Klimawandel: Weltklimarat dringt auf rasches Handeln für 1,5-Grad-Ziel
Der Weltklimarat legt einen Sonderbericht zum Ziel von 1,5 Grad maximaler Erderwärmung vor. Die Experten fordern einen Umbau in der Weltwirtschaft.
Anschaulich wie nie zuvor hat der Weltklimarat IPCC die drohenden Folgen des Klimawandels in einem Sonderbericht benannt. Gleichzeitig beschreibt er Pfade, wie eine Erderwärmung von mehr als 1,5 Grad verhindert werden kann. Die wichtigste Erkenntnis: Um unter dieser Schwelle zu bleiben, hat die Weltgemeinschaft etwas mehr Zeit. Bisher hieß es, das CO2-Budget dafür sei schon in wenigen Jahren aufgebraucht.
Der Ausstoß von Treibhausgasen müsste trotzdem sehr schnell sinken und bis 2030 im Vergleich zu 2010 halbiert werden. Bis 2050 müssten sich Emissionen und Senken wie Wälder oder andere sogenannte negative Emissionen die Waage halten und netto Null betragen. Bei einem Weiter-so werde sich die Erderwärmung dagegen sehr schnell fortsetzen und zwischen 2030 und 2052 die 1,5 Grad-Schwelle durchbrechen, schreibt der IPCC.
Sein Bericht beruht auf 6000 wissenschaftlichen Aufsätzen, die von 250 Experten zusammengefasst und von 91 Leitautoren verdichtet wurden. Drei Begutachtungsrunden folgten, in denen die Autoren 42.000 Kommentare berücksichtigten. Den Auftrag für den Bericht hatte die Weltklimakonferenz 2015 in Paris erteilt. Damals war das 1,5-Grad Ziel überraschend in das Klimaabkommen aufgenommen worden. Denn das alte Ziel von höchstens zwei Grad reicht nach neuesten Erkenntnissen der Forschung nicht aus, um die schlimmsten Folgen des Klimawandels abzuwenden.
So werden fast alle Warmwasserkorallen bei mehr als 1,5 Grad Erwärmung mit „sehr hoher Wahrscheinlichkeit“ absterben, heißt es jetzt im IPCC-Bericht. Intakte Riffe aber bilden die Lebensgrundlage von 275 Millionen Menschen, weil sie die Küsten schützen und Kinderstube für Fischschwärme sind. Für die Bewohner der Tropen und der Südhalbkugel können sich die Risiken für Ernährung und Wasserversorgung bei einer Erderwärmung von mehr als 1,5 Grad überlagern und Schwachstellen vergrößern. Bleibt die Erderwärmung unter dieser Grenze, wären es mehrere 100 Millionen Menschen weniger von Armut bedroht.
"Deutliche Vorteile für Menschen und Ökosysteme"
Auch Länder in mittleren Breiten wie Deutschland würden von mehr Klimaschutz profitieren: Extrem heiße Tage würden dort bei einer Erwärmung von 1,5 Grad drei Grad heißer werden, bei zwei Grad Erderwärmung wären es dagegen vier Grad mehr.
Solche Unterschiede genau zu beziffern, ist die Stärke des neuen Berichts. Er buchstabiert die Folgen der Erwärmung um 1,5 oder zwei Grad für Wetterextreme, Dürren, Starkregen und den Anstieg des Meeresspiegels genau aus. Die wohl prägnanteste Zahl betrifft die Ökosysteme: Bei einer Erderwärmung von 1,5 Grad würden nur halb sie viele von schwerwiegenden Veränderungen betroffen sein wie bei zwei Grad. Und 1,5 Grad würden das Tauen von 1,5 bis 2,5 Millionen Quadratkilometer Permafrost verhindern. Damit wäre einer zusätzlichen Erwärmung durch freiwerdendes Methan vorgebeugt.
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Im Auftrag für den Bericht war auch die Begutachtung der Auswirkungen für eine nachhaltige Entwicklung enthalten: Mit 1,5 Grad „wären deutliche Vorteile für Menschen und Ökosysteme verbunden, die Hand in Hand gehen mit einer nachhaltigeren und gerechteren Gesellschaft“, teilt der IPCC mit. Das resultiert einerseits aus geringeren Kosten etwa für die Anpassung an den Klimawandel. Andererseits wäre die Stärkung von Zivilgesellschaft, Privatsektor, indigenen Völker und lokalen Gemeinschaften die Voraussetzung, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen.
Überraschung über höheres Budget
In einer ersten Reaktion auf den Bericht sagte Niklas Höhne, Leiter des New Climate Institute: „Das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten ist extrem schwer, aber nicht unmöglich. Wir müssen komplett aus CO2-Emissionen aussteigen. Dazu müssen fast alle Bereiche des Lebens umgekrempelt werden. Technische Lösungen alleine werden nicht ausreichen, wir müssen unser Verhalten ändern.“
Höhne ging auch auf die Aufweitung des CO2-Budgets ein: „Überraschend scheint zunächst, dass das Budget der noch zu emittierenden Emissionen etwas höher ist als noch im letzten IPCC-Bericht angenommen. Die Korrektur zeigt die Unsicherheiten in unserem Wissen über das Klimasystem.“ Andere Experten empfinden das Zurückstellen der Uhr von fünf vor Zwölf auf zehn vor 12 aber als heikle Botschaft des IPCC.
Zur politischen Machbarkeit von 1,5 Grad kommentiert Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik: „Nimmt man die Zahlen des Berichts ernst, dann müssten Deutschland und die EU ihre mittelfristigen Klimaziele drastisch verschärfen, weit über die derzeit im Raum stehenden Ambitionsniveaus hinaus. In Deutschland liefe das etwa auf die Halbierung der heutigen Emissionen hinaus, also binnen 13 Jahren. Politisch und auch gesellschaftlich erscheint das sehr unrealistisch.“
Der Chef der Grünen-Bundestagsfraktion, Anton Hofreiter, warf der Bundesregierung Realitätsverweigerung vor. „Sie hat ihr eigenes Klimaziel für 2020 genauso aufgegeben, wie ihr Ziel für Elektro-Autos, sie bremst den Ausbau von Windkraft- und Solarenergie aus und lobbyiert in Brüssel gegen Grenzwerte für Autos“, sagte er dem Tagesspiegel. Der Bericht des Weltklimarates zeige auf, wie weit Reden und Handeln beim Klimaschutz auseinander lägen.
Wer angesichts dieses Berichts „einfach so weiter wurschtelt, als wäre nichts geschehen“, der mache sich mitschuldig an den Schäden der vorhersehbaren, aber immer noch in Teilen vermeidbaren Klimakatastrophe, sagte Hofreiter. „Alle Alarmzeichen stehen auf Rot“, sagte der Grünen-Politiker: „Doch mit einem schnellen Kohleausstieg können wir die Kehrtwende noch schaffen.“
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