Es wird eine Frau – das ist sicher: Wen Joe Biden als Vize auswählen könnte
Joe Biden wäre bei Amtsantritt 78 Jahre alt. Die Vizepräsidentin müsste also bereit sein, Präsidentin zu werden. Es gibt zahlreiche kompetente Kandidatinnen.
Wer wird die Frau an seiner Seite? In den nächsten Tagen will Joe Biden entscheiden, wer seine „running mate“ wird. Sicher ist nur: Es wird eine Frau sein. In dieser Frage hat der demokratische Herausforderer von Donald Trump sich festgelegt. Die Entscheidung dürfte Bidens wichtigste bis zur Präsidentschaftswahl am 3. November sein. Er selbst wäre bei Amtsantritt 78 Jahre alt.
Die designierte Vizepräsidentin müsste im Falle eines Falles also bereit und fähig sein, die Geschicke des Landes zu lenken. Zahlreiche kompetente Kandidatinnen heizen die Spekulationen an. Wer sind die sechs aussichtsreichsten?
Susan Rice - Die Erfahrene
Susan Rice, 55, Ex-Sicherheitsberaterin unter Barack Obama, Ex-UN-Botschafterin. Rice hat zwar nie eine Wahl gewonnen, sie weist dafür aber eine erstaunlich steile politische Karriere auf. Rhodes-Stipendiatin mit 21 Jahren, Assistentin des Außenministers mit 32 Jahren. Die Enkelin von Einwanderern aus Jamaika ist seit Jahrzehnten bewandert in der großen weiten Welt und hat eng mit Vizepräsident Joe Biden im Weißen Haus zusammengearbeitet. Sie teilt mit ihm die Wertschätzung internationaler Diplomatie und internationaler Institutionen, setzt sich für Menschenrechte und Klimaschutz ein.
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Was indes entscheidend sein könnte: Da ein Präsident Biden bei Amtsantritt 78 Jahre alt sein würde, erfüllt sie am ehesten das Kriterium, im Falle eines Falles sofort die Amtsgeschäfte übernehmen zu können. Rice wäre eine sichere Wahl in unsicherer Zeit. Ihr Manko: Sie ist eng mit den Ereignissen rund um die US-Vertretung in der libyschen Stadt Bengasi im Jahre 2012 verbunden. Damals wurden bei einem Terroranschlag vier Amerikaner ermordet. Das nicht verhindert zu haben, werfen Republikaner der Obama-Administration bis heute vor. Außerdem dürfte Rice als Vizepräsidentschaftskandidatin Biden kaum neue Wählerschichten zuführen.
Kamala Harris - Die Eloquente
Kamala Harris, 55, Senatorin aus Kalifornien und ehemalige Generalstaatsanwältin. Bei einer Rede Bidens am vergangenen Dienstag in Wilmington (Delaware) gelang es einem Fotografen, dessen handschriftlichen Notizzettel abzulichten. Ganz oben steht der Name von Harris mit fünf charakterisierenden Merkmalen: „Ist nicht nachtragend; hat mit mir und Jill Wahlkampf gemacht; ist talentiert; eine große Hilfe im Wahlkampf; großer Respekt für sie.“ Das Foto nährte schon lange zirkulierende Spekulationen, Harris sei die Favoritin Bidens bei seiner „Running Mate“-Entscheidung. Kein Wunder: Harris ist so scharfzüngig wie schlagfertig.
Außerdem ist sie die Tochter von Einwanderern aus Jamaika und Indien. Das ist wichtig, weil sich nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd und seit den landesweiten Protesten gegen Rassismus und Polizeigewalt der Druck auf Biden erhöht hat, eine „Woman of Color“ zu nominieren. Harris’ Manko: In einer TV-Debatte der demokratischen Präsidentschaftskandidaten warf sie Biden vor, in den siebziger Jahren rassistische Senatoren unterstützt und gegen Programme zur Unterstützung von Integrationsschulen opponiert zu haben.
Die Veteranin - Tammy Duckworth
Tammy Duckworth, 52, Senatorin aus Illinois. Es ist nicht leicht, einen Rechtsausleger des TV-Senders Fox News auf Twitter in die Schranken zu weisen. Doch ihr gelang es. Als Tucker Carlson sie einen „Feigling“ nannte, empfahl sie ihm, eine Meile auf ihren Beinen zu gehen. Duckworth ist eine hochdekorierte (Purple Heart) und 2004 im Irakkrieg schwer verwundete Hubschrauberpilotin, die bei einem Einsatz beide Beine verlor und inzwischen mit Prothesen wieder gehen kann. Ihr rechter Arm wurde schwer geschädigt.
Sie entstammt einer amerikanischen Militärfamilie, wurde in Bangkok geboren. Die Entscheidung zum Irakkrieg der Regierung von George W. Bush bezeichnet Duckworth als Fehler. Heftig kritisierte sie das Verhalten von Militärs bei Trumps Bibel-Posing vor einer Kirche in Washington DC. Sie ist die erste Senatorin, die in ihrer Amtszeit ein Kind zur Welt brachte. Seitdem setzt sie sich für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein. Duckworths Manko: Ihre Expertise geht kaum über das Militärische hinaus.
Die Loyale - Keisha Lance Bottoms
Keisha Lance Bottoms, 50, Bürgermeisterin von Atlanta. Neben der Corona-Pandemie stehen die durch den Tod des Afroamerikaners George Floyd ausgelösten Schockwellen im Zentrum des US-Wahlkampfes. Bottoms hat auf die Polizeigewalt und den Rassismus beeindruckend persönlich reagiert. „Ich bin eine Mutter von vier schwarzen Kindern“, sagte sie Anfang Juni. „Als ich den Mord an George Floyd sah, habe ich den Schmerz so empfunden, wie eine Mutter ihn empfindet.“ Ein defunding (eine Kürzung finanzieller Mittel) der Polizei lehnt sie allerdings ab. Mit scharfen Worten verurteilte sie Plünderungen. „Das ist kein Protest. Das geschieht nicht im Geist von Martin Luther King. Das ist Chaos.“
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Reformen ja, aber mit Augenmaß, lautet ihre Devise. Immer wieder erzählt sie von ihrem Neffen, der das Opfer einer Gang geworden war. „Wer hat die Menschen verhaftet, die dafür verantwortlich waren? Die Polizei!“ Mit dem republikanischen Gouverneur von Georgia, Brian Kemp, legte sich Bottoms wegen der von ihr verordneten Maskentragepflicht an, die Kemp untersagt hatte. Schon seit Juni 2019 unterstützt sie Bidens Präsidentschaftskandidatur. Bottoms’ Manko: Sie ist kein politisches Schwergewicht, dem eine breite Öffentlichkeit zutrauen würde, die Geschicke des Landes zu lenken.
Die Strategin - Gretchen Whitmer
Gretchen Whitmer, 48. Gouverneurin von Michigan. Die Bilder aus Lansing, der Hauptstadt des Bundesstaates Michigan, wurden landesweit ausgestrahlt und gingen um die Welt: Wütende Demonstranten, zum Teil bewaffnet, dringen in das Parlamentsgebäude ein und versuchen, den Plenarsaal zu stürmen. Sie protestieren gegen die strengen Lockdown-Maßnahmen der demokratischen Regierungschefin. Auf einem Transparent steht: „Tyrannen bekommen den Strick.“ Ihre konsequenten Reaktionen auf die Corona-Pandemie hat Whitmer zu einer politischen Gegenspielerin von Donald Trump gemacht.
Früh kritisierte sie dessen Umgang mit Covid-19, das Fehlen von Tests und Schutzausrüstung. Der Verlauf der Infektionskrankheit gab ihr recht. Seitdem ist Whitmer das Gesicht der Demokraten in der Coronakrise, die ein beherrschendes Thema im Wahlkampf sein dürfte. Im Februar hielt sie die Gegenansprache zu Trumps Rede an die Nation. Außerdem ist Michigan ein möglicherweise wahlentscheidender „swing state“, den Trump 2016 nur äußerst knapp gewann.
Whitmer ist verwurzelt in dem Bundesstaat an den Great Lakes. In Lansing wurde sie geboren, ihr Jura-Studium absolvierte sie an der Michigan State University, ihr Vater war Handelsminister von Michigan. Whitmers Manko: Ihren Mittekurs empfinden Vertreter des linken Parteiflügels der Demokraten als etwas zu unideologisch.
Die Kundige - Elizabeth Warren
Elizabeth Warren, 71, Senatorin aus Massachusetts. Sie hat für alles einen Plan, jedes Problem durchdacht und jede Lösung abrufbereit. Warren weiß, was gegen studentische Schuldenberge und Unternehmenspleiten zu tun ist und wie das Sozialversicherungssystem reformiert werden muss. Biden hat viele ihrer Ideen übernommen. Im Vorwahlkampf der Demokraten hielt Warren lange Zeit mit, lag im März auf Platz zwei, doch nach dem Super Tuesday stieg die Kämpferin, wie sie sich selbst nennt, aus. Seitdem unterstützt sie Bidens Kampagne auch finanziell – sechs Millionen Dollar an Spenden sammelte sie kürzlich bei einer einzigen Veranstaltung. Umverteilung und soziale Gerechtigkeit – das sind Warrens zentrale Themen.
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Den Multimilliardär und Ex-Bürgermeister von New York, Michael Bloomberg, hob sie bei einer TV-Debatte rhetorisch aus den Angeln. „Ich möchte darüber reden, gegen wen wir hier kämpfen“, fing sie an, „gegen einen Milliardär, der Frauen als fette Schlampen und pferdegesichtige Lesben bezeichnet.“ Ihren Anhängern kam sie nahe und posierte mit ihnen für Selfies bis spät in die Nacht. „Dream big, fight hard“ – das war ihr Motto.
Warrens Manko: Sie klang lange Zeit wie Bernie Sanders, der linke Senator aus Vermont. Beide hatten ein ähnliches Programm: Reichensteuer, kostenlose Bildung, gekürztes Militärbudget, Krankenversicherung für alle. Der Vorwurf, mit Warren eine Art Sanders light als VP-Kandidatin zu küren, könnte Biden wichtige Stimmen in der politischen Mitte kosten.