Noch ist die Wahl nicht gewonnen: Joe Biden muss sich jetzt aus der Deckung trauen
Der Präsidentschaftskandidat braucht Stimmen der Konservativen. Ein Fox News-Interview wäre genau richtig gewesen. Das aber hat er abgesagt. Ein Kommentar.
Donald Trump muss weg - darauf verwendet das liberal-demokratische Amerika derzeit alle Kraft. Und doch ist klar: Will Herausforderer Joe Biden der 46. Präsident der USA werden, braucht er mehr als nur die Stimmen des Anti-Trump-Lagers.
Er muss auch konservative Wähler überzeugen. Da kommt seine Absage eines Interviews beim konservativen Fernsehsender Fox-News sehr ungeschickt daher - denn Biden vergibt so eine große Chance.
Fox war Trump lange Zeit gewogen. Doch zuletzt kriselte es zwischen dem Sender und dem Präsidenten. „Fox-News ist nicht mehr wie früher“, twitterte Trump bereits Anfang Mai, zuletzt beschwerte er sich über die „verlogenen“ Umfragen des Senders.
[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Krise live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
Interviews wie vor einer Woche mit Fox-Moderator Chris Wallace, in dem Trump einen desaströsen Auftritt hinlegte, tragen zu der erkalteten Beziehung zwischen Präsident und Sender bei. Wallace fragte hart aber nicht unfair. Er ließ Trump schlicht nicht jeden Unfug durchgehen. Jener Wallace erzählte nun, dass das Biden-Lager ihm für ein Interview eine Absage erteilt habe.
Keine anstrengenden Reisen für den 77-Jährigen
Bislang schien die Biden-Strategie simpel: Abwarten und zuschauen, wie sich Trump selbst zerlegt. Das scheint Biden entgegenzukommen. Abgesehen von vereinzelten Events bleibt er zuhause und gibt Video-Interviews. Keine anstrengenden Reisen für den 77-Jährigen, nicht zu viele öffentliche Auftritte.
Trump rückt derweil mit seinem katastrophalen Management in der Coronakrise und peinlichen Fernsehauftritten in den Fokus.
[Mit dem Newsletter „Twenty/Twenty“ begleiten unsere US-Experten Sie jeden Donnerstag auf dem Weg zur Präsidentschaftswahl. Hier geht es zur kostenlosen Anmeldung: tagesspiegel.de/twentytwenty. )
Bidens Strategie funktioniert für den Moment - er sollte aber nicht vollständig darauf setzen, dass Abwesenheit zur Wahl im November reicht. „Wo ist Joe Biden?“, lautet eine in letzter Zeit oft gestellte Frage in den sozialen Medien.
In einem Interview mit Fox News hätte er die Plattform, um seine politischen Vorstellungen einem Publikum näher zu bringen, das er in der notorisch gespaltenen Medienlandschaft der USA sonst so nicht erreichen würde.
Biden muss aus der Deckung kommen
Biden muss sich aus der Deckung trauen. Denn auch wenn er derzeit die Umfragen deutlich anführt: In Wirtschaftsfragen trauen die Amerikaner Amtsinhaber Trump immer noch mehr als zu als Biden.
Außerdem wird es vor der Wahl noch drei Rededuelle geben, die dem Präsidenten einen entscheidenden Schub geben könnten. Die Debatten werden sowohl von rechts wie von links wahrgenommen.
Und auch wenn es nicht jedem passt: Das Charisma Trumps und seine direkten Angriffe auf seine Gegner waren Gründe für seine Wahl 2016. Auf der anderen Seite ist Joe Biden für gelegentliche Aussetzer beim Reden bekannt. Fox bietet ihm nun eine einigermaßen kontrollierbare Bühne an. Will Biden Präsident werden, sollte er sie betreten.