Umweltministerin in Asse und Schacht Konrad: "Wer glaubt, die Atomkraft sei günstig, irrt gewaltig"
Erstmals besucht Svenja Schulze das Atommülllager Asse und Endlager Schacht Konrad. Die Umweltministerin erbt auch die Konflikte um die Lagerstätten.
Bevor Svenja Schulze in den Schacht absteigt, hinein in den engen Fahrstuhl, hinein ins Bergwerk, um 490 Meter tief unter dem bewaldeten Höhenzug in weißer Schutzkleidung auszusteigen, erlebt sie bereits eine neue Facette ihres atomares Erbes. Rund 20 Mitglieder einer Bürgerinitiative stehen in Schulzes Weg, als sie das gesicherte Areals der Asse betreten will. Eine Traube buntgekleideter Menschen, die alte grüne Basis, mit Transparenten für eine „atommüllfreie Asse“, umringt die Ministerin im Regen.
„Der Müll muss raus“, sagt einer von ihnen. „Und zwar dorthin, wo er am wenigsten wehtut.“ Schulze lächelt. „Ich bin hier, um mir ein Bild zu machen“, sagt sie. „Asse ist ein negatives Symbol. Es ist erschreckend, wie leichtfertig in der Vergangenheit mit dem Atommüll umgegangen wurde und wie schwer es ist, das wieder gut zu machen.“ Schnell noch ein Foto mit ein paar der Aktivisten, das gehört zu diesem Erbe. Dann, tief im engen Schacht, tritt Schulze vor die versammelte Presse und sagt: „Wer jemals glaubt, die Atomkraft sei günstig, irrt gewaltig. Ich war vor diesem Termin überzeugt, dass der Atomausstieg richtig war und bin es heute noch viel mehr.“
Würden sämtliche Kosten dieser Technologie sich im Strompreis niederschlagen, sähe dieser ganz anders aus. Die Auswirkungen der Strahlung auf sehr lange Zeit sind überhaupt nicht abzusehen.
schreibt NutzerIn Gegensicht
Schulze erbt die Verantwortung für eine Großbaustelle
Für Schulze, seit März 2018 im Amt, ist es der erste Besuch im ehemaligen Salzbergwerk. Das Erbe, das die Umweltministerin mit Asse antritt, ist nicht leicht. 47.000 Kubikmeter schwach- und mittelradioaktive Abfälle wurden zwischen 1967 und 1978 in die Schachtanlage eingelagert. 126.000 Fässer Metallschrott, Laborabfälle und Bauschutt, vor allem aus der Kernenergienutzung – ein Test für die Endlagerung von Atommüll.
Doch schon seit Jahrzehnten bereitet die Lagerstätte Probleme. Seit 1988 dringt Wasser in das Bergwerk ein. An 350 Stellen wird Wasser aufgefangen, laut Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) sind es rund 12,5 Kubikmeter täglich. Ohne die Arbeit der Bergleute würde das Wasser an die Abfälle gelangen, das Bergwerk volllaufen, die Bergung unmöglich werden. Die Aktivisten über Tage fürchten dieses Worst-Case-Szenario.
Auch geologisch ist die Lagerstätte fragwürdig. Die Salzschicht, die Asse II umgibt, gilt als zu dünn, das umgebende Gestein als zu zerklüftet, das nahe Harzgebirge übt Druck auf das Bergwerk aus. Immer wieder wurde Salzmaterial in die Südflanke verfüllt, um das Bergwerk zu stabilisieren. Ob es bis zur Bergung des strahlenden Materials stabil bleibt, ist ungewiss. Seit 2009 steht die Anlage unter Atomrecht, die Rückholung des Atommülls ist seit 2013 im Atomgesetz verankert. Schulze erbt die politische Verantwortung für eine heikle Großbaustelle – und mit ihr die Spannungen, die um die Abwicklung der Atomenergie bestehen.
"Es ist eine riesige Herausforderung"
Schulzes Hände stützen auf dem Rand eines fünf Meter langen Auffangbeckens, ihr ernster Blick folgt einem schmalen Wasserrohr ins Gestein. Hier, in einer Ausbuchtung des Schachtes, rund 100 Meter über den Atommüll-Kammern, werden täglich 12 Kubikmeter Wasser gesammelt. Eine blaue Plane liegt darüber, damit das Wasser nicht mit Tritium aus der Luft kontaminiert wird.
An Schulzes Seite steht Thomas Lautsch. Der technische Geschäftsführer der BGE erklärt ihr mit ruhiger Stimme, wie das Wasser um das Bergwerk die Bergungspläne beeinflusst. „Wir wollen das Zeug genau so schnell raushaben wie die Bürgerinitiativen“, sagt Lautsch. „Das ist eine gute Botschaft“, antwortet Schulze. „Es ist eine riesige Herausforderung. Wir dürfen die Abfälle aber nur so schnell bergen, dass auch die Sicherheit gewährleistet ist“, sagt Schulze den rund 40 Journalisten, Ingenieuren und Funktionären.
Die Bergung des Atommülls, die Schulze anspricht, ist mit Ungewissheiten behaftet. Lange wurden die Fässer mit dem strahlenden Schrott mit Radladern in die alten Abbaukammern des Bergwerks gekippt. Die 13 verschlossenen Kammern können heute stabil oder auch von Rissen durchzogen sein, die Fässer fest von Salz umschlossen oder von Feuchtigkeit durchfressen sein. „Bis Ende des Jahres wollen wir einen Gesamtplan für die Bergung vorlegen“, sagt Schulze. Doch vor 2033 ist mit einer Bergung nicht zu rechnen.
Die Angst vom unkontrollierten Wassereintritt
Ein weiteres Problem: Ein Endlager, das die strahlenden Altlasten aus Asse aufnehmen könnte, existiert noch nicht. Die Abfälle sollen daher überirdisch zwischengelagert werden, bis ein Endlager einsatzbereit ist. Und um den Verbleib der Altlasten besteht Streit. Auch das gehört zum Erbe. „Wir brauchen einen öffentlichen Diskurs darüber, wo der Müll gelagert werden soll“, sagt Olaf Lies, Niedersachsens Umweltminister, noch unter Tage.
Wie brisant das Thema in der Region ist, erlebt Schulze wenige Stunden nach der Bergfahrt. Die Ministerin spricht vor Bürgern, Initiativen, der Anti-Atom-Bewegung der Region. Rund 100 Menschen sind ihr in einen Seminarraum nahe der Anlage gefolgt, es ist stickig und eng. Sie tragen nacheinander ihre Sorgen vor, vom unkontrollierten Wassereintritt, vom fehlenden Endlager, von der Skepsis einer Zwischenlagerung über Tage.
Da ist der Naturschutzbund, der die Asse zur Chefsache erklärt wissen will. Da ist die Initiative „AG Schacht Konrad“, die das Umweltministerium wieder im Asse-Begleitprozess sehen will. „Es ist Aufgabe des Ministeriums, dass die Vorbereitung zur Bergung nicht weiter verschleppt wird“, sagte eine Frau. Die Stimmung ist angespannt, einige Stimmen werden laut. „Die Sicherheit des Bergwerks ist absolut zentral“, sagt Schulze.
Schulze hält Schacht Konrad für den "richtigen Standort"
Rund 30 Kilometer entfernt ist bereits ein Endlager in Bau. In 1000 Metern Tiefe zeugen riesige Bagger und Bohrer davon, wie Schächte in den Fels gefräst werden. Wassersprinkler sind zu sehen. Anders als Asse ist Schacht Konrad, vorgesehen für schwach- und mittelradioaktive Stoffe, staubtrocken. Der Tross aus Jeeps und Transportern passiert Schacht um Schacht, zwölf Meter hoch, fast ebenso breit. Stefan Studt steht in einem von ihnen. Der groß gewachsene Mann überragt die Ministerin um fast zwei Köpfe.
Neben ihr spricht der BGE-Geschäftsführer von der Herausforderung, das Bergwerk für die lange Einlagerungsphase zu befestigen, davon, die Technik unter Tage zu bekommen. 2027 sei das Endlager fertig. „Mir ist wichtig, dass wir das Endlager dann auch haben“, sagt Schulze. „Ich bin mir sicher, dass dies für diese Abfälle der richtige Standort ist.“
Im ehemaligen Eisenerzbergwerk wirkt Schulze gelassen. Sie hat Grund dazu. Zwar war die Fertigstellung des Endlagers bereits für 2013 vorgesehen, der Termin wurde immer wieder verschoben. Glatt 50 Jahre nach Beginn der Planungen soll es fertig werden. Doch sind beim bisher einzig genehmigten Endlager in Deutschland Fortschritte zu erkennen. Sechs der achtzehn Kammern, in denen Atommüll eingelagert werden soll, sind bereits ausgehoben. Die Arbeiten für eine Betonfabrik und die Werkstatt für den Fuhrpark sind fortgeschritten. 3,6 Milliarden Euro soll es bis 2027 gekostet haben, insgesamt 303.000 Kubikmeter Atommüll aufnehmen können.
Lange her erscheinen unten im Schacht die 20 Jahre des Genehmigungsprozesses, die 290.000 Einwendungen, die Klagen der Bürger, Kommunen, Landkreisen und Kirchen. Doch Spannungen gibt es noch heute.
"Es gibt keinen Konsens in der Region"
Später wird es auch in Salzgitter eine Veranstaltung geben. Wieder tragen zahlreiche Stimmen ihre Sorgen vor, kritisieren im Sitzungssaal des Rathauses, dass keine Rückholung des erst eingelagerten Atommülls möglich sei. Die Bürgerinitiativen bleiben fern, boykottieren die Veranstaltung wegen des engen Zeitplans. „Ich habe das Gefühl, dass hier etwas passend gemacht werden soll, was nicht passt“, sagt der Bundestagsabgeordnete Victor Perli. Der Linke sieht in seinem Wahlkreis und unter Tage einiges anders, als es einst geplant gewesen sei. „Es gibt keinen Konsens in der Region.“
Doch woran sich viele andere Stimmen am Freitagnachmittag stören, ist auch die bloße Existenz des Mülls in der Region. „Auch hier muss die weiße Landkarte gelten“, sagt eine Frau. „Es gibt keine Anhaltspunkte an der Sicherheit des Endlagers zu zweifeln“, sagt Schulze.
Stunden zuvor lässt Schulze sich unter Tage noch den Bau einer neuen Betonfabrik zeigen. Mit dem Werk sollen später Kammern mit Atommüll gefüllt werden. Doch Schulze blickt schnell auf einen schmalen Riss in der Schachtwand hinter ihr, vielleicht 60 Zentimeter lang. Anfang und Ende sind mit Schwarzem Filzstift und dem Datum der Entdeckung gekennzeichnet: 14. Januar 2019. „Wird denn jeder Riss so dokumentiert?“, fragt sie lächelnd.
Lautsch kann beruhigen, die Bewegungen seien normal. „Wenn wir mit Beton verfüllen, dann bewegt sich hier nichts mehr. Dann kommt der Deckel drauf“, sagt er. „Das Ziel ist die grüne Wiese darüber.“ Ein paar Jahrzehnte muss die grüne Wiese noch warten. Für die Einlagerung des Atommülls sind rund 30 Jahre angedacht. Die Spannungen mit den Menschen in der Region werden diesen Prozess wohl begleiten.
Dieser Artikel stammt vom Tagesspiegel Background Energie & Klima. Das Team veröffentlicht täglich Newsletter mit höchster Relevanz für Top-Entscheider, Kommunikationsprofis und Fachexperten. Hier können Sie die Newsletter vom Tagesspiegel Background abonnieren.