Saarland vor dem Machtwechsel: Die Regierungsbildung könnte kompliziert werden
Im kleinsten Bundesland läuft alles auf eine SPD-Regierung unter Anke Rehlinger zu. Die potenziellen Partner sind allerdings überwiegend desolat.
Tobias Hans verbreitet Optimismus in der Morgenstunde. „Ich halte das für offen“, sagt der saarländische Ministerpräsident am Freitag im ZDF-„Morgenmagazin“. „Das Wahlergebnis wird anders aussehen.“ Anders meint: anders als die Umfragen. Zwei Tage vor der Landtagswahl sind die für den CDU-Spitzenkandidaten noch genauso niederschmetternd wie seit Wochen.
Dass SPD-Spitzenfrau Anke Rehlinger vom Wirtschaftsministerium in die Staatskanzlei wechseln wird, erscheint so gut wie sicher. Doch für Hans und die CDU kann es leicht noch sehr viel übler enden.
Was die Umfragen angeht, sind sie an Eindeutigkeit schwer zu übertreffen. Im aktuellen „Politbarometer“ kommt die SPD auf 41 und die CDU auf 28 Prozent. Selbst im demoskopisch schwierigen Saar-Revier sind 13 Prozentpunkte Rückstand kaum aufzuholen, zumal Rehlinger auch in der Bewertung als Person weit vor dem Amtsinhaber liegt.
Die Umfragen zeigen allerdings noch etwas anderes: Die Regierungsbildung könnte zur komplizierten Angelegenheit werden, wenn Rehlinger nicht einfach die große Koalition mit umgekehrten Vorzeichen fortsetzen will. Denn sämtliche kleineren Parteien liegen nach den Umfragen unter oder nur ganz knapp über der Fünf-Prozent-Grenze. Und sie liegen dort mit Recht. Ob FDP, Grüne oder Linke – für regierungsfähig halten sie nicht einmal alle eigenen Parteifreunde
Der Grund für die miese Reputation beim Wähler ist bei allen ähnlich: Interne Machtkämpfe, auf offener Bühne ausgetragen. Nicht zufällig erinnern sie an Familienfehden. Das Saarland mit seinen knapp 800.000 Wahlberechtigten ist klein, kleine Parteien also sehr klein.
Die FDP etwa zählt um die 1000 Mitglieder, die Linke zuletzt keine 2000. Wenige Personen dominieren die Parteien. Und wenn diese Wenigen sich nicht ausstehen können, bebt immer gleich der ganze Landesverband.
Der FDP ging es 2012 so, als die damalige Ministerpräsident Annegret Kramp-Karrenbauer genervt die erste Jamaika-Koalition der Republik aufkündigte. Auslöser war ein Machtkampf unter Freidemokraten um den Fraktionsvorsitz. Von dem schmählichen Rauswurf hat sich die Partei nie richtig erholt.
Die Linke, einst stolze Bastion der Gesamtpartei im Westen, liegt völlig in Trümmern. Oskar Lafontaines Austritt kurz vor dem Wahltag aus der Partei, die er selbst gegründet hatte, war nur das letzte Nachbeben eines Machtkampfs, der sogar die Staatsanwaltschaft beschäftigte. Es ging um den Vorwurf von Stimmenkauf und gefälschte Mitgliederlisten. Die Fraktion im Landtag zerbrach in zwei Gruppen. Die vorläufige Quittung ist der letzte Platz im „Politbarometer“ unter den etablierten Parteien: Vier Prozent.
Die Grünen sind um Parteifrieden bemüht
Eine Schlangengrube sind auch die Saar-Grünen, die 2017 aus dem Landtag flogen. Der langjährige Fraktionschef Hubert Ulrich, Spitzname „Panzer”, beherrschte mit seinem Ortsverband Saarlouis – 700 Mitglieder, ein Drittel aller Saar-Grünen – den Rest der Partei. Intrigen, Postengeschacher und Skandälchen waren an der Tagesordnung.
Immerhin scheint die Zeit des 64-Jährigen vorbei. Bei der Bundestagswahl wollte er als Spitzenkandidat antreten, obwohl das Frauenstatut das ausschloss. Die Listenwahl wurde annulliert, die Wiederholung war derart regelwidrig, dass die Grünen gar nicht mehr antreten durften.
Ein halbes Jahr später ist man um Parteifrieden bemüht. Die Spitzenkandidatin Lisa Becker, eine 31-jährige Juristin, kannte bis vor kurzem selbst in der Partei kaum einer. Becker stammt nicht aus Ulrichs Verband, weshalb sie ihre Wahl als „historisches Ereignis“ feierte.
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Aber der innerparteiliche Burgfrieden bröckelt schon wieder. „Die Partei ist in dieser Aufstellung meiner Meinung nach nicht koalitionsfähig“, schrieb der frühere Grünen-Landeschef Ralph Rouget in einer Mail, die drei Tage vor der Wahl über die „Saarbrücker Zeitung“ den Weg in die Öffentlichkeit fand.
Tatsächlich saßen viele Kandidaten noch nie vorher im Landtag. Auch parteiintern sind Reformen erst in Ansätzen verwirklicht. Noch immer sind die Mitgliedsbeiträge besonders niedrig, was Hubert Ulrichs System der Rekrutierung eigener Truppen begünstigte. In der Bundesspitze der Partei hat man immerhin die leise Hoffnung, dass sich die Saar-Grünen bei einem Einzug in den Landtag endgültig vom „Panzer“ emanzipieren könnten. Sogar die neuen Grünen-Vorsitzenden kamen, erstmals seit langem, zum Wahlkampf vor Ort vorbei.
Das unterscheidet sie von Friedrich Merz. Der CDU-Chef war Anfang März mit dem Bundesvorstand zur Klausur in St. Ingbert. Danach ließ er sich nicht mehr im kleinsten Bundesland blicken. Auch Generalsekretär Mario Czaja blieb lieber in Berlin.
CDU-Bundesspitze distanziert sich
Die Bundesspitze will mit der absehbaren Niederlage möglichst wenig zu tun haben. Hinter und gelegentlich selbst vor den Kulissen zeigen alle auf den Kandidaten: „Landesthemen“ bestimmten diese Wahl. Zu Deutsch: Hans habe es vermasselt, den CDU-Erbhof nach zwei Jahrzehnten zu halten.
Womöglich reicht es dort nicht mal mehr zu Rehlingers Juniorpartner. Kommt keine der drei prinzipiell koalitionsfähigen Parteien in den Landtag, könnte die SPD nach dem Stand der Umfragen eine Alleinregierung gegen die CDU und die AfD bilden, die, obwohl selbst der eigene Bundesverband sie schon mal zwangsweise auflösen wollte, mit 6,5 Umfrageprozenten wieder auf den Einzug ins Landesparlament rechnen kann.
Schaffen es FDP, Grüne oder beide, bleibt Rehlinger theoretisch die volle Auswahl zwischen klassischen Zweier-Bündnissen, einer Ampel – oder doch wieder der großen Koalition.
Ihrem Kanzler in Berlin wäre alles recht, Hauptsache Rehlinger regiert. Olaf Scholz war das im Wahlkampf-Endspurt eine Reise nach Saarbrücken wert. Denn in der SPD hoffen sie auf den Beginn einer Serie: Erst der CDU das Saarland abnehmen, im Mai dann Schleswig-Holstein und zum krönenden Abschluss Nordrhein-Westfalen.
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