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US-Präsident Donald Trump hält eine Bibel hoch, während er die St. John's Episcopal Church gegenüber des Weißen Hauses besucht.
© Patrick Semansky/AP/dpa
Update

Proteste in den USA: Trump droht mit Militär-Einsatz gegen Gewalttäter

Donald Trump inszeniert sich als „Law and Order“-Präsident. Für einen Fototermin vor einer Kirche werden friedliche Demonstranten mit Tränengas vertrieben.

Es sind schwer erträgliche Szenen, die sich am Montagabend am Weißen Haus abspielen. Schon eine halbe Stunde vor der für 19 Uhr verhängten Ausgangssperre beginnt die Polizei, friedliche Demonstranten mit Tränengas und Blendgranaten zu vertreiben.

Auch Polizisten auf Pferden reiten in Richtung der Menschenansammlung, die sich den vierten Tag in Folge vor dem Amtssitz von US-Präsident Donald Trump eingefunden hat. Warum die Einsatzkräfte an diesem Abend so früh so hart vorgehen, ganz anders als in den Tagen zuvor, wird kurz darauf klar.

Trump hat sich vorgenommen, seine - trotz einer sich zuspitzenden landesweiten Krise - mehr als 24-stündige Abwesenheit von der öffentlichen Bühne mit einem Knall zu beenden. Bei einem kurzfristig anberaumten Auftritt im Rosengarten des Weißen Hauses lässt er die Bombe platzen.

"Wir beenden die Ausschreitungen und die Gesetzlosigkeit, die sich in unserem Land ausgebreitet haben", sagt er da und kündigt an, alle verfügbaren zivilen und militärischen Kräfte seiner Regierung zu mobilisieren.

Schon tagelang wird im ganzen Land protestiert

Seit Tagen kommt es in immer mehr US-Städten zu Demonstrationen gegen Polizeigewalt, Rassismus und soziale Ungerechtigkeit, die in Teilen in Gewalt umschlugen. Auch in der Bundeshauptstadt Washington. Auslöser der anhaltenden Proteste ist der Tod des 46-jährigen Afroamerikaners George Floyd nach einem brutalen Polizeieinsatz in Minneapolis im Bundesstaat Minnesota.

Trump hat seitdem wenig getan, um die sich täglich weiter hochschaukelnde Stimmung zu beruhigen, im Gegenteil: Zuletzt hat er die Spannungen mit seinen Äußerungen sogar noch verstärkt und den Gouverneuren Schwäche vorgeworfen.

Darauf geht er am Montagabend wieder ein. Sollten Bürgermeister und Gouverneure an den betroffenen Orten weiterhin nicht in der Lage sein, für Sicherheit zu sorgen, werde er das US-Militär einsetzen "und das Problem schnell für sie lösen", droht Trump. Denn: Er sei der "Law and order"-Präsident Amerikas, der Präsident für Recht und Ordnung.

Gouverneure winken ab

Demokratische Gouverneure weisen Trumps Vorstoß umgehend zurück. "Beschämend" nennt es etwa der Gouverneur von New York, Andrew Cuomo, dass Trump das Militär gegen Amerikaner einsetzen wolle. Illinois Gouverneur J. B. Pritzker sagt dem Sender CNN, der Präsident habe keine rechtliche Grundlage, um das US-Militär in Bundesstaaten zu entsenden. Auch seine Kollegin Gretchen Whitmer aus Michigan sagt, Trump könne das Militär nicht ohne ihre Zustimmung einsetzen. Die Aussagen seien "gefährlich und erschütternd".

Es ist in er Tat nur schwer vorstellbar, dass die US-Armee gegen den Willen eines Bundesstaates dort einrückt - das wäre der Auftakt zu einem Bürgerkrieg.

Trump geht es aber mehr darum, wie sein Auftritt wirkt, als darum, ob seine martialischen Ankündigungen überhaupt umsetzbar wären. Es ist Wahljahr, und da sieht dieser Präsident die Chance, seine Basis zu mobilisieren.

Auch darum spricht er über einen Teil der Demonstranten als "Antifa-Aktivisten" und "Terroristen" und kündigt, alles dafür zu tun, um das Land und seine Bürger zu beschützen. Die Vereinigten Staaten brauchten Sicherheit und nicht Anarchie, Gerechtigkeit, Chaos. "Das ist unsere Mission, und wir werden siegen."

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Trump kündigt zudem Maßnahmen zum Schutz der Hauptstadt an: Er werde "Tausende und Abertausende schwer bewaffneter Soldaten" in Washington zusammenziehen, sagt er. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters sind bereits rund 1200 Mitglieder der Nationalgarde für die Hauptstadt mobilisiert worden, weitere 600 bis 800 seien ab den Abendstunden in Bereitschaft.

Bei seiner Rede hört man die Detonationen

Während der rund fünf Minuten, in denen der US-Präsident im Rosengarten spricht, und auch das ist Teil der Inszenierung des ehemaligen Reality-TV-Stars, hört man die Detonationen vom angrenzenden Lafayette Square. Dort wird das Gelände rasend schnell in nur zehn Minuten geräumt. Es muss so schnell gehen, denn der Präsident hat an diesem Abend noch mehr vor, als mit dem illegitimen Einsatz des Militärs gegen die eigenen Bürger zu drohen.

Nach Berichten, er sei am Freitag, dem ersten Tag der Proteste in der Hauptstadt, vorsorglich in einen unterirdischen Bunker auf dem Gelände der Regierungszentrale gebracht worden, der eher für den Fall eines Terrorangriffs gedacht sei, will er nun offenbar ein Zeichen setzen und sich als besonders entschlossen präsentieren. Die Berichte hätten ihn sehr verärgert, heißt es.

Also macht er sich auf, das Weiße Haus durch die Vordertür zu Fuß zu verlassen und rüber zu St. John's zu laufen, der Kirche, in deren Keller am Sonntagabend kurzzeitig ein Feuer ausgebrochen war - was in rechten Kreisen große Aufregung auslöste. Hierher kommen amerikanische Präsidenten seit mehr als einem Jahrhundert, um zu beten. Dazu mussten sie nur den Lafayette Park durchqueren.

US-Präsident Trump in Begleitung auf dem Weg zurück zum Weißen Haus
US-Präsident Trump in Begleitung auf dem Weg zurück zum Weißen Haus
© Reuters/Tom Brenner

Trump wirbt um die christliche Rechte - es ist Wahljahr

Trump, der sich immer gerne und im Wahljahr noch lieber als sehr gläubiger Präsident der christlichen Rechten in den USA inszeniert, sei dort allerdings eher selten zu sehen, heißt es in US-Medien. Auch das: geschenkt. Mit einer Bibel bewaffnet stellt er sich hin - um sich fotografieren zu lassen. Er setzt auf die Kraft der Bilder.

Als das klar wird, als also allen bewusst wird, dass er nur deshalb deutlich vor Beginn der Sperrstunde den Weg dorthin brutal hat räumen lassen, ist die Empörung riesig: Für einen Fototermin werden friedliche Demonstranten angegangen, heißt es, die gegen brutale Polizeigewalt demonstrieren.

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Nun ist es natürlich nicht so, dass alle Demonstranten bisher nur friedlich protestiert haben - sonst hätte die - demokratische - Bürgermeisterin Washingtons, Muriel Bowser, die Ausgangssperre ja nicht verhängen müssen. Zwei Nächte lang hatten krawallbereite Trupps Teile der Hauptstadt terrorisiert, Gebäude und Autos beschädigt und Geschäfte geplündert. Seitdem haben sich viele Restaurants und Läden, die am vergangenen Freitag nach fast drei Monaten Coronavirus-Einschränkungen zögerlich wieder mit dem Öffnen begonnen haben, wieder verbarrikadiert.

Bürgermeisterin und Bischöfin reagieren empört

Aber Bürgermeisterin Bowser, selbst Afroamerikanerin wie im Übrigen knapp die Hälfte der Stadt, kritisiert den Präsidenten noch am Abend scharf. "Ich habe eine Ausgangssperre ab 19 Uhr verhängt. Gut 25 Minuten vor der Ausgangssperre und ohne Provokationen hat die Bundespolizei auf friedliche Demonstranten vor dem Weißen Haus geschossen" twittert sie. Dieses Vorgehen erschwere nur die Arbeit der kommunalen Polizei. "Eine Schande!"

Auch die Bischöfin der Episkopalkirche von Washington, zu der St. John's gehört, äußert sich noch am Abend empört: "Ich kann nicht glauben, was meine Augen gerade gesehen haben", sagt Bischöfin Mariann Edgar Budde CNN.

Der Präsident habe ihre Kirche "ohne Erlaubnis" besucht und dort auch gar nicht beten wollen. Auch habe er mit keinem Wort das Leiden des Landes erwähnt, geschweige denn das der afroamerikanischen Mitbürger. Die Erzdiözese distanziere sich von den "aufwiegelnden Worten dieses Präsidenten".

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