Neues Wetterphänomen: Die Hitzewelle stellt die Wissenschaft vor ein Rätsel
Klimaforscher beobachten ein neues Wetterphänomen: Die Nordhalbkugel ist überall zugleich heiß. Eine Rolle spielt der Jetstream.
Rund um die ganze Nordhalbkugel von Alaska bis Japan steigt das Thermometer zurzeit in unbekannte Höhen. Die Frage, ob der Klimawandel an solchen Extremereignissen schuld ist, wird meist mit dem Bild vom gezinkten Würfel beantwortet. Das Konzept geht auf den Klimawissenschaftler James Hansen zurück und besagt: Die Wahrscheinlichkeit, eine Sechs zu würfeln, steigt beim manipulierten Würfel; und so steigt mit dem Klimawandel die Häufigkeit von Wetterextremen.
Doch es ist neu, dass die gesamte nördliche Hemisphäre gleichzeitig unter so hohen Temperaturen leidet. „Davon sind wir alle überrascht worden, und wir können derzeit nicht sagen, ob das ein Phänomen ist, das wir häufiger erwarten müssen. Aber das heißt nicht, dass es nicht passiert. Nur, dass wir es noch nicht wissenschaftlich belegen können“, sagte Anders Levermann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Für eine genaue physikalische Erklärung sei es noch zu früh, auch wenn bekannt sei, dass der Jetstream bei einer Wellenzahl von 5 stehenbleibe.
Gemeint sind die Wellen im Höhenwindband des Jetstreams, der die Wettergebiete um die Erde transportiert. Weil die Temperaturunterschiede zwischen Nordpol und Äquator mit der Erderwärmung sinken – der Nordpol erwärmt sich mehr – verliert der Jetstream an Dynamik. Mehr stehende Wettergebiete sind die Folge.
"In 17 Jahren Wettervorhersage habe ich so etwas noch nicht erlebt"
ZDF-Meteorologe Özden Terli bestätigt Levermanns Eindruck eines nie da gewesenen Phänomens: „In 17 Jahren Wettervorhersage habe ich so etwas noch nicht erlebt. Die Hochs sind äußerst stabil und der Jetstream ist schwach und kann sie nicht wegschieben.“ Zwar gebe es zwischen den Hochs auch Tiefs, die kühle Luft aus der Arktis bringen. „Doch die Hochdruckgebiete regenerieren sich immer wieder und blockieren die typische Westlage, die sonst die Tiefs bringt. Das bleibt noch bis in den August so.“
Die politischen Konsequenzen der Hitze liegen für die Klimaexpertin der Grünen im Bundestag, Lisa Badum, auf der Hand: „Es lastet großer Druck auf der Weltgemeinschaft, spätestens zur Klimakonferenz in Kattowitz aufzuzeigen, wie die Pariser Klimaziele jeweils national verankert werden sollten.“ Auch die EU müsse ihre Klimaziele bis dahin „Paris-fest“ machen.
Ein Kommentar von Greenpeace hat die gleiche Stoßrichtung: „Die Hitzewelle ist ein Vorgeschmack dessen, was uns an Wetterextremen mit fortschreitender Klimakrise droht“, sagte Klimaexperte Jannes Stoppel. Die gute Nachricht: „Noch können wir die Erderwärmung auf 1,5 Grad begrenzen. Dafür müssen Deutschland und die EU einen möglichst raschen Kohleausstieg beschließen und die Verkehrswende voranbringen. Land- und Forstwirtschaft müssen sich anpassen, hin zu naturnaher und widerstandsfähiger Landnutzung.“
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Levermann hält sich in diesem Punkt zurück: „Wetterextreme rütteln auf. Es ist aber meine Aufgabe als Klimawissenschaftler zu informieren, nicht Wünsche an die Klimakonferenz zu äußern oder Forderungen an die Gesellschaft zu stellen.“ Allerdings gebe die Staatengemeinschaft alle zehn Jahre ungefähr eine Billion Dollar aus, um die Schäden von Wetterextremen zu beheben. „Mit Hitzewellen wie jetzt kann auch ein reiches Land wie Japan nicht umgehen. So wie Europa mit der Hitzewelle 2003 nicht umgehen konnte“, sagte Levermann. Damals starben 70.000 Menschen, vor allem in Frankreich.
1,5-Grad maximale Erwärmung würden sehr helfen
Welche Folgen eine Erderwärmung künftig auf die Sommer in Europa hätte, haben australische Forscher kürzlich modelliert. Ihre Ergebnisse: Bei einer Erderwärmung um zwei Grad werden künftig 100 Millionen der 800 Millionen Europäer in zwei Drittel aller Sommer Hitzerekorde erleben. Und 400 Millionen Europäer würden alle sieben Jahre einen Hitzerekord erleben.
Bei einer Erderwärmung von 1,5 Grad werden 100 Millionen Europäer dagegen „nur“ jedes zweite Jahr einen Hitzerekord erleben und 400 Millionen sogar lediglich alle 19 Jahre. „Dies könnte als zusätzliche Motivation für die Welt dienen, das 1,5-Grad-Ziel von Paris anzustreben“, schreiben die Wissenschaftler. Seit Beginn der industriellen Revolution hat sich die Erde um rund ein Grad erwärmt.
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