko-Design-Richtlinie vorlegen. Im Rahmen dieser Richtlinie werden Mindest-Effizienzvorgaben für verschiedene Produkte erarbeitet. Besondere Prominenz hatten die Regulierung von Glühbirnen und Staubsaugern erlangt. Bei der in Deutschland neuerdings für die Erarbeitung der Verbrauchsvorgaben und technischen Richtlinien für die Produkte zuständigen Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) wird der Arbeitsplan schon mit einer gewissen Spannung erwartet. Denn inzwischen sind alle vorhergehenden Vorhaben abgeschlossen. "Bei der Öko-Design-Richtlinie gibt es gerade wenig zu tun", sagt ein BAM-Sprecher.

Die Öko-Design-Richtlinie ist das erfolgreichste Instrument der europäischen Effizienzpolitik, sagt Brian Motherway. Mehr als die Hälfte der Effizienzfortschritte in der EU sind auf diese Richtlinie zurückzuführen, sagt auch Sefcovic. Es tut ihm fast leid, zugeben zu müssen, dass ordnungsrechtliche Vorgaben sich bei der Effizienzpolitik weltweit als die "wirkungsvollsten Instrumente" erwiesen hätten. Er beeilt sich aber hinzuzufügen, dass auch wettbewerbliche Ausschreibungen für Energieeinsparungen ein ergänzendes, marktnäheres Instrument sein könnten. Deutschland plant derzeit in kleinem Rahmen solche Ausschreibungen einmal auszuprobieren.

Erneuerbare Energien

Die Erneuerbare-Energien-Richtlinie soll überarbeitet werden. Außerdem sollen Wind- und Solarstrom auch im Vorschlag für den Rahmen des künftigen europäischen Strommarkts anders als bisher behandelt werden. Schon 2014 hatte der Europäische Rat beschlossen, dass der Anteil erneuerbarer Energien an der Energieversorgung in der EU – Strom, Wärme, Verkehr – im Jahr 2030 mindestens bei 27 Prozent liegen soll. Allerdings ist diese Zielvorgabe nicht auf die 28 Mitgliedsstaaten heruntergerechnet worden.

Zwischen 2013 und 2015 haben nach Sefcovics Angaben fast zwei Drittel aller Investitionen in erneuerbare Energien in Deutschland und Großbritannien stattgefunden. Der Richtlinien-Vorschlag spekuliert nun darauf, dass zumindest Deutschland - nach dem Brexit - in der ganzen EU in erneuerbare Energien investieren müsste. Und das würde dann auch das europäische Ausbauziel und eine aus Sicht der Kommission bessere Verteilung der Anlagen in Europa und einen weniger teuren Ausbau erneuerbarer Energien.

Da die anderen Mitgliedsstaaten keine Anstalten machen, es ihnen nachzutun, schlägt die EU-Kommission vor, die nationalen Fördersysteme für ausländische Anlagen zu öffnen und immer mehr zu einem europäischen Fördersystem überzugehen. Dazu dient auch die Vorgabe, die Einspeisevergütungen, die zu einem besonders starken Ausbau geführt haben, durch Ausschreibungsverfahren zu ersetzen, wie sie in Deutschland auch geplant sind.

Allerdings waren diese Systeme bisher weniger erfolgreich darin, den Bau von Wind- und Solaranlagen anzureizen. Außerdem will die EU-Kommission den Einspeisevorrang erneuerbarer Energien ins Stromnetz kippen, obwohl das nach Kommissionsgutachten zu einem Anstieg des Kohlendioxid-Ausstoßes aus der Stromerzeugung um zehn Prozent führen würde. Zugleich schlägt die Kommission die Einführung von Zahlungen für Kraftwerke vor, die für Engpässe vorgehalten werden. Umweltverbände sehen darin eine Laufzeitverlängerung für Kohlekraftwerke. Kristin Reissig vom WWF sagt: „Das Programm liest sich wie ein Abwehrkampf gegen erneuerbare Energien.“

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