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Unter Polizeischutz: Bei Tönnies wird wieder geschlachtet. Es gab Proteste.
© dpa/Guido Kirchner

Lokale Ausreisesperren, keine starren Lockdowns: Wie Bund und Länder Corona-Ausbrüche besser bekämpfen wollen

Es wurde hart gerungen, nun gibt es bei neuen Corona-Hotspots lokale Ausreisesperren – aber die viel größere Frage ist: was tun mit Urlaubsrückkehrern?

Die Gesichtszüge von Helge Braun frieren etwas ein, als er auf den Widerstand einzelner Ministerpräsidenten gegen "Ausreiseverbote" angesprochen wird. "Wir müssen sehr präzise handeln", versucht der Kanzleramtschef den etwas diffizilen Corona-Hot-Spot-Plan der Regierung im ZDF-Morgenmagazin zu erläutern. Es hatte viel Widerstand gegeben, als der Eindruck entstand, dass das Kanzleramt als Lehre aus dem Fall Tönnies für komplette Kreise die Ausreise bei einem größeren Corona-Ausbruch untersagen will.

Das ist zu diesem Zeitpunkt längst vom Tisch - dabei hatte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auch nie von Ausreisesperren für ganze Kreise gesprochen, sondern von eng begrenzten Gebieten - und so hat man sich geeinigt, dass Ausreisesperren für einzelne Hotspot-Gebiete in Teilen eines Kreises oder einer Stadt verhängt werden können.

Braun will engmaschiger vorgehen

"Wir haben uns bisher immer genau die Ebene der Landkreise angeguckt, aber wir wollen jetzt noch präziser werden", erläutert Braun im ZDF den Plan, der einige Stunden gemeinsam mit den Ländern zur neuen Strategie werden soll. Das Ziel sei, "dass wir kleinräumiger vorgehen, also Beschränkungen wirklich nur dort machen, wo es wirklich erforderlich ist".

Letztlich waren Bund und Länder in der Sache weit weniger auseinander als es zuletzt, befeuert durch Aussagen von Ministerpräsidenten wie Sachsens Michael Kretschmer (CDU) und Sachsens-Anhalts Reiner Haseloff (CDU), den Anschein hatte. Nach tagelangem Ringen steht Donnerstagnachmittag ein bundesweites, gemeinsames Hotspot-Vorgehen, vereinbart von Braun mit den Chefs der Staatskanzleien der Länder. Aber der Praxistest dürfte noch spannend werden - und was Gerichte dazu sagen werden.

Nicht entlang der Kreisgrenzen, sondern von Fall zu Fall unterschiedlich, je nach Umfang des Corona-Ausbruchs, wird nun entschieden. Konkret wird betont, dass erstens bei einem Corona-Ausbruch, zum Beispiel in einem Unternehmen oder nach einer Familienfeier, "die bewährten Maßnahmen Quarantäne, Kontaktnachverfolgung und Testung (…) ergriffen werden". Wenn das Ausbruchsgeschehen sehr groß ist und wie im Fall Tönnies das Gesamtausmaß unklar, können zweitens auch lokale Lockdowns verfügt werden.

Die große Neuerung aber ist: Es gibt keinen Automatismus für den ganzen Kreis oder die Stadt. "Diese Maßnahmen sollen zielgerichtet erfolgen und müssen sich nicht auf den gesamten Landkreis bzw. die gesamte kreisfreie Stadt beziehen, sondern sollen sich (…) auf die tatsächlich betroffenen Bereiche oder kommunalen Untergliederungen (auch in Nachbarkreisen) beschränken."

Hatte Mühe, mit Bund und Ländern eine gemeinsame Lösung zu finden: Kanzleramtschef Helge Braun.
Hatte Mühe, mit Bund und Ländern eine gemeinsame Lösung zu finden: Kanzleramtschef Helge Braun.
© dpa

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Laschets Drängen

Es war besonders der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet, der nach der Eindämmung des Tönnies-Ausbruchs darauf gedrungen hatte, im Sinne der betroffenen Bürger für mehr Klarheit zu sorgen und eine bundesweite Strategie zu erarbeiten.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte ein zielgerichteteres Vorgehen angemahnt, auch als Lehre aus dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster, das den Lockdown im Kreis Gütersloh zunächst als rechtens eingestuft hatte, um nach über 1500 Corona-Fällen bei Mitarbeitern in der Fleischfabrik Tönnies ein Übergreifen auf weite Teile der Bevölkerung zu verhindern.

Einen Tag vor Auslaufen des zweiwöchigen Lockdowns urteilte das Gericht nach einer Klage von Spielhallenbesitzern jedoch, dass angesichts der am Ende sehr niedrigen Infektionszahl die Einschränkungen für das gesamte Kreisgebiet unverhältnismäßig seien. Für den größten Ärger sorgten aber die reihenweise erlassenen Beherbergungsverbote für Menschen aus Gütersloh etwa an der Ostsee und in Bayern.

Neben einigen Länder-Regierungschef hatte auch der Hauptgeschäftsführer des Städte und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, gewarnt, dass schon praktisch Ausreisesperren für ganze Kreise kaum durchsetzbar seien: „Sie müssten ja im Prinzip dann kontrollieren, wer reist aus dem Kreis aus – und sie wissen, wie groß Kreise sind –, das stelle ich mir fast unmöglich vor", sagte er im ZDF.

Das Vorbild für den neuen Plan des Kanzleramts ist nun das japanische Modell. Menschen aus einem Corona-Hotspot - zum Beispiel eine kleinere Gemeinde - sollen zunächst nicht ausreisen dürfen, um präventiv ein Ausbreiten des Virus zu verhindern. Im Gegenzug werden dann innerhalb weniger Tagen alle Menschen in diesem Gebiet getestet. Dadurch können Länder und Kommunen Ausreisesperren lokal begrenzt verhängen.

Coronatests am Flughafen Gütersloh: Zahlreiche Bürger aus dem Kreis Gütersloh ließen sich nach dem Coronaausbruch beim Fleischtrieb Tönnies testen.
Coronatests am Flughafen Gütersloh: Zahlreiche Bürger aus dem Kreis Gütersloh ließen sich nach dem Coronaausbruch beim Fleischtrieb Tönnies testen.
© imago images/Noah Wedel

Bisher gilt, dass andere Bundesländer Einreisebeschränkungen für alle Bewohner aus Kreisen oder Städten verfügen können, die mehr als 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen verzeichnen. Das wurde Touristen aus dem Kreis Gütersloh zum Verhängnis, die plötzlich zum Beispiel Usedom verlassen mussten.

Corona-Test als "Passierschein"

Die Länder können auch weiterhin Übernachtungsverbote durchsetzen, aber es soll versucht werden, den Kreis der Betroffenen viel kleiner zu ziehen. Wer aus einem Kreis mit einem Hotspot kommt, fährt bei den Urlaubsplanungen am sichersten mit einem höchstens 48 Stunden alten negativen Corona-Test.

Wörtlich heißt es dazu im Beschlusspapier, "dass , dass Reisende aus einem besonders betroffenen Gebiet nur dann in einem Beherbergungsbetrieb untergebracht werden dürfen beziehungsweise ohne Quarantänemaßnahme in ein Land einreisen dürfen, wenn sie über ein ärztliches Zeugnis in Papier- oder digitaler Form verfügen, welches bestätigt, dass keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 vorhanden sind".

Im Prinzip scheint hierbei nun das spontane Vorgehen des Kreises Gütersloh zur Blaupause zu werden. „Plötzlich hörten wir, dass die Söders und Co. uns nicht mehr haben wollten“, berichtet Kreissprecherin Beate Behlert. Es war gerade Ferienbeginn. „Das hat uns kalt erwischt.“ Was tun? Neben der ohnehin geltenden Ausreisesperre für die in Quarantäne genommenen 12.000 Tönnies-Mitarbeiter und Personen aus ihrem Umfeld, galt es nun, personalisierte Corona-Testzertifikate mit Namen und Adresse auszustellen, und das bei bis zu 10.000 Tests am Tag. „Damit konnten negative Corona-Tests als Passierschein für den Urlaub genutzt werden“, berichtet Behlert.

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Das Urlaubs-Problem

Und die vielleicht viel größere Frage ist ohnehin, was passiert mit Urlaubsrückkehrern, die aus Regionen mit wieder stark ansteigenden Infektionszahlen kommen?

Der Ballermann ist erstmal zu: Touristen sitzen dicht an dicht auf einer Terrasse eines Lokals auf der so genannten Bierstraße.
Der Ballermann ist erstmal zu: Touristen sitzen dicht an dicht auf einer Terrasse eines Lokals auf der so genannten Bierstraße.
© dpa

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) soll hierzu kurzfristig die nationale Teststrategie weiterentwickeln und Kriterien erarbeiten, ob, wann und in welchem Umfang Tests für die Rückkehrer sinnvoll sind. So können verpflichtende Corona-Tests notwendig sein, „wenn eine Urlaubsregion eine deutlich höhere Zahl aktiver Fälle aufweist als Deutschland im Durchschnitt“.

Es gilt also weiterhin: Die Pandemie ist noch lange nicht vorbei. Und auf den gelernten Mediziner Helge Braun wartet weiter viel Koordinations- und Präzsionsarbeit beim Krisenmanagement.

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