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Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) muss sich im Parlament verteidigen.
© Jörg Carsten/dpa

Affäre um McKinsey und Flüchtlinge in Berlin: Was wusste Michael Müller?

Es gibt Streit um einen Beratervertrag für einen altgedienten SPD-Mann. Die Opposition verlangt Aufklärung. Wie verteidigt sich der Regierende Bürgermeister?

Günstlingswirtschaft, Mauscheleien – das verbinden viele Bürger mit Politik. Auch deshalb misstrauen sie den Parteien, die es sich eigentlich nicht leisten können, solche Urteile und Vorurteile zu bestätigen. In Berlin, vor allem im eingemauerten Westen, war der Filz geradezu berüchtigt. Die SPD, die seit 1989 ohne Unterbrechung in der Regierung sitzt und seit 2001 den Regierenden Bürgermeister stellt, bemühte sich seit dem Mauerfall – durchaus mit Erfolg –, das schlechte Image los zu werden. Aber gelegentlich kommt der Verdacht wieder auf: Da wäscht eine Hand die andere. Zum Beispiel jetzt, da die undurchsichtige Vergabe eines Beratervertrags an McKinsey öffentlich diskutiert wird.

Worum geht es?

Es steht der Vorwurf im Raum, dass der Rechtsanwalt und altgediente SPD-Politiker Lutz Diwell (64) von der Firma McKinsey einen gut bezahlten Beratungsauftrag erhielt, der indirekt aus öffentlichen Mitteln finanziert wurde. Nämlich über einen Honorarvertrag zwischen der Senatskanzlei und dem Unternehmen, der mit 238.000 Euro dotiert wurde, um für den Senat einen Masterplan zur Integration von Flüchtlingen zu erarbeiten. Ein Teil der Summe, in bisher unbekannter Höhe, floss an Diwell, das wurde von McKinsey inzwischen bestätigt. Das Parlament wurde zwar über den frei ausgehandelten Vertrag zwischen Senat und Unternehmen in Kenntnis gesetzt, aber nicht über die Rolle Diwells bei der Ausarbeitung des Masterplans.

Wie reagiert der Regierende Bürgermeister Michael Müller?

Er musste am Donnerstag in der Fragestunde des Berliner Landesparlaments Rede und Antwort stehen, auf Initiative der Oppositionsfraktionen Grüne, Linke und Piraten. Eigentlich war der Regierende für die Ministerpräsidentenkonferenz entschuldigt, aber die Opposition legte großen Wert darauf, ihn befragen zu können. Müller verpasste deshalb die Kaminrunde der Ministerpräsidenten im benachbarten Bundesrat – und kam sichtlich verärgert ins Parlament.

Vor dem Abgeordnetenhaus gab Müller zu, dass die Senatskanzlei schon „im Laufe des Januars“ informiert worden sei über „weitergehende Kontakte“ zwischen McKinsey und Diwell. Ebenfalls im Januar hatte der Senat beschlossen, einen Integrations-Masterplan erarbeiten zu lassen. Dies sollte McKinsey „unterstützend begleiten“. Das Unternehmen hatte den Senat bereits seit Mitte 2015 ohne finanzielle Gegenleistung geholfen, die Situation am Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) zu verbessern. Der Beratervertrag für den Masterplan des Senats wurde laut Angaben der Senatssprecherin Daniela Augenstein am 5. Januar vergeben, die interne Vergabeentscheidung sei schon am 28. Dezember 2015 gefallen.

Am 4. März wurde der Vertrag unterzeichnet, bis Ende März sollen die Arbeiten abgeschlossen sein. „Eine weitergehende Beauftragung von McKinsey gibt es nicht“, sagte Müller. Ob im Januar – in internen Senatsrunden – schon der Name Diwell gefallen ist, konnte Müller „nicht hundertprozentig“ sagen. Nach Informationen des Tagesspiegels wurde der persönlich nicht anwesende Diwell vom Regierenden auf der Senatsklausur am 13. Januar als Berater und Koordinator für Flüchtlingsfragen – zumindest in kleiner Koalitionsrunde – vorgestellt.

Er habe, so Müller, mit dem SPD-Mann im August und September 2015 zwei Gespräche „über je 20 Minuten“ geführt, um zu klären, wie der Jurist und Innenexperte den Senat bei der Bewältigung der Flüchtlingsprobleme unterstützen könne. Es habe aber, sagte der Regierungschef, „von mir oder über mich keinerlei Einflussnahme gegeben, dass Herr Diwell bei McKinsey eingestellt wird oder Aufträge erhält“.

Welche Rolle spielt der Chef der Senatskanzlei?

Der Sozialdemokrat Björn Böhning, seit Dezember 2011 im Amt, ist trotz seiner 37 Lebensjahre ein erfahrener, parteiintern gut vernetzter und mitunter trickreicher Politiker. Müller hatte ihn vom Amtsvorgänger Klaus Wowereit übernommen, unumstritten war Böhning nie. Auch SPD-Genossen sind von seinen Kompetenzen an der zentralen Schnittstelle der Berliner Regierungspolitik nicht voll überzeugt. Das gilt erst recht für die Opposition und den Koalitionspartner CDU. Da die Flüchtlingskrise vom Senat als gesamtstädtische Aufgabe begriffen wird, ist es Aufgabe der Senatskanzlei, die Aktivitäten aller beteiligten Ämter und Behörden zu koordinieren.

In diesem Zusammenhang war Böhning maßgeblich verantwortlich für die Verhandlung des Beratervertrags mit McKinsey und die Absicherung der öffentlichen Finanzierung. Jetzt steht der Vorwurf im Raum, dass Böhning das Parlament nur teilweise über diesen Vorgang informierte. Die freihändige Vergabe des Auftrags, ohne Ausschreibung, wurde schon breit diskutiert und kritisiert. Nun geht es um die Rolle, die der SPD-Mann Diwell in der Angelegenheit spielt.

Was will die Opposition?

Grüne, Linke und Piraten fühlten sich düpiert, als die Regierungsfraktionen am Mittwoch im Hauptausschuss alle Tagesordnungspunkte zum Thema Flüchtlinge, einschließlich des Beratungsvertrags mit McKinsey, ohne Begründung auf den Mai vertagten. Deshalb griff die Opposition, die den Regierungschef Müller nicht aus der Verantwortung entlassen wollte, zu einem außergewöhnlichen Mittel. Er wurde am Donnerstag zu Beginn der Fragestunde des Parlaments auf Antrag der Linken aus der Ministerpräsidentenkonferenz im benachbarten Bundesrat herbeigerufen.

Unterstützt wurde diese Initiative von Grünen und Piraten. Zwar stimmte die Koalition diesem Antrag nicht zu, erklärte sich aber bereit, die Fragestunde zu verschieben, bis Müller wieder da ist. Er kam gegen 13 Uhr, beantwortete aber die Fragen der Oppositionsfraktionen aus deren Sicht nur unzureichend. Aus diesem Grund beantragten Linke und Grüne noch am Donnerstag bei der Senatskanzlei die kurzfristige Einsichtnahme in sämtliche Akten, Unterlagen und Vermerke, „die in Bezug auf die Beauftragung von McKinsey existieren“.

Was sagt der Koalitionspartner CDU?

Die Christdemokraten verhalten sich regierungstreu, stehen dem gesamten Vorgang aber sehr kritisch gegenüber und erwarten, wie die Opposition, schnelle und detaillierte Aufklärung. „Der Regierende Bürgermeister Michael Müller tut sich keinen Gefallen, wenn er den Eindruck erweckt, kein Interesse an Offenheit und Transparenz bei diesem problematischen Sachverhalt zu haben“, sagte der Vize-Fraktionschef der CDU, Stefan Evers, dem Tagesspiegel. Auch der CDU-Fraktionsgeschäftsführer Heiko Melzer sprach von „offenen Fragen“, die möglichst kurzfristig beantwortet werden müssten.

Die Hauptverantwortung für das undurchsichtige Geschäft mit McKinsey sieht die Union beim Chef der Senatskanzlei, Björn Böhning. Die Junge Union forderte bereits den Rücktritt des Sozialdemokraten. Ob die CDU bereit ist, den offenen Konflikt mit der SPD zu suchen und es ein halbes Jahr vor der Abgeordnetenhauswahl auf einen Koalitionsbruch ankommen lässt, ist unwahrscheinlich. Doch zur Verbesserung des ohnehin angespannten Klimas in der Berliner Landesregierung trägt der Streit um McKinsey und Diwell gewiss nicht bei.

Welche Folgen hat der „Fall Diwell“?

Das ist noch nicht absehbar. Solange nicht alle Fakten auf dem Tisch liegen, und das wird trotz aller Bemühungen der Opposition erst nach der Osterpause möglich sein, ist eine endgültige Bewertung des Falls nicht möglich. Vor allem geht es um die Frage, ob der Sozialdemokrat Lutz Diwell nachweisbar mit diskreter Hilfe von Genossen an den von McKinsey entlohnten Auftrag gekommen ist. Oder ob er ganz zufällig und völlig unabhängig von der Senatskanzlei die Beratertätigkeit aufgenommen hat. Sollte ihm jemand unauffällig geholfen haben, lautet die Frage: wer?

Momentan kann sich niemand so recht vorstellen, auch nicht in den Reihen der Opposition, dass der Regierende Bürgermeister Müller persönlich eingegriffen hat. Ansonsten bekäme er – erst recht so kurz vor der Wahl – ein Problem. Aktuell haben Grüne, Linke und Piraten, aber auch die CDU, den Kanzleichef Böhning im Blick. Sollte es hart auf hart kommen, muss Müller überlegen, ob er seinen Kanzleichef bedingungslos stützt.

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