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Verbündete. Die Kurdenmiliz YPG gehört in Syrien zu den wichtigsten Helfern der USA im Kampf gegen den „Islamischen Staat“.
© Bulent Kilic/AFP

Krieg in Syrien: Washington und Ankara streiten über Waffenlieferung für Kurden

Die USA unterstützen Syriens Kurden im großen Stil mit Waffen. Ankara ist empört - das Verhältnis der beiden Nato-Staaten verschlechtert sich rasant.

Rex Tillerson ist als US-Außenminister erst ein paar Monate im Amt, aber die Kunst der diplomatischen Untertreibung beherrscht er wie ein altgedienter Profi. Die Beziehungen zwischen den USA und der Türkei seien derzeit „ein wenig unter Stress“, sagte Tillerson vor einigen Tagen.

Mehr als je zuvor treiben die gegensätzlichen Interessen von Türkei und USA im Syrien-Konflikt einen Keil in die Jahrzehnte alte Partnerschaft. Aus türkischer Sicht erscheint Amerika inzwischen in einem so schlechten Licht, dass sich die Frage stellt, wie und wann das Verhältnis wieder repariert werden kann.

Die jüngste Eskalation speist sich aus mehreren Quellen, die alle mit der amerikanischen Unterstützung für die kurdische Miliz YPG in Syrien zusammenhängen. Die Trump-Regierung sieht die YPG als wichtigsten Helfer im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ (IS). Dagegen betrachtet die Regierung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan die Kurdenkämpfer als Anhänger der verbotenen Terrorgruppe PKK. Trotz wiederholter Warnungen aus Ankara liefert Washington der YPG schwere Waffen für den Angriff auf die IS-Hauptstadt Rakka.

Amerikas Arsenal für die Kurden

„Es regnet Kalaschnikows“, titelte die türkische Zeitung „Hürriyet“ kürzlich angesichts einer neuen US-Lieferung an die syrischen Kurden. Fast tausend Lastwagen mit amerikanischem Militärgerät sind demnach in den vergangenen Wochen über den Irak in das YPG-Gebiet im Nordosten Syriens gerollt. Die Kurden sollen demnach neben 12.000 Sturmgewehren auch gepanzerte Fahrzeuge, Maschinengewehre und Panzerabwehrwaffen erhalten. Ankara befürchtet, dass die YPG das amerikanische Arsenal eines Tages gegen türkische Soldaten einsetzen wird.

Auch die Stationierung US-Elitesoldaten im Norden Syriens zur Unterstützung der YPG verärgert die türkische Führung. Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu veröffentlichte die Standorte der US-Truppen in Syrien – unter Nato-Partnern ein unfreundlicher Akt. Damit setze die Türkei das Leben von Soldaten aufs Spiel, ließen sich amerikanische Regierungskreise zitieren. Schon die türkische Militärintervention in Syrien im vergangenen Jahr stieß in den USA auf Kritik, weil sich die Aktion vor allem gegen die syrischen Kurden richtete.

Zweckbündnis auf Zeit

Bei einem Besuch in Washington im Mai hatte Erdogan vergeblich versucht, US-Präsident Donald Trump zu einer Änderung der amerikanischen Syrien-Politik zu bewegen. Washington argumentiert, die Kooperation mit der YPG sei ein zeitlich begrenztes Zweckbündnis, das die strategische Partnerschaft mit Ankara nicht in Frage stelle.

Dagegen wertet Erdogan die US-Entscheidung zur Bewaffnung der YPG als Vertrauensbruch, der die Grundfesten des Verhältnisses zwischen den seit mehr als einem halben Jahrhundert verbündeten Ländern erschüttert. Durch die Haltung der USA in Syrien sieht die Türkei die eigene nationale Sicherheit direkt bedroht. Erdogan hat jetzt für die „sehr nahe Zukunft neue Schritte” der Türkei in Syrien angekündigt. Beobachter werten dies als Andeutung einer erneuten Truppenentsendung ins Nachbarland.

Äußerungen des US-Gesandten für den Kampf gegen den IS, Brett McGurk, lassen die Wut in der türkischen Hauptstadt noch weiter wachsen. McGurk warf der Türkei vor, sie habe die nordwest-syrische Region Afrin an der türkischen Grenze zu einem Tummelplatz der Terrororganisation Al Qaida werden lassen. Kämpfer und Waffen seien über die Türkei nach Afrin gelangt, sagte er.

Ankara weist dies zurück. Regierungstreue Medien in der Türkei sind überzeugt, dass die US-Pläne in Syrien weit über den Kampf gegen den IS hinausgehen. Die Amerikaner wollten in Syrien einen Kurdenstaat unter ihrer Kontrolle errichten, berichtete die Zeitung „Star“.

Verschwörungstheorien haben Konjunktur

Ibrahim Karagül, Chefredakteur der Erdogan-nahen Zeitung „Yeni Safak“, geht sogar noch einen Schritt weiter. Er vermutet, dass die USA von Syrien aus einen neuen Umsturzversuch gegen den türkischen Präsidenten organisieren wollen. Amerika, Europa und Israel strebten die Zerstückelung der Türkei an, schrieb Karagül.

„Der zweite 15. Juli wird aus dem Süden kommen“, warnte er in Anspielung auf den Putschversuch vom Sommer vergangenen Jahres und den südlichen Nachbarn Syrien. Die amerikanischen Waffen für die YPG seien für einen Angriff auf die Türkei bestimmt.

Erdogan und Trump liegen gerade in der Syrien-Politik über Kreuz.
Erdogan und Trump liegen gerade in der Syrien-Politik über Kreuz.
© Saul Loeb/AFP

Verschwörungstheorien wie diese fallen in der Türkei auf fruchtbaren Boden. Der US-Botschafter in Ankara, John Bass, sieht sich heftiger Kritik gegenüber, weil er nach der Verhaftung von Menschenrechtlern – zu denen auch der Deutsche Peter Steudtner gehörte – türkischen Menschenrechtsgruppen einen Solidaritätsbesuch abstattete. Erdogan wirft den Aktivisten vor, einen Umsturzversuch geplant zu haben.

In einer Umfrage des amerikanischen Instituts Pew sagten 72 Prozent der befragten Türken, sie betrachteten die USA als Bedrohung für ihr Land – nirgendwo sonst wurde in der internationalen Studie so viel Misstrauen gegenüber Amerika gemessen. Die Entfremdung zwischen Ankara und Washington könnte sogar Folgen für die Nato haben. Gespräche der Erdogan-Regierung mit Moskau über die Lieferung eines russischen Raketenabwehrsystems an die Türkei sind laut Angaben aus Ankara weit gediehen.

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