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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).
© Stefan Rousseau/PA Wire/dpa

Personal in Brüssel: Was Merkels Absage für Posten bei der EU bedeutet

Die Bundeskanzlerin räumt Spekulationen über eine politische Zukunft in Brüssel ab. Dort sind nach der Europawahl mehrere europäische Spitzenposten zu vergeben.

Wie es der Zufall so will, sind die zwei Regierungschefs an den Stehpulten da vorne im Kanzleramt gerade beide Gegenstand von Spekulationen. Der liberale niederländische Ministerpräsident Mark Rutte wird nach der Europawahl für einen Top-Posten in Brüssel gehandelt. Und über Angela Merkel hieß es, sie könne womöglich EU-Ratspräsidentin werden, die die EU-Staats- und Regierungschefs koordiniert und die sich um die Gipfeltreffen kümmert. Auch Rutte ist pikanterweise für dieses Amt im Gespräch.

Merkel hatte mit einer Aussage im Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ für Aufsehen erregt. „Viele machen sich Sorgen um Europa, auch ich. Daraus entsteht bei mir ein noch einmal gesteigertes Gefühl der Verantwortung, mich gemeinsam mit anderen um das Schicksal dieses Europas zu kümmern“, sagte sie.

Wegen des zunehmend komplizierten Dualismus von Kanzlerin hier und der CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer im Wartestand da, hatte dies in Berlin Gedankenspiele befeuert, Merkel könne den Platz im Kanzleramt durch einen Wechsel nach Brüssel freimachen. Zumal Diplomaten auf ihre hohe Reputation auf internationaler Bühne verweisen, sie könne dort das Schiff Europa in schwierigem Fahrwasser mitsteuern und Präsidenten wie Donald Trump die Stirn bei Verhandlungen bieten – besonders wenn der Zollstreit eskalieren sollte.

Nun nutzt Merkel die Pressekonferenz am Donnerstagnachmittag, um das Ganze höchstpersönlich abzuräumen, nachdem schon zuvor Leute, die Merkel gut kennen, das hart dementiert hatten. Auch gab es beim Koalitionspartner SPD nach den jüngsten Begegnungen im Koalitionsausschuss keinen Hinweis auf eine bevorstehende Rochade. Es gelte weiter, „dass ich für kein weiteres politisches Amt, egal wo es ist, auch nicht in Europa, zur Verfügung stehe“, sagt Merkel im Beisein von Rutte im Kanzleramt.

Der Schritt hätte Annegret Kramp-Karrenbauer ohnehin nicht unmittelbar zur Kanzlerin gemacht, es gibt verfassungsrechtliche Hürden. Zudem hat die SPD-Spitze klargestellt, einen Koalitionsvertrag bis 2021 mit Merkel abgeschlossen zu haben, nicht mit „AKK“.

Keine zwei Toppposten für Deutschland

Für die Sozialdemokraten lautet die Devise: Dankt Merkel vorzeitig ab, gibt es Neuwahlen. Kramp-Karrenbauer könnte einen Neuanlauf für Jamaika noch versuchen, doch das wäre unwahrscheinlich. Da auf Basis des Ergebnisses von 2017 nicht die in Umfragen auf 20 Prozent gestiegenen Grünen die Nummer zwei wären, sondern die FDP – und der Vizekanzler mithin Christian Lindner heißen würde.

Auf einem ganz anderen Papier stünde ohnehin, ob Merkel eine Mehrheit für sich finden würde – und ohnehin unterstützt sie ja offiziell den CSU-Politiker Manfred Weber, der Kommissionspräsident werden will: Zwei Topposten können niemals an Deutschland gehen. Das glasklare Dementi Merkels ändert aber nichts daran, dass nach der Europawahl am 26. Mai in Brüssel und Frankfurt am Main mehrere europäische Spitzenposten zu vergeben sind.

CSU-Vize Manfred Weber will als Spitzenkandidat der konservativen europäischen EVP-Parteienfamilie Nachfolger von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker werden, also Chef der EU-Regierung. Um diese Ambition zu verwirklichen, benötigt Weber nach der Europawahl eine Mehrheit der Abgeordneten im Europaparlament.

Wie verhält sich Macron?

Wenn allerdings die Suche nach einem Juncker-Nachfolger angesichts unklarer Mehrheitsverhältnisse im neuen Europaparlament zur Hängepartie werden sollte, könnte die Stunde der Staats- und Regierungschefs schlagen: Sie könnten dann ihrerseits einen Vorschlag für den Posten an der Spitze der EU-Kommission machen. Mit Spannung wird erwartet, wie sich der französische Präsident Emmanuel Macron verhalten wird. Er und Merkel beharken sich zusehends, Macron versucht mit dem liberalen Lager einen Kandidaten zu finden.

In den nächsten Monaten ist auch das Amt des EU-Ratschefs neu zu vergeben. Wer die EU-Staaten als Chef vertritt, bestimmt die Tagesordnungen der Gipfel und gibt in den Einladungsschreiben den Tenor für die anschließenden Diskussionen vor. Die EU-Gipfel finden mindestens viermal pro Jahr statt, allerdings gibt es diese Treffen – nicht zuletzt wegen der zähen Brexit-Verhandlungen – in der Praxis sehr viel häufiger.

Das Gremium des Europäischen Rates, also die Gipfel der Staats- und Regierungschefs, hat im vergangenen europäischen Krisenjahrzehnt im Brüsseler Machtgeflecht erheblich an Einfluss gewonnen. Egal ob es um die Euro-Krise, die Migration oder um den Brexit ging – stets waren es Merkel und Co., die in der EU gegenüber der EU-Kommission und dem Europaparlament die Richtung vorgaben.

Tusk nutzte seine Macht

Der gegenwärtige EU-Ratschef Donald Tusk, der 2014 vom polnischen Ministerpräsidenten zum EU-Ratschef wurde, hat von seiner Macht in Brüssel immer wieder Gebrauch gemacht. So sprach er sich während der Flüchtlingskrise früher als EU-Kommissionschef  Juncker für eine strikte Sicherung der europäischen Außengrenzen aus.

Bei den Brexit-Verhandlungen war es vor allem Tusk, der seiner Hoffnung auf einen Verbleib der Briten in der Gemeinschaft immer wieder Ausdruck gab. „You may say I am a dreamer, but I’m not the only one“, zitierte Tusk etwa den Beatles-Sänger John Lennon im Juni 2017 mit Blick auf einen möglichen Exit vom Brexit.

Die Frage, wie viel Entgegenkommen die verbleibenden 27 EU-Staaten gegenüber den Briten zeigen sollen, dürfte für die EU im Sommer und Herbst ganz entscheidend sein. Hier tun sich Differenzen unter den Staats- und Regierungschefs auf: Merkel möchte einen „No-Deal-Brexit“ mit aller Kraft verhindern, während Frankreichs Präsident Macron es im Notfall auf einen ungeregelten Ausstieg Großbritanniens ankommen lassen würde.

Es kommt auf den Proporz an

Ende Oktober endet nach acht Jahren turnusgemäß zudem die Amtszeit des Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main, Mario Draghi. Als Kandidat für die Draghi-Nachfolge gilt Bundesbank-Präsident Jens Weidmann. Ob er zum Zuge kommt, dürfte sich vermutlich erst entscheiden, nachdem die Besetzung des Chefsessels in der EU-Kommission und die Nachfolge des jetzigen EU-Ratschefs Donald Tusk geklärt sind.

Bei der Verteilung der künftigen europäischen Spitzenämter kommt es insgesamt auf den Proporz an: Sowohl der Norden als auch der Süden der EU müssen vertreten sein, die Osteuropäer sind zu berücksichtigen, und schließlich muss eines der Ämter auch an eine Frau gehen.

Dass mit Weber und Weidmann zwei Deutsche in Brüssel und Frankfurt gleichzeitig zum Zuge kommen, ist ausgeschlossen. Klar ist nur: Die Zeiten sind herausfordernd und selbst ein Grünen-Politiker wie Ex-Außenminister Joschka Fischer vermisst in dieser entscheidenden Phase, wo China zur neuen Hegemonialmacht aufsteigt und die Administration Trump die USA zum unsicheren Kantonnisten machen, einen Helmut Kohl.

Zunehmend Kritik an Kramp-Karrenbauer

Bei Merkel wird in der Bundesregierung darauf verwiesen, dass sie keine Anzeichen von Amtsmüdigkeit erkennen lasse  – und Mitte 2020 übernimmt Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft. Es gibt Gipfel- und Ministertreffen in Deutschland, viel internationale Bühne also. Merkel könnte hier versuchen, einen würdigen, prägenden Abschluss ihrer Kanzlerschaft zu finden.

Wenn die Union bis dahin stillhält. Aber während Merkel Umfragen zufolge weiter sehr beliebt im Volk ist, wird Kramp-Karrenbauer intern zunehmend kritisch gesehen. Im Hintergrund lauert weiter Friedrich Merz und einige sind immer noch verstört, wie Kramp-Karrenbauer Macron vor den Kopf gestoßen hat, als sie unter anderem die Aufgabe des zweiten EU-Parlamentssitzes in Straßburg forderte. Angesichts der Misstöne und öffentlichen Widersprüche fühlen sich einige bei der SPD schon an die Demontage eigener Vorsitzender erinnert, von einer  „Sozialdemokratisierung der Union“ ist die Rede. 

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