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Ein Arzt in Halle (Saale) bei einem Coronavirus-Test
© AFP/Ronny Hartmann

Kampf gegen das Coronavirus: Was Regierung und Behörden derzeit gut machen – und was gar nicht läuft

Nicht alle Maßnahmen gegen die Coronakrise in Deutschland funktionieren: Parks sind trotz Beschränkungen voll, Finanzhilfen schwierig. Ein Zwischenfazit.

Das Land ist seit Wochen im Ausnahmezustand, viele Maßnahmen zur Gesundheitsvorsorge der Bürger oder der Stabilisierung der Wirtschaft mussten von der Politik sehr schnell in die Wege geleitet werden.

Ob sie greifen und sich die Kurve der Neuinfektionen abflacht, wird sich in den kommenden Tagen zeigen.

Bisher warnen Politiker vor zu großem Optimismus. Niemand will falsche Hoffnungen wecken.

Aber wie lange sind die Bürger noch bereit, sich in ihrer Bewegungsfreiheit so stark einschränken zu lassen? Wenn die wirtschaftlichen Hilfen nicht ausreichen oder schnell genug ankommen, könnte die Stimmung kippen.

Wie entwickeln sich die Infektionszahlen?

Die Messlatte für Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten ist die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Virus. Von einer Verdoppelung der Infektionszahlen alle drei Tage hat sich dieser Zeitraum auf fünf bis sechs Tage verlängert. Das ist entscheidend, um bei fast 70.000 Infektionen genug Behandlungsmöglichkeiten zu haben.

Kanzleramtschef Helge Braun nannte gegenüber dem Tagesspiegel eine Verdopplungszeit von zehn bis zwölf Tagen als Maßgabe. Wenn die Kurve deutlich abgeflacht ist, sind erste Lockerungen denkbar. Zumal bis dahin auch die Zahl der Intensivbetten um einige Tausend erhöht sein könnte.

Allerdings könnte es neue Vorschriften geben, damit kein weiterer Anstieg der Infektionszahlen droht. In Österreich muss zum Beispiel bei Einkäufen seit Montag eine Schutzmaske getragen werden.

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Wie ist die Lage im Gesundheitswesen?

Die Sorge wächst, dass sich zu viel Personal infiziert, dadurch ausfällt oder das Virus verbreitet. Vermehrt werden Alten- und Pflegeheime von Infektionswellen erfasst. In Wolfsburg starben 17 Bewohner eines Pflegeheims, im bayerischen Würzburg 13 an den Folgen einer Covid-19-Atemwegserkrankung.

Vielerorts fehlte lange der Nachschub an Schutzausrüstung, das wird besser. Der Bund hat 20 Millionen weitere Atemschutzmasken beschaffen können. Sie wurden an die Bundesländer und die Kassenärztlichen Vereinigungen für die Verteilung an Kliniken, Praxen und Pflegeheime ausgeliefert, sagte ein Sprecher des Gesundheitsministeriums.

Auch Firmen der Textilindustrie stellen auf die Maskenproduktion um. In Lübeck arbeitet das Medizinunternehmen Dräger auf Hochtouren, der Bund hat dort 10.000 Beatmungsgeräte bestellt. Kanzleramtschef Helge Braun setzt große Hoffnung in einen fast fertigen, verlässlichen Antikörper-Test – damit soll es auch möglich sein, nachzuweisen, wer schon Corona hatte.

Gibt es medizinische Fortschritte?

Die zunehmende Genesung von Erkrankten ist – jenseits der guten Nachricht für den einzelnen und die Gesellschaft – für die Medizin von großer Bedeutung: Einerseits sind Personen, die die Krankheit überstanden haben, höchstwahrscheinlich immun gegen das Virus. Sie können also vermutlich ohne große Gefahr mit akut Infizierten in Kontakt treten und damit in der Lage sein, Hilfe bei der Versorgung und Betreuung von Personen in häuslicher Quarantäne zu leisten.

Hintergrund über das Coronavirus:

Zudem ist es denkbar, von Genesenen Blutplasma zu gewinnen. In diesem Teil des Blutes sollten sich Antikörper gegen das Virus befinden. Es wäre möglich, dieses Plasma Erkrankten zu injizieren. Die Antikörper könnten dann, wenn sie in ausreichender Zahl vorhanden sind, eine entsprechende Zahl Viren neutralisieren.

Das würde, wenn die Behandlung rechtzeitig erfolgt, Symptome lindern und dem Immunsystem der Erkrankten mehr Zeit verschaffen, selbst Abwehrmoleküle zu bilden. An der medizinischen Hochschule Hannover wird an diesem Ansatz gearbeitet. Aktuell ist das Problem, dass es im Vergleich zur Zahl der Erkrankten noch relativ wenig nachgewiesene Genesene gibt. Deshalb gäbe es, selbst wenn diese Personen bereit wären Plasma zu spenden, hierzulande noch relativ wenige davon.

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Wie haben sich die Berliner an das Kontaktverbot gehalten?

Am Freitag und Samstag schien die Sonne, viele Parks und Plätze waren gut gefüllt. Der Gleisdreieckpark wurde mehrfach von der Polizei abgelaufen, Menschen nach Hause geschickt, der Boxhagener Platz wurde sogar geräumt, weil sich mehr als 150 Menschen gleichzeitig dort aufhielten. Trotzdem bekräftigt der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD), er sei froh, dass sich die Allermeisten an das Kontaktverbot halten.

Am Samstag war der Treptower Park gut besucht, was aus epidemiologischen Gründen problematisch ist.
Am Samstag war der Treptower Park gut besucht, was aus epidemiologischen Gründen problematisch ist.
© Paul Zinken/dpa

Die Zahlen der Polizei vom Wochenende zeigen ein differenziertes Bild. Die Beamten schrieben nur wenige Strafanzeigen. Auf Twitter sprach die Polizei vom „neuen Praktikant Schmuddelwetter“.

Noch nie war ein kalter, verregneter Frühling so wichtig wie in diesem Jahr: Je besser das Wetter, desto mehr Menschen sind unterwegs. Wie anderswo herrschte am Wochenende im Treptower Park reges Treiben. Auf dem Fußweg der Elsenbrücke nach Alt-Stralau gab es dichtes Gedränge. Die Abstände? Häufig kaum mehr als 40 Zentimeter. Auch der gut zwei Kilometer lange Stralauer Uferweg war an diesem Tag frequentiert wie in normalen Zeiten. Am nasskalten Sonntag war kaum jemand unterwegs.

Wie reagieren die Berliner auf die Polizeipräsenz?

Polizeipräsidentin Barbara Slowik sagte am Freitag: „Für uns ist das ein Kommunikationseinsatz. Wir stehen nirgendwo mit der Stoppuhr, wenn wir sehen, dass die Vernunft da ist.“ Am Wochenende habe es nur vereinzelt Übergriffe auf Beamte gegeben, bestätigte sie am Montag im Innenausschuss.

In mehreren Bezirken tauchten an Häuserwänden „Polizisten anhusten“-Sprüche auf. Sie werden von Sicherheitskreisen der linken Szene zugerechnet. Politiker der Linkspartei wie die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke kritisieren, dass Polizisten „willkürlich“ entschieden, wogegen sie vorgehen würden. Die Berliner Polizeipräsidentin setzt dagegen auf „das Fingerspitzengefühl“ ihrer Beamten, damit größere Auseinandersetzungen weiter ausbleiben.

Wo hat sich die Regierung verkalkuliert?

Das riesige Gesetzespaket wurde im Hauruckverfahren geschnürt, die größte Aufregung gibt es um ein Mieten-Gesetz aus dem SPD-geführten Bundesjustizministerium. Das Gesetz war eigentlich dazu gedacht, Kneipenbesitzern und kleinen Unternehmen die Möglichkeit zu geben, bis Ende Juni ihre Mietzahlungen auszusetzen.

Konzerne wie Adidas, H&M oder Deichmann nutzten das für ihre Zwecke aus. „Wir haben nie gesagt, dass wir keine Mieten mehr zahlen. Wir haben unsere Vermieter gebeten, unsere Mieten zu stunden“, sagte Deichmann-Chef Heinrich Deichmann der Nachrichtenagentur dpa. „Falls ein Vermieter nicht in der Lage ist, eine Stundung wirtschaftlich zu verkraften, werden wir ihm helfen und dann werden wir auch die Miete zahlen.“

Das Unternehmen Adidas hat nach scharfer Kritik inzwischen mitgeteilt, nicht für alle Läden von der Möglichkeit auf ein Aussetzen der Miete Gebrauch machen zu wollen. Eine Änderung des Gesetzes plant Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) erst einmal nicht.

Wird der Mittelstand unterstützt?

Als die Coronahilfen der Bundesregierung beschlossen wurden, schlugen Mittelstandsverbände Alarm. Kleinstunternehmer und Großkonzerne würden unterstützt, der Mittelstand falle durch das Raster. Der Bundesverband Onlinehandel (BVOH) beklagte am Montag, dass in Bundesländern wie Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein Soforthilfe-Programme für Unternehmen von zehn bis 249 Mitarbeitern fehlten.

Auch die Textil- und Modeindustrie forderte eine staatliche Direkthilfe für mittelständische Unternehmen. „Wenn es hier nicht schnell einen Hilfsfonds mit unbürokratischen Direkthilfen für die betroffenen Unternehmen gibt, verlieren wir in Deutschland eine mittelständische Branche“, sagte die Präsidentin des Gesamtverbandes der deutschen Textil- und Modeindustrie, Ingeborg Neumann.

Zudem klagen Mittelständler über die langsame Auszahlung der Kredite. Der Mittelstandsverbund wies darauf hin, dass Firmen mittelständischer Größenordnung nicht unter das von der Regierung beschlossene Zahlungsmoratorium fielen, mit denen Verpflichtungen gegenüber Lieferanten oder Dienstleistern gestundet werden können. Hier rechnet man damit, dass die Mehrzahl der Mittelständler innerhalb der nächsten vier bis sechs Wochen zahlungsunfähig sein wird.

Bei der KfW kann man die Kritik nicht nachvollziehen. Schließlich seien Unternehmen jeder Größenordnung für die Bundesdarlehen antragsberechtigt. Von den bis vergangenen Freitag eingegangenen 742 Kreditanträgen entfallen nach Angaben eines Sprechers 718 auf Beträge unter drei Millionen Euro, „also auf kleine und mittlerer Unternehmen“.

Wie agieren die Banken?

Trotz der staatlichen Hilfsleistungen berichten viele Unternehmen von ihren Schwierigkeiten, an Kredite zu kommen. Das hat damit zu tun, dass die Banken die KfW-Kredite vermitteln und je nach Größe des Unternehmens zehn bis 20 Prozent der Summe als eigenes Risiko tragen müssen. Dies lehnen viele ab und legen ihre Risikorichtlinien häufig strenger aus. Zudem verzögert sich die Auszahlung um Wochen, da das Prüfverfahren kaum weniger aufwändig ist als würde die Bank das gesamte Risiko tragen.

Wirtschaftsverbände fordern daher, dass der Staat zu 100 Prozent haftet, um die Auszahlung zu beschleunigen. Die Bundesregierung argumentiert dagegen, dass die EU mehr als 90 Prozent nicht zulasse. Selbst in der Finanzkrise habe die Haftung nur bei 60 Prozent gelegen.

Bei jungen Start-ups, die noch keine drei Jahre am Markt sind, verweigert der Staat die Haftungsfreistellung sogar komplett. Immer öfter berichten Unternehmen auch davon, dass Banken ihnen nun alte Kreditlinien, die vor Corona eingeräumt wurden, kürzen oder streichen wollen.

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