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Olaf Scholz und sein Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Bayern-MP Söder wirft Lauterbach den Wechsel ins Team Unvorsichtig vor.
© REUTERS

Bund-Länder-Runde gerät zur Abrechnung: „Sie verlieren vollständig ihre Glaubwürdigkeit“

So ein Treffen zwischen Bund und Ländern gab es in zwei Jahren Pandemie nicht: Das Maskenpflicht-Ende führte zu wilden Protesten. Auch um die Ukraine ging es.

Es hat sich einiges an Ärger zusammengebraut in den letzten Tagen. Der Krieg in der Ukraine mit all seinen Folgen, die umstrittene Aufhebung fast aller Corona-Maßnahmen zum 20. März - als sich Bund und Länder am Donnerstag mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) zusammenfinden, klafft ein Riss zwischen den Teilnehmern, der keineswegs nur entlang von Parteilinien verläuft.

Dass der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, Nordrhein-Westfalens Regierungschefs Hendrik Wüst (CDU), das Scherbengericht seiner Kollegen nur auf dem Bildschirm verfolgen kann, gehört da nur noch zu den Kuriositäten. Wüst war auf Auslandsreise in Israel positiv auf Corona getestet worden und steuerte die Konferenz von einem Hotel in Jerusalem.

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Immerhin passt das zum Thema. Die Zukunft der Corona-Maßnahmen sollte ursprünglich hier besprochen werden. Doch die Ampelfraktionen SPD, Grüne und FDP haben schon ihren Plan für einen „Basisschutz“ in den Bundestag eingebracht, der klar die Handschrift der FDP trägt. Am Freitag soll er schon beschlossen werden.

Nicht nur Unions-Ministerpräsidenten empfinden das als Affront, weil sie nun kaum noch etwas ändern können. Trotz der höchsten Infektionszahlen überhaupt in dieser Pandemie sollen ab Sonntag die meisten Corona-Eindämmungsmaßnahmen grundsätzlich auslaufen.

Bundeskanzler Olaf Scholz: Die Probleme wachsen.
Bundeskanzler Olaf Scholz: Die Probleme wachsen.
© imago images/Bernd Elmenthaler

Dann entfallen Zugangsbeschränkungen mit 2G- oder 3G-Regelungen, auch Maskenpflichten etwa in Supermärkten oder anderen Innenräumen. Die Maske soll nur noch in Kliniken, Pflegeheimen und im Personennahverkehr Pflicht bleiben.

Die Länder wollen weiter Maskenpflichten in Innenräumen

Viele Länder haben sich bereits entschlossen, eine Übergangsfrist im neuen Infektionsschutzgesetz zu nutzen, wodurch sie bestehende Maßnahmen zumindest bis zum 2. April beibehalten können. Danach muss jedes Landesparlament entscheiden, ob für Regionen mit besonders hohen Inzidenzen schärfere Hot-Spot-Regelungen angewandt werden sollen.

Was ein Hot Spot ist, steht nicht im Gesetzentwurf. Solche Unschärfen sind erfahrungsgemäß offene Einfallstore für Verwaltungsgerichte.

Und so müssen Scholz und Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sich in der Schalte nach Tagesspiegel-Informationen geballten Unmut anhören, sowohl im Verfahren als auch in der Sache. „Zwei Jahre haben Bund und Länder gemeinsam erfolgreich gearbeitet, jetzt steigt der Bund aus“, schimpft Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) nach Teilnehmerangaben.

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Auch SPD-Regierungschefs sauer

Niedersachsens SPD-Ministerpräsident Stephan Weil sekundiert: „Ich halte das nicht für vertretbar.“ Die Pandemie sei eben nicht vorbei.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) moniert: „Einen solchen Umgang mit den Ländern hat es noch nie gegeben.“ Den Ländern würden fast alle Optionen genommen. Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) nennt das Verfahren „ schlicht unsäglich.“ Es habe keine Zusammenarbeit vorab mit den Ländern gegeben.

Wegen einer Corona-Infektion zugeschaltet aus Israel: NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst
Wegen einer Corona-Infektion zugeschaltet aus Israel: NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst
© dpa

„Hier werden zwei Jahre Wegstrecke im Alleingang beendet“, stellt auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) fest.

Besonders den eifrig twitternden Gesundheitsminister nimmt er sich vor: „Herr Lauterbach, Sie warnen, warnen, warnen – und geben jetzt alles auf. Sie verlieren vollständig ihre Glaubwürdigkeit.“ Dass Lauterbach sich dem Druck von Justizminister Marco Buschmann (FDP) gebeugt hatte, als beide das Gesetzespaket ausarbeiteten, ist ja in der Tat schwer zu übersehen.

16 Protokollerklärungen, offiziell heißt es nur: Thema wurde erörtert

Auch von SPD-Ländern gibt es massiven Widerspruch. So sagt Rheinland-Pfalz' Ministerpräsidentin Malu Dreyer in der Videoschalte laut Teilnehmern, es sei ein großer Frust, dass man eine einfache Maßnahme wie die Maske abschaffe. Das sei gegen den Expertenrat und falsch. Doch Scholz lässt den Chor der Kritik einfach abtropfen: „Ich danke für die Diskussion“, soll er lapidar gesagt haben.

Die Quittung: Alle 16 (!) Bundesländer geben Protokollerklärungen ab, dass sie mit dem geplanten Vorgehen nicht einverstanden sind. Im Ergebnisprotokoll wird der ganze Ärger einfach ignoriert. Zum Tagesordnungspunkt Corona wird schlicht betont: "Das Thema wurde erörtert."

Für Scholz ist es nach der harschen Kritik an seiner fehlenden Reaktion auf die Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodomyr Selenskyj im Bundestag der nächste schwierige Termin, es wirkt pünktlich zum 100-Tage-Jubiläum der Ampel wie ein schwarzer Tag des Kanzlers.

Nächste große Baustelle: Der Zustrom aus der Ukraine

Beim Thema Ukraine wird vor allem der Umgang mit den geflüchteten Menschen immer dringlicher. Die Unions-Seite pocht auf 670 Euro als Pauschale je gemeldetem Kriegsflüchtling aus der Ukraine. Zur Klärung der Finanzierungsfragen soll nun eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe spätestens bis zur nächsten Sitzung am 7. April einen Vorschlag erarbeiten, wird in der Sitzung verabredet.

"Dabei sollen insbesondere die Themen Kosten der Unterbringung, Kosten der Hilfen zum Lebensunterhalt und Fragen der individuellen Leistungserbringung, Hilfen für besonders vulnerable Gruppen sowie Fragen der Bundesbeteiligung auch an den Kosten der Integration in Kindertagesbetreuung, Schule und Arbeitsmarkt verhandelt und im Ergebnis ein Gesamtfinanzierungskonzept erarbeitet werden“, hieß es in der vorab erarbeiteten Vorlage.

Um überhaupt einen Überblick zu bekommen, wer da kommt und wie viele, soll es außerdem eine systematischere Registrierung geben. Zwar werden die flüchtenden Menschen an der EU-Außengrenze – die meisten in Polen – ebenso registriert wie die, die sie dort abholen.

Merz warnt vor unkontrollierter Einreise

In Deutschland aber fehlt etwa an den Hauptbahnhöfen bisher solch ein System, das nicht zuletzt verhindern soll, dass hilflose Frauen und Kinder Menschenhändlern und der illegalen Sexindustrie in die Hände geraten. Die Runde erklärte es nun für unerlässlich, „die Ankommenden rasch und unkompliziert zu registrieren“.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier spricht mit geflüchteten Menschen aus der Ukraine am Hauptbahnhof Berlin.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier spricht mit geflüchteten Menschen aus der Ukraine am Hauptbahnhof Berlin.
© Bernd von Jutrczenka/dpa

Wer in Deutschland bleibt, soll im Ausländerzentralregister registriert werden. Der Bund will das etwa über die Bundespolizei personell und materiell unterstützen. Zudem sollen verstärkt Erkrankte und Verletzte aus der Ukraine in Deutschland behandelt und in Krankenhäusern mit dem in der Pandemie bewährten „Kleeblattverfahren“ bundesweit verteilt werden.

Vor allem CDU-Chef Friedrich Merz wird in diesen Tagen nicht müde, zu mahnen, dass auch viele Bürger aus anderen Staaten oder von Russland oder Belarus gezielt eingeschleuste Menschen ins Land kommen könnten.

Unter den Flüchtlingen aus der Ukraine befinde sich „eine größere Zahl von Flüchtlingen, die gar nicht aus der Ukraine kommen, sondern sich über diesen Weg jetzt auch auf nach Deutschland gemacht haben.“ Belege und konkrete Hinweise gibt es dafür bisher nicht.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) wehrt sich derweil gegen Kritik der Union, sie sei zu lange tatenlos geblieben. Der Bund habe zum frühestmöglichen Zeitpunkt Schritte zur Registrierung unternommen, sagt sie.

Aber da für Ukrainer in der EU 90 Tage Visafreiheit gelte, seien die Menschen in dieser Zeit nun einmal auch frei, in ein anderes EU-Land weiterzureisen. Klar ist, in dieser ganzen Frage liegt das nächste große Konfliktpotenzial, auf die Ampel-Koalition von Kanzler Scholz kommen schwere Wochen zu.

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