SPD-Triumph im Saarland: Was Rehlingers Sieg lehrt – und warum dieser eine Zäsur ist
Die SPD-Kandidatin zeigt, was in Krisenzeiten wichtig ist. Die CDU kann einiges lernen. Doch die eigentliche Nachricht ist eine andere. Ein Kommentar.
Der Triumph von Anke Rehlinger bei der Landtagswahl im Saarland zeigt, was in dieser Ausnahmesituation von den Bürgern goutiert wird: Machen und mit kühlem Kopf Lösungen finden – statt in Aktionismus zu verfallen.
Während Rehlinger nachts im Kanzleramt elf Stunden lang das Energieentlastungspaket der Ampel-Koalition mitverhandelte, trotz Wahlkampf, versuchte es CDU-Ministerpräsident Tobias Hans im Wahlkampf mit Attacken gegen hohe Benzinpreise per Selfie-Video vor einer Tankstelle.
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Die Herausforderin hat von einer stärkeren Glaubwürdigkeit profitiert, hatte zudem die Unterstützung der ganzen SPD-Spitze. Auch Kanzler Olaf Scholz stärkte Rehlinger im Wahlkampf vor Ort nach Kräften den Rücken.
CDU-Chef Friedrich Merz dagegen hielt größtmögliche Distanz zu Tobias Hans, machte fast keinen Wahlkampf vor Ort. Diese Distanzierung fällt auch auf Merz zurück: Es war die erste Landtagswahl unter Merz als Parteichef und da nicht zu kämpfen, ist mindestens fragwürdig. Besonders charakterstark ist es in keinem Fall.
Und der Absturz der CDU ist mit dieser Wahl sicher nicht gestoppt. Wenn es sogar zu einer SPD-Alleinregierung kommt, wäre das die Komplettierung des Saar-Debakels.
Merz zeigt zwar dieser Tage, dass er im Bundestag ein starker Oppositionsführer ist; aber er muss noch den Beweis antreten, dass er die CDU einen und wohlüberlegte Krisenpolitik kann, statt einfach mal was rauszuhauen – so wie mit dem Einwurf, dass die Nato vielleicht direkt in der Ukraine eingreifen sollte, was auch für Widerspruch bei den eigenen Außenpolitikern sorgte.
Wahlhelfer Lafontaine
Der wichtigste Befund der Wahl aber ist: Der Linken droht das Verschwinden in der Bedeutungslosigkeit. Nach dem Parteiaustritt Oskar Lafontaines und internem Streit hat sie rund zehn Prozentpunkte verloren, nirgendwo im Westen war sie so stark, nun ist sie raus aus dem Landtag, zerlegt sich an der Saar wie im Bund.
Die SPD gewinnt diese Wähler zurück, der schleichende Niedergang kann dauerhaft diesen Höhenflug der Sozialdemokraten stabilisieren, auch weil die Linke kein überzeugendes Gegenangebot hat, die Russlandliebe hat das Übrige beigetragen.
Erneut wird eine pragmatische Sozialdemokratin gewählt
Die erstaunliche Geschlossenheit der SPD dagegen hält, früher hätten Richtungswechsel mit Waffenlieferungen an eine Kriegspartei und 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr die Partei zerrissen.
Bei allen mitunter sehr kühlen Auftritten des Kanzlers hat er weiter die nötige Beinfreiheit, aber er sollte sein Entscheiden im ganz kleinen Kreis auch nicht überstrapazieren.
Erneut wird mit der früheren Leichtathletin Rehlinger eine pragmatische, keine linke, Sozialdemokratin gewählt, die das „Respekt“-Thema lebt und nah bei den Leuten ist. Sie will Arbeitsplätze schaffen und den Umbau der Industrie zu einem klimagerechten Wirtschaften als große Chance begreifen. Olaf Scholz kann von ihr lernen, wie wichtig in der jetzigen Phase das richtige Gespür und Gefühl ist, sie hat mit dem Slogan "Saarlandliebe" für sich geworben.
Der Kanzler muss mehr Präsenz zeigen
Aber: Der Kanzler war bisher kein einziges Mal bei den am Berliner Hauptbahnhof ankommenden Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine. Sein Schweigen nach der Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Bundestag räumt er inzwischen selbst als Fehler ein. Dass er begriffen hat, dass er mehr Präsenz zeigen und seine „Zeitenwende“ erklären muss, zeigt die Tatsache, dass er in die Talk-Show von „Anne Will“ geht.
Insgesamt hat die SPD gezeigt, dass sie in der Lage ist, angesichts einer neuen Bedrohungslage Führung zu zeigen. Statt sich ideologisch gegen Milliardeninvestitionen zu stellen, will sie die Bundeswehr besser auszurüsten und Deutschlands Landesverteidigung verbessern. Rehlinger verkörpert das glaubhaft, anders als viele plädierte sie frühzeitig dafür, dass die Bundeswehr weiter in der Lage sein müsse, in Deutschland stationierte US-Atombomben zu transportieren.
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Alle Landtagswahlen in der Corona-Pandemie haben gezeigt, dass es vor allem Personen- und Vertrauenswahlen sind. Daher sollte die SPD den Urnengang im Saarland nicht zu sehr als Signalwahl interpretieren. Zumal sie hier auch vom Ausscheiden des Zugpferds Oskar Lafontaine bei der Linkspartei - und deren Zerlegen profitiert.
Noch 2017 fehlten Rehlinger entsprechend viele Stimmen, um gegen die CDU zu gewinnen, zudem hatte Annegret Kramp-Karrenbauer ähnlich wie Rehlinger ein Gespür, was die Leute bewegt. Hans erbte das Amt nur von ihr, als sie nach Berlin wechselte.
Merz kann von der SPD gerade einiges lernen
Bei den Wahlen im Mai in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen dagegen könnte die CDU mit ihren Amtsinhabern Daniel Günther und Hendrik Wüst gewinnen, auch weil es hier keine SPD-Herausforderer vom Schlage Rehlingers gibt. Im Saarland gab es halt eine echte Wechselstimmung. Hinzu kommt, die Lage in diesem Epochenbruch bleibt fragil, auch für die Koalition von SPD, Grünen und FDP im Bund.
Daher sollte die bundespolitische Bedeutung des SPD-Siegs an der Saar nicht überinterpretiert werden. Noch hält in der Ampel-Koalition der Kitt, aber die FDP wird Grüne und SPD weiter treiben. Vieles hängt an Scholz, er sollte öfter den Mut haben, der FDP Contra zu geben, damit sich Zerwürfnisse zwischen Bund und Ländern wie in der Pandemiepolitik nicht wiederholen. Auch muss er zur Bewältigung der hohen Flüchtlingszahlen viel mehr um die Länder werben.
Merz dagegen sollte aus Rehlingers Erfolg die Lehre ziehen, dass mehr Teamgeist und sachliche Politik der CDU nicht schaden würden. Von der SPD kann er da gerade einiges lernen.