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Erdogan will verhindern, dass im zerfallenden Syrien ein autonomer Kurdenstaat entsteht.
© Reuters

Erdogan und Syrien: Es droht der Kampf um Kurdistan

Wie die Türkei den Westen in Syrien in die Rolle des Verräters drängt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Türkische Medien berichten, dass türkische Truppen kurz vor dem Einmarsch in den Norden Syriens stehen – um die kurdische Selbstverwaltung in Syrien zu beenden. Die Nato-Partner der Türkei und nicht zuletzt Deutschland bringt das in eine extrem schwierige Lage: Am Ende wird ein Verbündeter sich verraten fühlen.

Der Westen kann in Syrien und im Irak nicht zugleich die Erwartungen der Kurden und die der Türken erfüllen. Die Türkei meint, als Nato-Verbündeter habe sie Anspruch darauf, dass ihre Interessen Vorrang haben bei westlichen Plänen zur Neuordnung des Landes. Das schließt die Entstehung eines Kurdenstaats aus, ja bereits autonome Regionen jenseits der türkischen Südgrenze. Denn die würden entsprechende Ambitionen der Kurden in der Türkei verstärken.

Die Kurden stellten die Bodentruppen, die der Westen nicht einsetzen wollte

Die Kurden erwarten jedoch eine nationale Belohnung dafür, dass sie die Hauptlast an Gefallenen im Krieg gegen den IS getragen haben, in Syrien und im Irak. Ihren Milizen war es zu verdanken, dass der IS zuletzt rasch Territorium verlor. Sie stellten die Bodentruppen, die der Westen nicht einsetzen wollte. Die USA bildeten sie militärisch aus und lieferten Waffen. Auch Deutschland unterstützte die Strategie, wenn auch in kleinerem Maßstab.

Nun naht der Zahltag. Bisher waren die künstlich gezogenen Staatsgrenzen in der Region das Haupthindernis für einen Kurdenstaat. Sie zerschnitten die Siedlungsgebiete der schätzungsweise 25 Millionen Kurden, die sich über den Irak, Syrien, die Türkei und einen kleinen Teil des Iran verteilen. Zwei dieser Staaten sind in Bürgerkriegen zerbrochen, erst der Irak, dann Syrien. Seit dem Zerfall der Kolonialreiche waren die Bedingungen nie günstiger für die Hoffnung auf Eigenstaatlichkeit als heute. Wenn sie scheitert, wäre das eine Enttäuschung für viele Kurden. Regionale Autonomie gilt als Minimum, das herausspringen muss. Die will jedoch die Türkei nicht hinnehmen.

Eine Seite wird sich verraten fühlen, vielleicht auch beide. Der Westen wird die Folgen zu spüren bekommen. Das könnte vor allem Deutschland treffen. Der deutsche Einfluss auf die Entwicklung in Syrien ist zwar gering im Vergleich zu dem der USA. Aber die USA sind weit weg, dort gibt es keine nennenswerten türkischen oder kurdischen Minderheiten. In der Bundesrepublik hingegen schon.

Zu den gängigen Argumenten deutscher Kommentatoren gehört in diesen Tagen: Man müsse die Rückwirkungen auf die in Deutschland lebenden Türken im Konflikt mit Präsident Erdogan berücksichtigen. Über die Rückwirkungen der Kriege auf die Kurden in Deutschland hört man wenig Nachdenkliches. Viele von ihnen haben mangels Alternative türkische Pässe, aber gewiss keine türkische Identität. Es kann zu Gewalt zwischen beiden Volksgruppen hier kommen. Der Zorn kann sich auch gegen Deutsche entladen.

Die Phase, in der sich die künftige Landkarte in Syrien und im Irak entscheidet, rückt näher.

Die Phase, in der sich die künftige Landkarte in Syrien und im Irak entscheidet, rückt näher. Das lässt sich an den eskalierenden Machtdemonstrationen vor allem Erdogans ablesen. Vor wenigen Tagen veröffentlichten türkische Staatsmedien Karten, auf denen die US-Stützpunkte in Nordsyrien zur Unterstützung der Kurden präzise eingezeichnet waren, samt Informationen über Personalstärke und Bewaffnung – alles, was einem Feind zur Vorbereitung eines Angriffs hilft. Wer mag glauben, dass der Geheimnisverrat nicht von ganz oben gedeckt war? Immer wieder schießt türkisches Militär auf kurdische Milizen im Nordirak, die mit den USA verbündet sind. Besetzt die Türkei Kurdengebiete in Nordsyrien, führt ein Nato-Land offen Krieg gegen die Verbündeten eines anderen.

Auf diese brachiale, blutige Art des Interessenkampfs ist die Bundesregierung nicht vorbereitet. Kann sie die Kurden fallen lassen? Soll sie ausgerechnet die aufgeben, die im Irak noch am ehesten staatliche Organisation geschaffen und sich als verlässliche Partner erwiesen haben? Die sie zum Teil ausbilden und ausrüsten ließ?

Will sich der Westen auf die Seite des Nato-Partners Erdogan stellen? Oder auf die Seite der Kurden?

Andererseits: Will sie sich in der Eskalation im Verhältnis zu Erdogan auch im Kurdenkonflikt auf die Gegenseite stellen? Und riskieren, die Türkei in ein Bündnis mit Putin zu treiben?

Denn das ist die Lage in Syrien: Assads Herrschaft ist auf einen Rumpfstaat reduziert. Im Nordwesten stützt er sich auf Russland. Im Zentralbereich um Damaskus hilft ihm der Iran. Im Norden und östlich des Euphrat dominieren, sobald der IS geschlagen ist, US-Verbündete. Ein großer Waffenstillstand für ganz Syrien gelingt zwar nicht. Aber in den jeweiligen Zonen gibt es Aussicht auf regionale Waffenruhen. Aus der Einsicht in diese Lage erklärt sich die Entscheidung der USA, die Waffenhilfe für Widerstandsgruppen in Südsyrien einzustellen.

Die größte Gefahr, dass der Krieg sich nochmals ausbreitet, statt abzuflauen, droht nun im Norden – durch einen Kampf um Kurdistan. Jetzt wäre höchste diplomatische Kunst nötig. Doch die fehlt, von Washington über Ankara bis Moskau. Auch Berlin wird sie wohl kaum liefern. Die Kurden zahlen es mit ihrem Blut. Die Folgen dürften auch Deutschland erreichen.

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