Europa: Frankreich nimmt Deutschland nicht mehr ernst
Die offizielle deutsche Politik hat eine professionell-arrogante Missachtung der Reformideen von Macron gezeigt. Nun kommt die Retourkutsche. Eine Kolumne.
Der französische Präsident Emmanuel Macron hat das Verhältnis seines Landes zu Deutschland vor wenigen Tagen als eine „fruchtbare Konfrontation“ bezeichnet. Nach Jahren einer geradezu professionellen Schönfärberei bei der Wertung der deutsch-französischen Beziehungen hat damit eine Phase der ehrlichen Bewertung der Realität begonnen. Das gilt zumindest für die französische Seite.
Es war ein schleichender Prozess, eingeleitet durch die professionell-arrogante Missachtung der Reformideen des französischen Staatsoberhauptes durch die offizielle deutsche Politik. Vor allem in der CDU und der CSU ist die Reserviertheit gegenüber allen Ideen einer engeren europäischen Kooperation groß.
Doch genau das ist es, was Macron erreichen will. Das Frankreich, das Emmanuel Macron von einem schwachen Vorgänger als oberster Repräsentant übernahm, hat massive wirtschaftliche und vor allem gesellschaftliche Probleme. Der Reformstau bei den Nachbarn jenseits des Rheins erinnert an das Deutschland vor den Hartz-Reformen. Da galt, was heute vor allem die Sozialdemokraten nicht mehr gerne hören, Deutschland als der kranke Mann Europas.
Auf genau diesen Reformweg, der Deutschland ökonomisch wieder stark gemacht hat, will jetzt Emmanuel Macron seine Landsleute zwingen. Aber statt ihn dabei zu unterstützen, lassen die Deutschen Macron bei seinem Werben um Unterstützung immer wieder ins Leere laufen – ganz so, als hätte die sonst so misstrauisch alle Entwicklungen vorausahnend einkalkulierende Kanzlerin jede Sensibilität verloren. Denn eines ist klar: Scheitert Macron, wird die nächste Präsidentenwahl in Frankreich vermutlich von der rechtsextremen Marine Le Pen gewonnen. Damit wäre das Europa, wie wir es kennen, am Ende.
Einstiger Eliteschulabsolvent wieder geerdet
Das war die Situation, aus der heraus Emmanuel Macron eben jenen Satz sagte: Das Verhältnis zu Deutschland sei das einer fruchtbaren Konfrontation. Der Aufstand der Gelbwesten, hinter dem sich nicht nur extremistische Kräfte verbergen, sondern der von der Not der französischen Mittelschicht und ihrer Sorge, bald zu den Abgehängten zu gehören, lebt, hat den einstigen Eliteschulabsolventen wieder geerdet.
Deutschland sei kein Vorbild mehr, ist seine Botschaft an die Franzosen. Die Deutschen haben ihren Wohlstand auf der Produktion in Billiglohnländern aufgebaut, haben sich so etwas wie Produktionskolonien gehalten. Das aber sei nicht sein soziales Projekt.
Tatsächlich hat der französische Präsident damit die Situation der deutschen Wirtschaft gut beschrieben. Deren Weg der Ausnutzung der billigen Produktionsbedingungen in Niedriglohnländern erweist sich als Sackgasse. Denn auch dort steigen die Löhne, mehr und mehr muss die Produktion hinter die europäischen, gar die deutschen Grenzen zurückgeholt werden.
Niedergang des deutschen Selbstbewusstseins
Plötzlich profitiert die deutsche Wirtschaft von etwas, was gerade die Politik lange schmählich missachtet hat: Auch eine gute Binnenkonjunktur kann, dank steigender Löhne und damit steigenden Konsums, eine Wirtschaft am Laufen halten. Auf diesen Aspekt haben die Franzosen immer größten Wert gelegt, nun sehen sie sich bestätigt.
Aber das ist nur eine der Begründungen für den wachsenden Stolz und das wachsende Selbstbewusstsein der Franzosen gegenüber dem Nachbarn. Ein anderer ist der spürbare Niedergang des deutschen Selbstbewusstseins. Wenn Hermann Hesses Satz, dass jedem Anfang ein Zauber inne- wohnt, richtig ist, stimmt auch dessen Umkehrung: Jeden Abschied umweht ein Schleier von Resignation und Trauer.
Es ist dieses Gefühl, das im Moment wie ein Schatten über der deutschen Politik liegt, wo aus Lehrstellen nach der letzten, mühsamen Koalitionsbildung inzwischen Leerstellen geworden sind, wo Deutschland anderen Ratschläge erteilt und selbst nur zögerlich handelt.
Wenn dann auf Angela Merkel eine Kanzlerin Annegret Kramp-Karrenbauer folgen sollte, die völlig ernsthaft den Franzosen rät, auf ihren Sitz im UN-Sicherheitsrat zugunsten eines europäischen Sitzes zu verzichten, und die zudem fordert, das Europäische Parlament solle seinen Tagungsort Straßburg aufgeben, dann wird nicht nur Emmanuel Macron bewusst, dass dieses Deutschland blind gegenüber den Gefühlen anderer Nationen ist. Dass es sich erst einmal selbst finden muss, bevor es wieder zum europäischen Führungspartner werden kann.
Gerd Appenzeller
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